Schon vor den Stufen zum Eingang der Moschee müssen wir unsere Schuhe ausziehen und sie in einem eigens zur Verfügung gestellten Plastikbeutel mitnehmen. Wer kein Kopftuch dabei hat, bekommt eines, Besucher, die kurze Hosen tragen, bekommen einen rockähnlichen Umhang. Erweckt die Moschee von außen den Eindruck einer mehrstöckigen Festung, deren Mitte von einer Kuppel beherrscht wird, mutet sie im Innern auf einen ersten Blick doch sehr nüchtern und karg an. Das Innere der Kuppelwölbung ist mit einem von Blau dominierten Filigranmuster verziert, ebenso die Seitenwände und hohen Stützpfeiler. Bei näherer Betrachtung sehen wir, dass die Wandverzierung aus Kacheln besteht.
Das Hauptmotiv der Muster stellt die Tulpe dar. Koransuren bilden eine Art Spruchband, das die Höhe der Wände säumt. Da die Gebetsstunde noch etwas weit entfernt ist, sehen wir nur zwei oder drei Männer im für uns abgesperrten Gebetsraum knien. Der Raum ist beeindruckend, aber er vermag (noch) nicht das Empfinden von Demut und Gottesehrfurcht in mir hervorzurufen, obschon die Höhe der Kuppel und die Kargheit des Schmucks der Form und Ausstattung einer evangelischen Kirche nicht ganz unähnlich scheinen. Erst später, am zweiten Tag, als wir die Moschee des Suleyman besichtigen, verspüre ich das Bedürfnis auf Andacht, hocke mich auf den Teppich und spreche ein stummes Gebet. Ob sich Allah über mein deutsches Vaterunser etwas ärgert? Ich denke nicht, denn er muss sicher die Offenheit, die Freundlich- und Gutmütigkeit der Menschen, die wir hier angetroffen haben, teilen.
Die Hagia Sophia oder Ayasofya, die Kirche der göttlichen Weisheit, auch sie von außen ein wehrburgähnlicher, streng abweisender Bau, offenbart sich uns als christliche Reliquie hinter islamischem Gedankengut und Mauerwerk. Ein geistiges und geistliches Gerangel sozusagen um göttliche Gunst. Ein dichtes Gerüst steht mitten in der Kirche, erhebt sich bis unter die Mittelkuppel. Die Traversen sind mit dickem Staub bedeckt. Selbst wenn immer noch kein Andachtsempfinden bei mir aufkommt, kommt immerhin Ehrfurcht vor der Geschichte auf, die sich in diesem Bauwerk für immer eingenistet hat.
Es ist hoher Mittag und Istanbul betet. Wir wollen vor dem Essen doch noch etwas sehen: Die Zisternen (Yerebatan Sarnici, der versunkene Palast), deren Eingang sich westlich von der Hagia Sophia und zwar auf der anderen Seite des Meydans befindet. Als Wasserspeicher für den Palast wurde das unterirdische Wunderwerk, das auf korinthischen Säulen steht, Anfang des 6. Jahrhunderts angelegt. Im Wasser schwimmen riesige Fische, deren Schuppen sehr hell sind, beinahe weiß, man sieht sie vor allem dort, wo der Schein der Säulenbeleuchtung das Wasser etwas erhellt.
Nun ist aber allerhöchste Zeit für eine Stärkung. Wir entscheiden uns für ein Lokal, in dem es ganz nie-drige Tische gibt und große Sitzkissen drum herum. Das Lokal ist gut besucht, aber die freundliche Bedienung, die übrigens ausschließlich männlich ist in allen Kneipen und Cafés, weist uns sofort einen der runden Tische zu, um den wir uns auf die Kissen fallen lassen, in der Hoffnung, nach beendeter Mahlzeit auch möglichst elegant wieder aufstehen zu können. Wir bestellen gefüllte Auberginen, Weinlaubwickel mit Couscous-Füllung und türkische Palatschinken mit Käse und Spinat, deren Zubereitung den Frauen in kauernder Stellung gleich neben dem Eingang zur Kneipe vorbehalten ist. Zum Essen hätten wir gerne türkisches Bier getrunken, müssen allerdings mit globalisiertem Tuborg vorlieb nehmen, aber das kennt man ja von zuhause. Am zweiten Abend werden wir dann auch ein echtes Efes trinken. Das Essen mundet uns vorzüglich und es ist auch nicht so belastend, dass wir nicht aufstehen könnten.
