Ja, es war schön in Wien, in Wien ist es immer schön!

Humoriges am Rande einer Reise der Kronstädter Drei Grazien

Die Drei Grazien in Wien

Das Hundertwasserhaus. Foto: die Verfasserin

Prolog oder die Fahrt im Dacia-Express
Covid, Krieg und andere mehr oder weniger ernst zu nehmende Katastrophen haben der Reiselust der meisten Menschen zeitweiligen Abbruch geleistet. So liegt die letzte große Reise des kompletten  Trios der Kronstädter Drei Grazien sage und schreibe sieben Jahre zurück – man erinnert sich vielleicht, es handelte sich um eine einwöchige Romreise, über die  man damals zu schildern beliebte – während zwei Drittel des Trios sich vor vier Jahren eine Woche in und um Neapel aufhielt – auch darüber wurde berichtet. Da mittlerweile alle drei Grazien zum Status fröhlicher Rentnerinnen avanciert sind, Covid angeblich weniger wild agiere und man nie wisse, wie lange man in Sicherheit reisen könne, machen sich die Kronstädter Drei Grazien, A., M. und meine Wenigkeit am 4.06.2023 auf den Weg nach Wien, wo man bis zum 9.06. 2023 zu verweilen gedachte. Aus nostalgischen Gründen hat man sich für eine Zugfahrt mit dem von CFR betriebenen Dacia-Express entschieden, der um 17.21 Uhr pünktlich aus Kronstadt/Brasov losfährt und in fast mehr als drei-und-einhalb Stunden in Schäßburg/Sighisoara erst Halt macht. Es werde an den Schienen gearbeitet, wird uns gesagt, der Zug fährt halt wie er kann, im Schneckentempo. Auch gut, denn überall blüht hübscher roter Mohn an den Feldrändern und an den Schienen entlang, man kann ohne Weiteres einen Strauß pflücken, sich ein poetisches Kränzchen aufs Haar setzen, oder wenigstens die eine oder andere Blüte zum  Mitnehmen pressen und später ins Stammbuch der Freundin kleben... Zu der Zugfahrt habe ich mich  nur überreden lassen, weil man mit dem Schlafwagen fahren will. Allerdings erweist sich das Sitzen auf dem unteren Bett der gemeinsamen Kabine als recht unbequem, denn das mittlere Bett darüber lässt sich zwar hochklappen, aber  nur so weit, dass man  mit leicht gesenktem Haupt und gekrümmter Wirbelsäule nebeneinander sitzen kann. Vor allem für mich erweist sich dann später auch das Liegen auf dem obersten Bett als nicht besonders angenehm und  das nicht nur wegen der Hitze. Beim nicht nur sehr lauten, sondern auch heftigen Hin-und-Her-Gerucke des immerhin ab Simeria mit Höchstgeschwindigkeit rasenden Zuges, muss ich befürchten, möglicherweise bei einer stärkeren Ruckbewegung vom Bett zu fallen. Früher gab es Sicherheitsgurte für das obere Bett, meine ich mich zu erinnern und tatsächlich finde ich ein Halfter, das anzubringen höhere Kunst und Wissenschaft erfordert, wie sich bald herausstellt. Es gelingt uns mit vereinten Kräften, das Ding irgendwie anzubringen, dass ich zumindest die Illusion habe, gesichert zu sein. Immerhin hat das Geschirr eine Tasche, in die ich meine Brille, den Pass und mein Buch hineinlegen kann, um alles griffbereit zu haben im Falle eines Falles, sozusagen...

Ankunft im Deja-vu
Die Nacht verläuft, wie eine Nacht im Schlafwagen des Dacia-Express eben verlaufen muss: kurz nach 1.30 Uhr klopfen die rumänischen, danach die ungarischen Grenzpolizisten an unsere Tür, überprüfen unsere Papiere, unsere Visagen, zum Schluss kommt noch einer mit einem spiegelähnlichen Gegenstand, der in die Kabine gehalten wird. Alles in Ordnung, wir schmuggeln nichts, sind unbescholtene Bürgerinnen eines respektablen EU-Landes. Meinen siebenbürgischen Schnaps entdecken sie nicht... Es geht dann zügig weiter und unser braver Dacia-Express kommt 8.20 Uhr am Montag, dem 5.06., pünktlich am Wiener Hauptbahnhof an. Wir besorgen uns je eine Wochenkarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel der Wiener Linien und begeben uns zur U1, die uns bis zum Stephansplatz bringt, wo wir in die U3 umsteigen und zur Neubaugasse fahren, wo wir den Ausgang zur Mariahilfstraße nehmen, denn unser Hotel - es heißt Continental Hotel-Pension - liegt an der selbigen, Ecke Kirchengasse. Das klingt nicht nur gut, das ist sogar gut, sehr gut!

