Im Dorf der Schokolade und Vogelbeobachtung 

Oana Crîngașu und ihr Projekt „Șomartin 65“ in Martinsberg

In der „Kulinarischen Scheune“ sprechen Ornithologe Joe England und Alina Floroi, Koordinatorin für Kultur und operative Abläufe des Sozialunternehmens WeWilder über Vögel.

Kinder versammeln sich um das Teleskop, um den Habichtskauz von Weitem zu beobachten. 	        Fotos: Laura C˛p˛]ân˛ Juller

Ein schöner Wintertag neigt sich dem Ende zu. Der Weg durch die kahlen Hügel schlängelt sich durch die schöne Landschaft am Fuße der Fogarascher Gebirge. „Șomartin / Martinsberg” steht endlich auf einem Schild. Es ist ein Dorf an der Grenze zwischen den Kreisen Kronstadt und Hermannstadt, rund zwanzig Minuten von Großschenk entfernt. Alte sächsische Häuser stehen im Dorf und in der Mitte von Martinsberg, auf einer Anhöhe, steht eine Kirchenburg, deren Grundstein im 13. Jahrhundert gesetzt wurde. Wir erkunden das Dorf. Zwei Menschen treten aus dem kleinen Laden, sonst ist niemand auf der Straße. Auf einem Zaun an der Hauptstraße steht „Miere. Méz. Honey“. Wir klopfen am Tor. Jemand ruft uns in den Hof. Es ist ein Ehepaar, Mitte 50, das uns ins Haus bittet und uns lange erzählt. Der Mann hat jahrelang in Deutschland gearbeitet, zog allerdings der Liebe wegen nach Martinsberg, wo er ein Haus kaufte und eine Bienenzucht begann. Seine Frau Gyöngyi bedient uns mit Gebäck und wir dürfen vier Honigsorten kosten, kaufen ein Glas von jedem und machen uns auf den Weg. 

Ein Ort der Begegnung für Touristen aus dem In- und Ausland 
„Wenn Sie einen Stapel Ziegeln sehen, sind Sie angekommen“, sagt Oana Irina Crîngașu am Telefon. Gebürtig aus Urziceni im Kreis Ialomi]a hat sie immer davon geträumt, ein Haus in einem siebenbürgischen Dorf zu haben. Nach jahrelanger Tätigkeit im Bankwesen in Bukarest ist sie ihrem Traum nachgegangen und hat in Martinsberg ein sächsisches Haus gekauft, das sie renoviert. Derzeit ist neben dem Stapel Ziegeln ein kleines schickes Häuschen zu sehen, an deren Seiten zwei andere Häuser stehen – eines ist ziemlich verfallen, das andere im Bau. Doch sobald man den Hof von „[omartin 65“, Crînga{us Anwesen, betritt, eröffnet sich eine ganz andere Welt: ein kleiner Hof mit einer Scheune mit großen Glasfenstern, durch die man bis in den dahinterstehenden Wald hinein sieht. Oana Crîngașu hat hier einen Ort der Begegnung geschaffen, in dem sich Touristen aus In- und Ausland in einer lockeren Atmosphäre an feinem Essen, aber auch an interessanten Veranstaltungen wie Workshops für Zeichnen, persönliche Entwicklung, verschiedene Handwerke oder finanzielle Beratung erfreuen. Es werden auch kleine Theaterstücke vorgeführt und private Events durchgeführt.

Ein unvergesslicher Geschmack
Für die Gastronomie hat die Unternehmerin eine besondere Schwäche. „Die kommt wohl davon, dass beide Großmütter sehr gut gekocht haben. Eine von ihnen hat als Köchin des Dorfes bei großen Festen gekocht“. So hat Oana einen Kochkurs besucht und setzt das Gelernte nun in ihrer „Kulinarischen Scheune“, wie sie genannt wird, um. Sie kocht mit lokalen, saisonalen Produkten aus der Gegend, sogar das Omelett beim Frühstück schmeckt so gut, dass wir um Nachschub bitten. Ganz anders ist es mit der Schokolade, die sie herstellt. Wir müssen sie bitten, den Teller wegzuräumen, damit wir ihn nicht komplett leeren. Oana Crîngașu hat ein traditionelles Rezept mit Gewürzen, Früchten und Nüssen verbessert und sagt ganz selbstbewusst: „Es gibt in ganz Rumänien keine so gute Schokolade wie meine“. Schon während der Zeit in der Bank, hat sie ihre Kollegen und Bekannten damit begeistert, jetzt ist „[omartin Chocolate“ bei Märkten lokaler Produzenten im Harbachtal, in manchen Läden in Hermannstadt und auf Bestellung erhältlich. Am besten ist es aber, man fährt selbst bis nach Martinsberg und kostet sie frisch, direkt vor Ort. Noch in diesem Jahr soll die Schokoladenwerkstatt fertiggestellt werden – dann kann man der Unternehmerin dabei zusehen, wie sie ihr Lieblingsprodukt herstellt. Es ist aber vorauszusehen, dass sie die Geheimtipps für den unvergesslichen Geschmack leider für sich behalten wird.

Sächsisches Haus renoviert
„Ich renoviere alles schön der Reihe nach“, sagt Oana. Als sie vor vier Jahren das Haus in Martinsberg kaufte, hatte sie eine idyllische Vorstellung vom Leben auf dem Dorf, Bilder aus der Kindheit kamen hervor, als sie mit ihrer Großmutter auf den Hügeln wanderte und am Bach spielte. „Ich habe mir immer gewünscht, ein sächsisches Haus in einem Dorf zu renovieren. Das ist aber nicht so idyllisch und romantisch, wie ich mir das vorgestellt habe, denn es steht sehr, sehr viel Arbeit dahinter“.