Am Nachmittag bummeln wir im Stadtteil Eminönü zum großen Basar, wo wir sofort dem Charme der Anlage und der Händler erliegen. Der gedeckte Basar besteht aus schnurgeraden Bogengängen, die sich immer wieder kreuzen und von prächtig schillernden Kiosks oder Boutiquen gesäumt sind, darin allerhand Waren locken. Sobald die Händler das Interesse der Besucher wahrnehmen, beginnt schon das Feilschen und man kommt nicht davon, ohne am Ende doch etwas gekauft zu haben. Schließ-lich stehen wir am Anleger Eminönü unter der Galata-Brücke und blicken auf das Goldene Horn und den Bosporus. Über unseren Köpfen dichtes, graues Gewölk, unter dem das Nachmittagsgebet wie auf einem fliegenden Teppich dahin schwebt. Wir werden wohl kaum auf der Dachterrasse unseres Hotels zu Abend essen können. Es regnet wieder. Und es regnet auch am nächsten Morgen weiter. Zum Sonntag das Wort des Regens.
Flucht in den Serail
Die Besichtigung des Topkapi steht an und wir stehen ebenfalls an, um Eintrittskarten zu erwerben. „Umbrellambrellambrella!“ rufen junge Türken und strecken einem Regenschirme mit durchsichtiger Überspannung entgegen. Die Schirme kosten 10 türkische Lira und finden sofort Absatz. Ein einträgliches Geschäft an diesem verregneten Sonntag in Istanbul. Das Topkapi, des Sultans Serail, liegt in einem riesigen Garten, in dem Orangen-, Feigen-und Kastanienbäume, aber auch Platanen, Pinien und Zedern wachsen. Anders als die Prunkschlösser westeuropäischer Königsdynastien besteht der Sultanspalast aus mehreren Gebäudekomplexen: Dazu gehören die Küchenräume, in denen Scharen von Köchen für den Sultan, seinen Hofstaat, seine Janitscharen, aber auch für das bedürftige Volk vor den Palastmauern die köstlichsten Speisen zubereiteten. Wir sehen die Feuerstellen und die großen Gefäße, die an eisernen Ketten von der Decke über die Feuerstellen hingen. Wir sehen auch die auserlesenen Teller und Terrinen, das Besteck und die Gläser und Karaffen, die der Sultan besessen hat: Geschenke aus China und Japan, aus Russland, Deutschland und Frankreich, aber auch Erbeutetes nach erfolgreichen Eroberungszügen. Zu bewundern sind in anderen Teilen des Serail die Kaftane und Turbane verschiedener Sultane, deren Schmuck in Form von Turbannadeln („Egret“), Ringen und Anhängern, und deren vergoldete und mit Perlmutt und Edelsteinen besetzten Throne. Reliquien aus Mohammeds und Abrahams Zeiten gehören ebenfalls zu den Schätzen des Topkapi. Den Abschluss der Tour bildet die Besichtigung des Harems. Just als wir den Harem betreten, reißt das düstere Sonntagsgewölk zum ersten Mal auf und lässt Hoffnung auf eine Wetterbesserung aufkommen. Und das geschieht dann auch, als wir den Harem verlassen. Die Kraft der weiblichen Anmut, ihrer Grazie und Sinnlichkeit bricht ihren Stab über den Regen.
Am Nachmittag erklimmen wir eine steile Straße, die zur Moschee des Suleiman hinauf führt. Das Nachmittagsgebet breitet sich bereits unter überwiegend blauem Himmel über die Stadt. Auf dem Rückweg zu unserem Hotel stoßen wir auf den Gewürzbasar. Gewürze kaufen wir keine, dafür aber einen „ibric“ aus Kupfer, so sehr haben wir uns in den Genuss von türkischem Kaffee verliebt.
(Fortsetzung folgt)