Das Hotel ist in der ersten Etage über dem Zwischenstock eines imposanten Hochhauses und wird von einer ungarischen Familie geführt. Der ältere Herr an der Rezeption begrüßt uns ebenso freundlich wie distinguiert, spricht höflich und zurückhaltend, er fordert uns auf, uns an dem Frühstücksbüfett zu bedienen und unser Gepäck zunächst abzustellen und einen ersten Erkundungsspaziergang in die Innenstadt zu machen, denn unser Zimmer sei erst ab 13 Uhr beziehbar. Gerne folgen wir seiner Aufforderung und begeben uns in den adretten Frühstücksraum, zumal wir noch etwas wacklig auf den Beinen stehen, nach der nächtlichen Zugfahrt, es rauscht in unsern Ohren und die Köpfe brummen.

Vom Hotel ist das Museumsquartier in wenigen  Minuten zu erreichen und von dort ist es im Grunde ein Katzensprung bis zur Hofburg, in den Graben und zum Stephansdom. Wir bummeln ziellos immer der Nase und den Erinnerungen nach. Denn keine von uns ist zum ersten Mal in Wien und jede von uns erlebt das eine oder andere Deja-vu. Es zieht einen in den großen Städten im Grunde immer zu den gleichen Plätzen, von denen man meint, man kenne sie lange, bevor man sie mit eigenen Augen gesehen und auf eigenen Füßen begangen habe. So ist es uns vor Jahren in Paris gegangen, danach in Prag und in Rom und nun in Wien.

A. möchte unbedingt die Schatzkammer der Hofburg sehen und die Kapuzinergruft und natürlich das Schloss in Schönbrunn und vielleicht auch die Spanische Reitschule. M. plädiert für das  Belvedere und die Secession, wo das Beethoven-Fries von Klimt zu sehen ist und meine Wenigkeit möchte den Zentralfriedhof sehen und die Sammlungen in der Albertina. Auch möchte ich unbedingt Germknödel essen. Auf jeden Fall muss das eine oder andere Beisl und das eine oder andere  Café aufgesucht werden, in diesem Punkt sind sich die Drei Grazien einig. Und da es inzwischen Mittag geworden ist, wird beschlossen zum Naschmarkt zu gehen und dort etwas zu essen. Es gibt zwar jede Menge Wienerisches wie etwa Kaiserschmarrn oder Marillenpalatschinken aber keine Germknödel. Ein Wiener Schnitzel  fungiert als Lückenbüßer, dazu nehmen wir einen gespritzten Weißen. Germknödel, dies in Klammern, werde ich die ganzen fünf Tage nicht essen... Den ersten Tag lassen wir nach kurzer Nachmittagsruhe im inzwischen hergerichteten Zimmer des kleinen Hotels Continental mit einem weiteren Bummel die Mariahilfstraße aufwärts auf der Suche nach einem Beisl  oder einem ähnlichen Lokal in plötzlich einsetzendem Regen ausklingen. 

Von Kunst- und anderen Genüssen

Den zweiten Tag beginnen die Drei Grazien mit einer Straßenbahnfahrt. Immerhin will die erstandene Wochenkarte zum Einsatz kommen. Man fährt den Burgring entlang bis zum Schwedenplatz, dort steigt man aus und geht ein Stück am Donaukanal entlang, man erkundet einige Nebenstraßen und kehrt zu der Straßenbahn und  mit dieser zum Burggarten zurück. Das Palmenhaus will besichtigt werden und die wundersamen Schmetterlinge, die dort zu sehen sind. Sie hängen wie die Trauben an den Zweigen der tropischen Pflanzen, zieren die prächtigen Blüten der Orchideen oder flattern in Paaren um die Köpfe der Besucher. Es sind Pfauenaugen, deren  eine Flügelseite dunkel ist und die andere metallisch blau schillert, auch sind die Schmetterlinge unglaublich flink. Nur  mit Mühe gelingt es  mir, ihre Flatterspiele zu filmen. Danach ist Kaffeepause angesagt. Man setzt sich auf die Terrasse des Café Mozart, trinkt eine Melange und isst Apfelstrudel mit und ohne Vanille Soße, meine Wenigkeit nimmt ein Stück Sachertorte. So gestärkt machen sich die Grazien in die Albertina auf, wo es Interessantes aus der Batliner Sammlung zu sehen gibt. Drei Ausstellungen locken uns im besonderen: Die eine  verspricht Einblick in Dekadenz und Moderne unter dem Titel Von Monet bis Chagall, die zweite zeigt Graphiken von Georg Baselitz mit Blick in die Postmoderne und die dritte zeigt Zeichnungen, Gemälde und Unikat-Keramiken von Pablo Picasso. Besonders beeindruckend finde ich die  beinahe fahlen Farben in den Bildern von Monet sowie die Repräsentationen von weiblicher Körperlichkeit, die in der Vision der Expressionisten zwischen Karikatur und Leidenschaftlichkeit angesiedelt scheint und die auf den Kopf gestellten Körper und Porträts von Georg Baselitz.
Kunst strengt an, ganz gleich ob man sie selber betreibt oder, ob man sie  betrachtet. Sie strengt an, weil sie einen herausfordert, sich  mit ihr auseinanderzusetzen und indem man das tut, setzt man sich mit der Welt und sich selbst auseinander...und dabei wird man hungrig! An diesem zweiten Tag finden wir beinahe auf Anhieb ein angesagtes Beisl, das Reinthaler Beisl in unmittelbarer Nachbarschaft des Café Hawelka in der Dorotheengasse gegenüber von Trze?niewski mit den „unglaublich guten Brötchen". Während meine Freundinnen Kalbsgulasch und ich Frankfurter  Würstchen, die eigentlich Wiener Würstchen heißen müssten, verzehren, beobachten wir die Menschen, die gegenüber die unglaublich guten Brötchen genußvoll an hohen Stehtischen  
verzehren. 

Schönbrunn, Belvedere und Zentralfriedhof
Der Tag mitten in der Woche ist Schönbrunn gewidmet. Ich wundere mich immer wieder über die doch sehr eng bemessenen und von weitläufigen Musik- oder Speisesalons umgebenen Schlafgemächer der gekrönten Häupter. Hohe Doppeltüren von Bediensteten bewacht und auf Geheiß geöffnet und geschlossen, imposante  Keramiköfen machen die Atmosphäre herrschaftlich aber nicht freundlicher. Man wird den Eindruck nicht los, dass das Leben im Schloss nicht anders als unter Beobachtung verlief. Vielleicht bot einem der Labyrinth-Garten etwas Freiheit und der kleine Wald in der Nähe der Gloriette, wer weiß. An diesem Tag essen wir bei einem Italiener. Das hätte ich besser nicht tun sollen. Die Spaghetti alla puttanesca schmecken zwar sehr gut, bekommen mir aber nicht, vielleicht vertragen sie sich einfach nicht mit dem österreichischen Bier...

Am Donnerstag ist Fronleichnam und Feiertag für die Katholischen. Das bedeutet, dass außer Museen und Restaurants nichts geöffnet hat. Das stört uns weiter nicht, wir wollen an diesem Tag ins Belvedere und uns weiterhin in die moderne Kunst von Klimt und Schiele vertiefen. In der Oberen Belvedere gibt es außerdem bemerkenswert viele Künstlerinnen, deren Werke ausgestellt und zu sehen sind wie etwa ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1937 von Lilly Steiner (1887-1961) oder Selbstporträt in Gelb aus dem Jahr 1948 von Margarete Hamerschlag (1902-1958).

Am Nachmittag soll A. nun endlich die Schatzkammer besichtigen und M. will irgendwo guten Wiener Kaffee trinken, während ich mit der U3 nach Simmering und von dort mit der Straßenbahn 11 oder 71 zum Zentralfriedhof fahre. Bereits in Paris hatte es uns auf einen der großen Friedhöfe, dem Montmartre, gezogen und in Instanbul ließen wir es uns auch nicht nehmen, den Friedhof in unmittelbarer Nähe des Großen Bazars zu besichtigen. Den Höhepunkt bildete  Pompeji, das für mich der Friedhof par excellence ist und wo der Tod sich überall verkörpert unter dem unbeugsamen Kegel des Vesuvs. Am Wiener Zentralfriedhof begehe ich zuerst den alten jüdischen Friedhof und stoße gleich auf das Grab von Arthur Schnitzler. Und auf einen jungen Rehbock, der ungestört das hohe Gras zwischen den Grabsteinen und Stelen weidet. