2024 feiern wir den 800. Jahrestag einer grundlegenden Urkunde, die es im Original gar nicht mehr gibt. Als sie rund neunzig Jahre nach ihrer Ausstellung, nämlich 1317, abgeschrieben und bestätigt wurde, muss es sie wohl noch gegeben haben. Das Original geht auf König Andreas II. von Ungarn (reg. 1205-1235) zurück, daher der Name Andreanum. Um aber zu verstehen, was 1224 passiert war, müssen wir erst ein paar Schritte zurück machen.
Die Eingliederung Siebenbürgens ins ungarische Königreich war ein überaus komplexer Vorgang, der sich über mehrere Jahrhunderte hinzog. Dabei galt es vor allem, sich gegenüber dem Bulgarischen Reich durchzusetzen, das seinen Einfluss von Süden her geltend machte und zumal die wichtigen siebenbürgischen Salzvorkommen ausbeutete. Eine zweite Front bildeten für die Krone Ungarns die von Osten her immer wieder von Neuem herandrängenden Viehnomaden, die wiederum von anderen immer weiter nach Westen geschoben wurden. Durch immer wieder Richtung Osten und Süden verlegte Grenzverhaue und andere Grenzsicherungen bezogen die Ungarn ab etwa Mitte des 10. Jahrhunderts – also nach dem Stopp ihrer Westexpansion durch die Niederlage auf dem Lechfeld 955 – Siebenbürgen in ihren Machtbereich mit ein. Dabei setzten sie sowohl Völkerschaften ein, die wohl schon mit ihnen gemeinsam an der Landnahme etwa zwei-drei Generationen vorher dabei waren - wie die Szekler, aber auch andere Gruppen: etwa von Osten hereindrängende Völker wie die Petschenegen, Jassen oder Uzen, doch auch vor Ort vorgefundene wie die Wlachen und Slawen. Wichtig war dabei die Loyalität und Kampfkraft, nicht die Herkunft dieser Gruppen. Einige wurden auch nach Bedarf immer wieder umgesiedelt, wie etwa die Szekler, deren Spuren man fast überall in Siebenbürgen finden kann, die späteren Szeklerstühle waren lediglich ihre Endstationen. Für die Bergbauregionen vor allem nordwestlich Siebenbürgens, dann aber auch im Norden und Westen Siebenbürgens wurden bald auch Bergleute angeworben, die meist aus den deutschen Ländern kamen und ihr eigenes Recht mitbrachten, nämlich das sächsische Bergrecht. Diese waren es, die in Ungarn wie auch in anderen Ländern ein Stereotyp begründeten, wonach Siedler aus den deutschen Ländern als Saxones (ung. szász/szászok) bezeichnet wurden.
Als die Sicherung Siebenbürgens im 12. Jahrhundert eine gewisse Stabilisierung erreicht hatte, man andererseits in Ungarn mitbekommen haben muss, welche Gewinnabschöpfungsmöglichkeiten Siedler aus dem Westen des Heiligen Römischen Reiches in Böhmen, Polen und in den ostelbischen Gebieten boten, da stieg man in ein neues Geschäftsmodell ein: Man bot Siedlern aus dem Westen Land und Rechtsgarantien an, um Profit aus den neuen Gebieten zu ziehen. Hinzu dürfte auch ein gewisser missionarischer Gedanke gekommen sein, da man hier erfahrene Christen der Westkirche warb, die nicht nur bei der ökonomischen Ausbeutung und militärischen Sicherung, sondern auch bei der Festigung des römischen Glaubens eine feste Stütze zu sein versprachen. Diese Siedler kamen keineswegs in ein Desertum, eine menschenleere Wüstenei, vielmehr heißt dieser Quellenbegriff, dass es sich um geräumte Gebiete handelte - sie waren weitgehend leer hinterlassen worden, weil diejenigen, die vorher dort die Grenzsicherung vornahmen, neue Aufgaben zugewiesen bekommen hatten.
Die erste größere Siedlergruppe kam zur Zeit König Gézas II. (reg. 1141-1162), auch archäologische Funde weisen auf die Zeit um 1150. Die Urkunde von 1224 nimmt eingangs ausdrücklich Bezug auf die Freiheiten, die den ersten Siedlern von König Géza erteilt worden waren. Es muss also wohl so etwas wie ein Geysanum gegeben haben, das sich weiter nicht fassen lässt, dessen Inhalte aber 1224 bestätigt wurden. Das ursprüngliche Siedlungsgebiet lässt sich auch daran erkennen, dass es kirchlich nicht dem siebenbürgischen Bischof, sondern dem Erzbischof von Gran unterstellt wurde und seine Steuern dorthin zu entrichten hatte; später hinzugekommene Gebiete hingegen waren dem siebenbürgischen Bistum zugeordnet und hatten mitunter auch andere kirchensteuerliche Regelungen. Die ersten Siedler konsolidierten sich schnell, denn bereits 1186 konnte König Béla II. bei seiner Brautwerbung in Frankreich damit angeben, dass die Hospites (Gastsiedler) in Siebenbürgen 15.000 Mark Steuern einbrachten – ein wichtiger Posten im Staatshaushalt. Fünf Jahre später, 1191, bestätigte der Graner Erzbischof die Erhebung des Kirchensprengels der deutschen Siedler zur Propstei, geweiht einem der zentralen Heiligen Ungarns, dem Heiligen Ladislaus – die Siedlergemeinschaft, noch Theutonici genannt, sollte also in jeder Hinsicht selbstständig sein. Die Siedlungen prosperierten, neue Siedlerzüge trafen ein und weitere Gebiete in der unmittelbaren Nachbarschaft des ersten Rechtsgebiet wurden erschlossen, neue Orte angelegt, zunächst noch überwiegend auf Land des Königs. Um die Bedrohung von jenseits der Karpaten zu bannen und die kriegerischen Urheber, die Kumanen, möglichst zu missionieren und der Westkirche zuzuführen, engagierte der König 1211 einen jener Orden, die kurz zuvor im Heiligen Land zur Sicherung der heiligen Stätten des Christentums und zur Missionierung der Heiden entstanden waren – nämlich den Deutschen Orden, dem ein Territorium in nur geringer Entfernung zum Siedlungsgebiet der Hospites im Südosten zugewiesen wurde - das Burzenland. Der Orden war durchaus erfolgreich, wohl sogar zu erfolgreich, weil er danach trachtete, sich von der Krone abzunabeln und direkt dem Heiligen Stuhl zu unterstellen. Spätestens 1222 war augenscheinlich geworden, dass König Andreas II. nicht der glücklichste und durchsetzungsstärkste Herrscher war, denn er musste dem Adel seines Reiches in der sog. Goldenen Bulle weitreichende Rechte zugestehen, auf die sich der Adel Ungarns bis in die Neuzeit hinein immer wieder berufen sollte - dazu gehörten das Widerstandsrecht gegenüber dem König, Steuerfreiheit und eingeschränkte Heeresfolge. Andreas musste also gegenüber weiteren Gefahren aufmerksam agieren - er konnte es sich schlicht nicht leisten, dass an einer strategisch maßgeblichen Stelle wie der Südostecke des Reiches ein neues Gebilde entstand, das sich seinem Einfluss entzog. Er musste also dem Tun des Deutschen Ordens ein Ende bereiten. Und da er gerade 1222 dem Adel zugesichert hatte, nur im Verteidigungsfall zum Heeresdienst verpflichtet werden zu können, brauchte er für dieses Vorhaben Unterstützung.
Die Urkunde lässt sich auf die letzten Wochen des Jahres 1224 datieren, für die Vertreibung des Ordens können wir jedoch nur Rückschlüsse aus späteren Quellen ziehen: Im Juni 1225 wusste man im Vatikan bereits von deren Vollzug und forderte die Rücknahme, die Vertreibung muss also recht früh im Jahr 1225 erfolgt sein. Aus meiner Sicht spricht daher viel dafür, dass Andreas auf dem Weg Richtung Burzenland die Hospites der Hermannstädter Provinz für die militärische Unterstützung seines Vorhabens gewinnen musste. Dort dürfte er ihnen etwas geboten haben müssen, um sich ihrer Loyalität und anschließenden tatkräftigen Hilfe zu versichern – nämlich die Bestätigung der überlieferten Rechte. Diese Möglichkeit wollte die ältere sächsische Historiographie aus ihrem nationalen Selbstverständnis heraus nicht zu Ende denken. Es ist jedoch festzuhalten, dass dem Orden an Siedlerfreiheiten, wie sie die Hermannstädter Provinz besaß, nicht im Geringsten nicht gelegen war - da ist auch ein Blick auf die Geschichte des Preußenlandes erhellend, wo der Orden sehr bald nachhaltig tätig werden sollte. Sein Abschied aus dem Burzenland, wie dieser nun auch immer zustande gekommen sein mag, hat jedenfalls auch dieser Region die Möglichkeit geboten, sich umfassender Freiheiten zu erfreuen.
Kehren wir wieder zum Andreanum selbst zurück. Sehen wir uns zunächst das Gebiet an, für das es galt: Im Westen wird die Gegend um Broos genannt, im Osten jene um Draas, daher rührt die spätere Redensart „von Broos bis Draas“. Die genauen Grenzen des Rechtsgebiets sollten sich erst im Laufe der nächsten zwei-drei Jahrhunderte im Detail herausbilden.
Aus der Urkunde möchte ich einige zentrale Begriffe herausgreifen:
Die Gruppe, um die es geht, wird hier als fideles hospites nostri Theuthonici Ultrasiluani bezeichnet, also als unsere treuen deutschen siebenbürgischen Hospites; der Begriff Saxones hatte sich also noch nicht durchgesetzt, auch wenn er zu Beginn des Jahrhunderts schon aufgetaucht war.
Diese Hospites Teuthonici sollten „ein Volk bilden“ (unus sit populus), das heißt zugleich, dass sie eines Rechts sein sollten und es keine unterschiedliche Rechtsausstattung geben sollte wie etwa Adels-, Bürger- und Untertanenrecht.
Sie sollten nur von ihresgleichen verwaltet und gerichtet werden dürfen, und ihre Richter und Pfarrer durften sie frei wählen - also kein Auswärtiger sollte über sie zu Gericht sitzen dürfen, kein Auswärtiger Steuern erheben, kein Grundherr entscheiden dürfen, wer Richter wird oder etwa den Pfarrer einsetzen.
Keiner war von der Steuerleistung oder Heeresfolge ausgenommen - auch das eine klare Abgrenzung zum Adel, der seine hervorgehobene Stellung genau auf diese Rechte stützte.
Für vor den eigenen Gerichten nicht zu lösende Fälle sollte außer dem König selbst oder dem von ihm eingesetzten Grafen (Comes) niemand anderer zuständig sein, sie waren also königsunmittelbar, ohne Zwischeninstanz, sie waren vor fremder Gerichtsbarkeit sicher. Schließlich kamen Markt- und Handelsfreiheiten hinzu.
Diese Urkunde ist die Grundlage einer umfassenden Autonomie, durchaus ähnlich dem deutschen Stadtrecht, allerdings für die klar definierten Bewohner eines größeren Gebiets. Grundsätzlich waren solche Rechtslösungen im historischen Ungarn nicht ungewöhnlich, da sich die Krone die Loyalität einzelner Gruppen mit spezifischen Aufgaben auf diese Weise sicherte. Gerade die Rechte, die den Deutschen in der Zips in Oberungarn gewährt wurden, sind sehr ähnlich, in Teilen sogar identisch. Die außergewöhnliche Besonderheit des Andreanums ergibt sich erst aus der weiteren historischen Entwicklung.
Für das Rechtsgebiet des An-dreanums wurde der Terminus Fundus regius verwendet, also Königsboden: Hintergrund dafür ist, dass das vergebene Gebiet als Verfügungsmasse des Königs betrachtet wurde und nicht als Land in Adelshand. Schon eine halbe Generation nach dem Erlass des An-dreanums wurde die Gemeinschaft genauso wie das ganze Königreich durch den Mongolensturm 1241 existenziell herausgefordert und in der Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Die gute Rechtsausstattung, Geburtenüberschuss genauso wie nach wie vor anhaltender Siedlerzuwachs erlaubten jedoch eine baldige Erholung. Gleichzeitig veränderte die Krone ihre Verteidigungsstrategie für das ganze Königreich, in der die Siedler ihre spezifischen Aufgaben wahrzunehmen hatten, vor allem durch zunehmenden und planmäßigen Burgenbau.
