Dazu muss ich unbedingt eine Kaffeemühle erwerben, wie sie in meiner Kindheit von Tanti Muzzi benutzt wurde, um ihren wunderbaren Kaffee aus den frisch gemahlenen Kaffeebohnen brauen zu können. Am Abend dieses Tages sind wir zu müde, um wo anders zu essen als im Dachrestaurant des Megara. Hamsi (Anchovis) stehen auf dem Menü und zur Belebung der Geister trinken wir vorher wieder einen Raki. Es gibt sogar Life-Musik: Sarp Bagcan singt amerikanische Schlager der Glenn-Miller-Zeit, aber auch eigene Kompositionen, türkische Romanzen, dazu begleitet er sich an der Gitarre. Er hat eine angenehme Stimme, die uns beinahe zum Tanzen verführt.
Einmal Bosporus und zurück
Der Montag ist endlich ein sonniger Tag, wie im Bilderbuch möchte man sagen. Wir fahren mit der T1 eine Haltestelle weiter als sonst und steigen jenseits der Galata Brücke aus, um zum Galata Turm hinaufzusteigen. Von ganz oben bietet sich uns nach allen Seiten ein überwältigender Ausblick auf die Unermesslichkeit dieser Stadt: Die einzelnen Stadtteile liegen wie Riesenkraken auf Anhöhen dies- und jenseits des Goldenen Horns und des Bosporus, man sieht die schnurgeraden Straßen zwischen den dicht gedrängten Dächern und Kuppeln, daraus größere und kleinere Moscheen mit ihren Minaretten wie Heilsinseln herausragen.
Unser Weg führt vom Turm über eine Einkaufsmeile zum Taksim Platz, der heute ruhig im Sonnenschein erstrahlt. Wir können uns an den Kebab-Ständen gar nicht mehr satt sehen, während wir den schmalen Straßen folgen, und, wie am Abend unserer Ankunft, scheint uns eine unsichtbare Kraft in die gute Richtung zu leiten: Wir landen am Eminönü-Anleger, woher bald unsere Bosporus-Fahrt beginnen wird. Wir setzten uns auf das offene Oberdeck, ziehen unsere Jacken dieses Mal als Schutz gegen den Wind an und dann lassen wir das europäische Ufer von Istanbul mit seiner Skyline, einem faszinierenden Gemisch von Orient und Okzident, zu unserer Linken und das asiatische Ufer, mit seinen in die Steinhänge hinein gebauten Villen zu unserer Rechten vorbeiziehen.
Die asiatische Seite von Istanbul kann man entweder mit dem Bus über mehrere Brücken, die den Bosporus überqueren, oder mit der Fähre erreichen. Wir nehmen die Fähre und sind in zehn Minuten drüben. Der asiatische Teil hat das Flair der Peripherie, hier herrscht das Treiben des Alltags, Menschen wohnen hier, sie pendeln mit der Fähre täglich zu und von ihren Arbeitsplätzen und gehen dann am späten Nachmittag einkaufen. Auch hier finden wir den Weg zum Basar: Es ist ein regelrechter Viktualienmarkt, Fischhändler preisen ihre Ware an, zeigen den Kunden den frischen Thunfisch, werfen Makrelen auf die Waage, bieten einem Muscheln mit Pilaf zum Kosten an. Es gibt jede Menge Gemüse und Obst, den türkischen Honig in allen erdenklichen Variationen, Baklava und Kataif, in Honig getränkte Krapfen von der Größe eines Taubeneis, Sorbet und türkisches Eis, Apfeltee in tulpenförmigen Gläsern und natürlich den auf Sand gebrauten türkischen Kaffee, den man je nach Wunsch mit oder ohne Zucker vorgesetzt bekommt, am besten gleich auf der Straße.
Den letzten Abend in Istanbul beginnen wir mit einem Festgelage: Die Bedienung ist etwas erstaunt über unsere Raki-Bestellung, man möchte sich versichern, ob die Damen auch wüssten, worauf sie sich einließen. Eine Vorspeisenplatte soll die allzu heftige Wirkung des Anisschnapses mildern. Danach essen meine Freundinnen Dorade und ich einen Wolfsbarsch vom Grill. Den Abend lassen wir dann bei einer „Nargile“, einer Wasserpfeife, und Apfeltee ausklingen. Während wir drei uns auf den Sitzkissen rekeln, abwechselnd an der Nargile ziehen und uns in den aromatischen Rauch einhüllen wie in Suleikas Schleier, können wir nur noch ausgelassen herumalbern. In der Ecke gegenüber sitzen zwei Paare, junge Leute, die sich in deutscher Sprache unterhalten: Es sind Nachwuchsakademiker, die sich angeregt über eine sehr geschätzte Professorin und deren Fortbildungsmethoden auslassen. Sie tun das in höchsten Tönen, Wörter wie „Kompetenz“ und „Leistung“ fallen immer wieder und wir, Kronstädter drei Grazien im Rausch unserer vielfältigen Eindrücke, können uns über den eifrigen Nachwuchs nur noch mokieren.
Hunde, Katzen und der kleine Muck
Am nächsten Morgen heißt es für uns packen und das Zimmer räumen. Immerhin haben wir noch Zeit für einen ausgedehnten Bummel und letzte Einkäufe für uns und die Hundesitter von zuhause, für ein letztes Auberginenessen und einen türkischen Kaffee auf dem Platz vor der Hagia Sophia.
Beinahe hätte ich sie vergessen: Die zahllosen Hunde und Katzen, die die Straßen und Gärten von Istanbul beleben! Von den Menschen gehegt und gepflegt leben sie friedlich in aller Öffentlichkeit, niemand nimmt Anstoß an ihnen, niemand erliegt Hysterieanfällen beim Anblick eines Hundes, der einem gerade freundlich wedelnd entgegenläuft und sich dann sofort auf den Rücken wirft, wenn man ihm gut zuredet. Er fordert ein paar Streicheleinheiten ein, danach geht er seines Weges oder bleibt einfach liegen und tut ein Schläfchen. Ein Straßenhändler, das sehe ich, führt gleich zwei Schachteln mit Katzenfutter in seinem Wagen mit, damit jede der beiden rothaarigen Katzen, die er täglich an der gleichen Straßenecke füttert, auf ihre Kosten kommt. Sie danken es ihm, indem sie ihn liebevoll umschmeicheln und laut schnurren. Da fehlt wirklich nur noch der kleine Muck mit seinen Laufpantoffeln und dem Wunderstab. Und kaum, dass ich das denke, prescht er auch schon auf einem wendigen Moped an uns vorbei.
Was wäre noch? Die Straßen in Istanbul sind rein, die Menschen freundlich, man wird nicht angepöbelt, in den Gaststätten wird man schnell bedient, es dröhnt nirgendwo laute Musik, auch dort, wo sich die Derwische in göttliche Trance um ihre eigene Mitte drehen, kann man sich in normaler Tonlage miteinander unterhalten.
Der Abschied von Istanbul fällt mir ebenso schwer wie früher der Abschied von Konstanza und dem Haus der türkischen Familie Ibraim, bei der meine Eltern und ich und später nur meine Mama und ich wenigstens zwei Wochen während der Sommerferien verbringen durften. Woher stammt diese unerwartete Rührung und Sehnsucht? Vielleicht gibt es in der Tiefe meiner siebenbürgischen Seele doch ein Körnchen Orient.
(Schluss)