Wie von Geisterhand geleitet schlagen die drei Grazien den Weg in Richtung Tiber ein, den man über die Engelsbrücke überquert und landen so bald am Petersplatz. Der Platz ist abgeriegelt, aber hell be- und erleuchtet. Der Dom ist zu sehen, umgeben von Säulen und Statuen, der Balkon des Papstes und der Obelisk mitten auf dem Platz. Die Fenster sind dunkel und doch strahlt ein heller Schein zu einem herüber. Erschöpft und schon tief beeindruckt kehrt man ins Hotel zurück.
Der zweite Tag ist zunächst den Foren gewidmet, den Eintritt gewährt uns das gleiche Ticket wie am Vortag ins Kolosseum, und da es nicht einmal 10 Uhr ist, sind anfangs verhältnismäßig wenige Besucher im Forum Romanum. Die Meisten drängen sich am Eingang zum Kolosseum, das übrigens an diesem Morgen als scharfer Schattenriss im Gegenlicht der Sonne am vollkommen wolkenlosen Himmel auszumachen ist.
Tempel, die in der frühen Christenzeit bereits in Basiliken umgebaut worden waren, die Curia, darin der römische Senat tagte, heilige Stätte, einige Katakomben ähnliche Zellen, in denen Prostituierte ihrem Gewerbe nachgingen, das vermeintliche Grab von Julius Cäsar, auf dem immer ein Strauß frischer Feldblumen liegt, Anlagen, auf denen römische Herrschaften gewandelt sind, das alles breitet sich vor einem aus: Ein grandioses Freilichtmuseum, darin Bauwerke, deren Ursprung über 2000 Jahre zurück liegt, in ruinösem Zustand für die Ewigkeit konserviert worden sind und einen in den Bann ihrer enormen Zweideutigkeit ziehen. Man befindet sich im Reich der Reglosigkeit und kann trotzdem die Geräusche des Lebens wahrnehmen, den eigenen verhaltenen Atem, das Plätschern des Wassers im Brunnen, das leise Knirschen der Schritte auf dem Kiesweg, den Flügelschlag Dohlen ähnlicher Vögel über dem Kopf. Der Weg windet sich bergauf zum Palatin, von wo das gesamte Areal als nach höherem Willen durcheinander gewirbelte, zum Teil umgestürzte, zum Teil stehen gelassene Steinkolonaden, Säulen, Kapitälen, Stufen, Bögen, Giebel und Wände anzusehen ist und sich einem als ausgedehntes Spielbrett der Götter und Cäsaren offenbart, auf dem sich Geschichte verkörpert. Ein monumentales Lapidarium: Es liegt offen unter dem septemberklaren Himmel. Vor Jahrtausenden jedoch muss viel Schatten gelegen haben zwischen den Tempeln und Basiliken, dass einem Schauer über den Rücken liefen, selbst bei heißem Sonnenschein. Man verstummt und geht in sich, bevor man sich erneut auf den Weg macht. Man geht streckenweise barfüßig über die flachen, runden Steine, mit denen die Wege zum und vom Palatin gepflastert worden waren.
In den Kaiserforen gegenüber kann man auf hölzernen Rängen sitzen und sich etwas ausruhen, während man das im Verfall erstarrte Mauerwerk mit seinen unterschiedlichen Schichten und Wölbungen in Ruhe betrachtet. Irgendwo auf der Trajanssäule müssen auch dakische Krieger und Hirten mit ihren Schafen auszumachen sein. Man versucht sich vorzustellen, wie die Säule errichtet worden war, wie eine Torte vielleicht, indem man einen Zylinderblock auf den andern hob, nachdem jedes einzelne Stück mit dem entsprechenden Relief ausgestattet worden war. Auch das alles das Produkt künstlerischer und technischer Genialität und…des Todes.
Schon recht erschöpft (trotz der mittäglichen Stärkung in einer kleinen Pizzeria gleich vor dem Eingang zu den Kaiserforen) erreicht man die von Menschen dicht umstellte Fontana di Trevi und danach das Pantheon, mit seinen beeindruckenden Monolithsäulen und der Kassettenkuppel. Der Platz davor ist ebenfalls voller Menschen. Bevor man weiterzieht, ist ein Eis gefällig: Die Gelateria Di San Crispino bietet das beste Eis in ganz Rom, heißt es, und genau das tut sie! Man kehrt mehr oder weniger ver-sehentlich zum Trevi-Brunnen zurück und nachdem man dort verbotener Weise die linke Fußspitze in das Wasser des Brunnens taucht und sich im gleichen Augenblick die herbe Mahnung eines wachsamen Carabiniere einhandelt, geht es zur Piazza di Spagna, wo man sich auf die Stufen der Spanischen Treppe hatte setzen wollen. Eine Sache der Unmöglichkeit, wie sich bald herausstellt: Die Treppe ist mit einem Belag halb verhüllt, sie soll gerade renoviert worden sein und stehe kurz vor der Wiedereröffnung. Der Zugang ist abgeriegelt, Vorbereitungen für ein zeitgenössisches Tanz- und Musikspektakel sind in vollem Gange, zahllose Schaulustige drängen sich vor der Absperrung, so auch wir Kronstädter drei Grazien.
Auch am folgenden Tag sollte die Treppe noch nicht freigegeben sein, es wird wohl eher am Ende der Woche geschehen, wenn man bereits den Rückflug angetreten haben wird. Und ohne zu wollen findet man sich, wie am Vorabend, auf der Piazza Navona wieder. Zeit, ein Glas Prosecco zu trinken, zur Feier dieses Tages und des Tages davor und der ungezählten Tage der Cäsaren und Päpste davor und natürlich auf die Tage, die noch kommen mögen. Zum Abschluss isst man teuren, aber ganz frischen Fisch aus dem Mittelmeer und freut sich über den Limoncello, der an diesem Abend aufs Haus geht.
Am dritten Tag, dem Mittwoch, stehen die Villa Borghese und der dazugehörige Garten auf dem Programm. Rilkes Römische Fontäne mit deren zwei Becken, „eins das andere übersteigend“, ist bald gefunden: Eher unscheinbar, bar jeglicher Ornamentik, ist sie doch sehr schön, vielleicht auch deswegen, weil man sie längst als poetisches Artefakt ins Herz geschlossen hat. Der Garten ist im Grunde ein riesiger öffentlicher Park, wo täglich Leute ihre Hunde spazieren führen, joggen oder Rad fahren. Hunde spielen mit einander und jagen Stöckchen hinterher, sie dürfen das, es gibt dafür ausgesuchte weitläufige Plätze, nicht nur hier im Borghese Garten, sondern in jedem größeren oder kleineren Park Roms und im Circo Massimo, dem Großen Zirkus, einer Kombination aus Hippo- und Velodrom, der Circodrom der alten Römer sozusagen, in dem sie in ihren Streitwägen gegeneinander im Wettlauf antraten.
(Fortsetzung folgt)