Die Attraktivität der mit den Rechten des Andreanums ausgestatteten Hermannstädter Provinz strahlte in die Nachbarschaft aus, so dass weitere Gebiete danach strebten, dieses Recht zu erlangen oder es wiederzuerlangen, wenn sie es bei ihrer Gründung bereits einmal besessen hatten: 1315 vermochten die „Zwei Stühle“ mit Mediasch, Marktschelken und Birthälm in den Rechtsverbund aufgenommen zu werden, 1366 folgte der Bistritzer Distrikt (Nösnerland). Der mit eigenen Rechten wohlhabend gewordene Kronstädter Distrikt folgte erst 1422, sehr wahrscheinlich als Folge eines massiven Rückschlags durch die Osmanen im Vorjahr. Die Städte, in erster Linie Hermannstadt und Kronstadt, erwarben – vor allem im 14. Jahrhundert unter den Königen aus dem Hause Anjou – zunehmend eigene (Handels-)Rechte, lösten sich jedoch niemals aus dem Gesamtverband heraus. Vielmehr stritt dieser Verband darum, eigenes Gebiet gegen Herrscher- und Adelswillkür zu erhalten oder es abzurunden. Durch (Fern-)Handel, Edelmetallgeschäft aus dem siebenbürgischen Bergbau, zunehmend auch durchs Handwerk (etwa Rüstungsbetriebe) kamen die Städte und ihre Eliten zu beachtlichem Reichtum. Mit dem Rechtsgebiet der Sachsen als Grundlage wurden diese Stadteliten zu siebenbürgenweit bedeutenden politischen Akteuren, die im Machtgefüge zwischen Krone und Adel eine Rolle zu spielen begannen und von keinem dieser Akteure ignoriert werden konnten. Rund ein Drittel der deutschen Siedlungen verblieb jedoch auf Dauer außerhalb des Rechtsgebiets; das waren jene Siedlungen, die in Folge des Erfolgs des königlichen Siedlungswerks vom Adel auf eigenem Grund angelegt wurden, oft Sekundärgründungen der Überpopulation der früheren Siedlungen. Diese Orte lagen in der Regel unmittelbar benachbart in den Komitaten des Adels, eher selten einzeln in anderssprachiger Umgebung. Die Einwohner dieser Orte hatten zu Beginn zwar ähnliche oder gleiche Rechte wie auf Königsboden, verloren diese später jedoch teilweise und fielen schließlich unter Adelsrecht, sie sanken zunehmend in Unfreiheit und in Leibeigenschaft ab.
Unter König Karl I. Robert kämpfte der Rechtsverband der Sachsen wiederholt um die Wahrung seiner Freiheitsrechte, da das vom gleichen Herrscher 1317 bestätigte Andreanum ausgehöhlt zu werden drohte. Auch wenn die Sachsen im bewaffneten Kampf letztlich unterlagen, so erkannte der König doch die wichtige Position des Rechtsverbands und führte bis 1329 die Struktur der (Gerichts-)Stühle ein, die Städte förderte sowohl Karl I. Robert wie später auch sein Sohn, König Ludwig I., nachhaltig. Im 15. Jahrhundert tauchte der Rechtsverband der Sachsen erstmals als politisch handelnde Einheit auf, als es darum ging, nicht nur die Osmanenbedrohung abzuwehren, sondern auch das Rechtsgefüge des Staatswesens zu wahren: als Teil der Unio Trium Nationum 1437 und öfter danach. Zusammen mit den „Nationen“ = Ständen des Adels und der Szekler war die Nation der Sachsen (natio Saxonum) nun auch Ansprechpartner des Königs. Dieser wiederum beförderte eine längerfristige Entwicklung, bei der sich die Sachsen einer hervorgehobenen Gruppe entledigten, nämlich der Gräfen, die als Kleinadel aus der Ansiedlungszeit hervorgegangen waren. Teilweise wurden sie vom König nach Auseinandersetzungen eliminiert, teilweise wechselten sie in den ungarischen Adelsstand und verkauften ihren Besitz auf Königsboden, oder sie gingen schlicht in der Oberschicht der Sächsischen Nation auf. In der Folge vermochten diese städtischen Oberschichten - die Patrizier, die sich aus ehemaligen Gräfen, aus den cives, den ratsfähigen Geschlechtern, sowie erfolgreichen Kaufleuten und Unternehmern rekrutierten - unter Führung Hermannstadts, den erreichten rechtlichen Status quo vom König 1485/86 als Universitas Saxonum, Sächsische Nationsuniversität, bestätigen zu lassen – als oberste Autonomiebehörde des gesamten Rechtsgebiets. Hier waren alle Stühle und Distrikte unter Führung des Hermannstädter Bürgermeisters oder Königsrichters vertreten. Diese Universität (universitas, Gesamtheit) erließ Bestimmungen, erhob Steuern, führte Bündnisverhandlungen, sprach Recht und setzte es durch. Die sich währenddessen in den Städten zwischen den aufstrebenden und erfolgreichen Handwerkern und den alten Stadteliten aufbauenden sozialen Spannungen fanden um 1500 in den größeren Städten Lösungen in dem Sinne, dass neben den engeren Stadträten zusätzlich äußere Stadträte (Hundertmannschaften, Kommunitäten) gebildet wurden, aus denen sich wiederum künftige Eliten rekrutierten.
Die Nationsuniversität war nun nach gut 250 Jahren die konkrete Ausgestaltung jener Autonomie, die das Andreanum versprochen hatte, oder anders: sie war das an die Bedürfnisse der Zeit angepasste Andreanum. Während man sich im Übergang vom Hohen zum Späten Mittelalter auf königliche Urkunden als Recht setzend berufen konnte, musste es in der deutlich komplexer gewordenen Welt im Übergang von Mittelalter zu Früher Neuzeit schon deutlich konkreter sein. Die Zeit der 1480er Jahre und der Jahrzehnte danach war zwar nachhaltig von der Türkengefahr geprägt, die Stadtbefestigungen waren hochgezogen und ein großer Teil der Dorfkirchen war schon bewehrt. Und der Fernhandel war zwar Richtung Levante durch die Osmanen gegenüber früher eingeschränkt, aber er funktionierte noch, zumal Richtung Mittel- und Westeuropa, und brachte noch immer hohe Gewinne. Das Handwerk war viel stärker geworden und man konnte durchaus zuversichtlich in die Zukunft blicken. Die Gemeinden investierten enorme Summen in die Ausstattung ihrer Gotteshäuser - die kostbarsten sakralen Kunstschätze (etwa die Flügelaltäre) stammen aus diesen Jahrzehnten. Es war durchaus ein kultureller und gesellschaftlicher Höhepunkt, auf dem man sich um 1500 auch in Siebenbürgen befand und nun auch über ein belastbares politisches Instrument verfügte.
In der Nationsuniversität waren alle Stühle und die beiden Distrikte in der Regel mit jeweils zwei Honoratioren vertreten. Sie trafen sich oft zwei Mal, mindestens aber einmal jährlich an St. Katharina in Hermannstadt, zum sogenannten Katharinalkonflux. Meist fanden die Sitzungen im Hermannstädter Rathaus statt, zu Beginn wohl noch in jenem am Kleinen Ring (beim Ratsturm), später dann im sogenannten Alten Rathaus (dem Altembergerhaus), mitunter aber auch im Haus des jeweiligen Königsrichters. Den Vorsitz führte in der Regel der Hermannstädter Bürgermeister, aber auch immer wieder der Hermannstädter Königsrichter, je nach Tagungsort und Situation. Und interessanterweise gehörte der Hermannstädter Rat der Universität ebenfalls an. Wir können also davon ausgehen, dass der Universität etwas über dreißig Personen angehörten. Je zwei für die sieben Stühle (die eigentlich acht waren: die sieben plus der Hauptstuhl Hermannstadt), für die Zwei Stühle (die einer waren, Mediasch und Schelk wurden schon früh als ein Stuhl betrachtet), sowie für die Distrikte Bistritz und Kronstadt. Dazu kam dann der Hermannstädter Stadtrat.
Wenn sich die Universitätsmitglieder zum Konflux zusammenfanden, dann berieten sie im Prinzip über Dinge, die schon das Andreanum vorgab: Aufteilung und Abgabe der Lasten (Steuern), Leistungen für die Krone (militärische Beistandspflicht), wirtschaftliche Belange (Konkurrenz zwischen den Städten), allfällige Streitfälle innerhalb der Nation und Rechtsprechung - letzteres nahm möglicherweise auch den größten Teil der Tagesordnung ein, denn die Universität war auch die höchste Instanz der Rechtsprechung; was hier nicht entschieden werden konnte, musste vor die Tafel des Königs gehen, was man jedoch tunlichst zu vermeiden suchte.
Die Sächsische Nationsuniversität wird in der Literatur immer wieder als eine frühe demokratische Einrichtung angeführt, die Sachsen als ein Demokratiebeispiel für andere Teile Europas gepriesen. Kann das stimmen, war die Nationsuniversität eine demokratische Institution? In gewisser Hinsicht ja, überwiegend aber muss man die Frage verneinen. Wie schon erwähnt, war die Universität für alle Gewalten zuständig: Rechtsetzung, Rechtsprechung und Exekutive. Schon allein diese fehlende Gewaltenteilung legt eine negative Antwort nahe. Aber sie hatte durchaus demokratische Anteile. Zum einen galt nach wie vor das Wort des Andreanum unus sit populus (eins sei das Volk), was auch beinhaltete, dass alle das gleiche Recht haben sollten, also eins und nicht unterschiedlich sein sollten. Das war durchaus gegeben, wenn auch (dem Verständnis der Zeit gemäß) erstens nur für Männer und zweitens nur für solche, die Haus und Hof besaßen. Und dass Vertreter aller Stühle und Distrikte beisammensaßen, selbst wenn ein Stuhl, nämlich Hermannstadt, überrepräsentiert und stark bevorteilt war, hat auch ein gewisses demokratisches Element, wobei man sich keiner Illusion hingeben muss, dass etwa die Stimmen der Stuhlsvertreter etwa von Leschkirch oder Reußmarkt auch nur ansatzweise das Gewicht jener von Hermannstadt, Kronstadt oder Bistritz gehabt hätten - wobei es sicher auch dort auf die jeweiligen Persönlichkeiten ankam.
Die große Zeit einerseits der Bewährung, dann des Wirkens der Nationsuniversität sollte aber noch kommen, nämlich in den nun anbrechenden Jahrhunderten der Krisen und Nöte der Frühen Neuzeit. Das aber ist genauso wie das lange Nachwirken des Andreanums zunächst bis zur Auflösung der letzten Reste der politisch-administrativen Autonomie 1876, dann bis zur Auflösung der die letzten ökonomischen Reste verwaltenden Stiftung Sächsische Nationsuniversität 1937 eine andere Geschichte. Und eigentlich wirkt die auf dem Andreanum fußende jahrhundertelange politisch-administrative Organisationskompetenz bis in die Gegenwart weiter. Denn die Besonderheit des Andreanums besteht eigentlich nicht in den Inhalten der Urkunde von 1224, sondern darin, was die Erben dieses Freibriefs im Laufe der Jahrhunderte daraus gemacht haben. Und wovon sie – bei Lichte besehen – bis heute profitieren. Also ein wahrer Grund, diesen Jahrestag gebührend zu feiern! Gerade auch für die Burzenländer und Kronstädter, denn eine Geschichte unter der Herrschaft des Deutschen Ordens hätte sie niemals jene bürgerliche Freiheit kennenlernen lassen, für die sie während der letzten acht Jahrhunderte durchaus berühmt wurden.
Anm.d.Red: Am 3. August 2024 wird im Rahmen des Großen Sachsentreffens in Hermannstadt eine Ausstellung, gewidmet den 800 Jahren Andreanum, unter gleichem Titel wie der dieses Referates von Dr. Harald Roth eröffnet: „Grundlage bürgerlicher Freiheit: Das Andreanum – 800 Jahre Recht und Verfassung der Siebenbürger Sachsen“.