Anfangs, als sie das Grundstück mit den abgetragenen Bauten kaufte, hat sie an Stelle des ehemaligen Hühnerstalls ein charmantes Häuschen für den Eigengebrauch errichten lassen. Mittlerweile vermietet sie es, lässt auch Touristen die Freude, im Winter Holzscheite in den Kamin zu legen und das Lodern des Feuers zu beobachten. Die Scheune hatte aber auch Priorität. Sie war von Anfang an der Mittelpunkt der Idee hinter „[omartin 65“ – ein Ort, um Menschen zusammenzubringen, sie zu verwöhnen und Gemeinschaft zu schaffen. Vor allem an Wochenenden kommen Gäste von nah und fern, die sich hier entspannen und neue Energie schöpfen wollen, sagt Oana Crîngașu. Viele nehmen an ihren Veranstaltungen teil. 
Die Frau selbst kommt jedes Wochenende ins Dorf. Hier findet sie Ruhe nach einer Arbeitswoche in Hermannstadt, ihrer Wahlheimatstadt, wo sie Seminarien an der Universität hält oder Finanzberatung macht.

Die Mittvierzigerin ist nur eine von mehreren Stadtmenschen, die sich in Martinsberg und Umgebung verliebt haben. Künstler aus Bukarest, aber auch Holländer und Deutsche entschieden sich für ein ruhiges Leben hier. „Auch ein paar Freunde von mir, die mich besucht haben, kauften ein Haus und renovieren es derzeit“. Im Zentrum sehen wir, dass auch die alte Schule grundüberholt wird. Doch befinden sich noch viele Gebäude im Dorf in schlechtem Zustand. „Ich hoffe, dass das Dorf sich nicht so stark touristisch entwickelt wie andere, damit die Ruhe und Gelassenheit erhalten bleiben. Wir wollen, dass der Tourismus zum Erhalt der Kultur beiträgt und nicht zur Ausbeutung.“

Vögel als Apotheker, Architekten und Baumeister
Wir sind hier für einen Tag, der den Vögeln gewidmet ist: Vogelbeobachtung auf den Hügeln, Bauen von Vogelhäuschen und gemeinsames Mittagessen.

„Dieser Vogel ist der Baumeister des Waldes. Er schlägt mit dem Schnabel kleine Löcher in die Stämme, die dann zu Häusern für andere Vögel werden“, erklärt Joe England, britischer Ornithologe, den zahlreichen Anwesenden in der Scheune von „[omartin 65“ über den Specht. Er lebt seit einigen Jahren in Holzmengen und leitet, unter anderen, Touren zur Vogelbeobachtung in der Gegend. „Alle Vögel haben einen Job: die Blaumeise bei-spielsweise ist der Apotheker des Waldes. Sie sammelt Pflanzen mit antiseptischer Wirkung, wie Lavendel und Rosmarin und ernährt sich von Blattläusen. Sie hält den Wald gesund“, erklärt er anhand von Bildern auf einer Leinwand.

Etwa 40 Leute, davon viele Eltern mit Kindern, sind erstaunt über die Vielfalt an Vögeln, die in der Gegend von Martinsberg im Harbachtal leben. Zu den 28 in Eu-ropa geschützten Vogelarten gehört auch der Schreiadler. Die Gemeinde Bruiu, zu der Martinsberg gehört, ist Teil des Natura-2000-Netzwerks zum Schutz von gefährdeten wildlebenden heimischen Tier- und Pflanzenarten und ihrer natürlichen Lebensräume.
Werkstatt für Vogelhäuschen

Einige dieser Vogelarten hoffen wir, bei der Vogelbeobachtungs-Tour zu sehen. Die Bäume sind noch kahl, da bestehen große Chancen, die Vögel auf den Ästen zu sehen. Nach dem Mittagessen in der „Kulinarischen Scheune“ ziehen Groß und Klein los. Nur wenige Gehminuten von der Scheune entfernt stellt Joe ein professionelles Fernrohr auf und zeigt uns die erste Überraschung: ein Habichtskauz in der Nische eines Schornsteins. Er hat den Kopf in seinem hellen Gefieder versteckt und schläft. Das soll der einzige Vogel sein, den wir bei der Wanderung sehen. Das fröhliche Geschnatter der Kinder und Erwachsenen erschreckt wohl die Vögel. Dennoch ist die Gruppe zufrieden und freut sich über die Schönheit der Hügel, Pflanzenarten und der frischen Luft.

Im Garten, hinter der Scheune rührt Alina, eine junge Frau aus dem Dorf die Oana aushilft, im Kessel das Gulasch. Sie fügt Gewürze aus mehreren kleinen Tütchen hinzu, blickt ab und zu auf die Wiese und den Wald, die sich hier erstrecken. Im Hintergrund sind elektrische Bohrmaschinen zu hören. Kinder, Eltern und Gäste auch aus Indien oder Frankreich bauen eifrig an ihren Vogelhäuschen. Nicolae, der den Workshop leitet, hat Vorlagen mitgebracht und erklärt laut, wie man ein Holzhäuschen zusammenstellt. Schon die Kleinsten hauen kräftig mit Hämmern auf die Nägel, Grundschüler meistern elektrische Bohrmaschinen wie Profis. Nach dem schönen Tag in Martinsberg, wissen wir, dass wir wiederkehren werden.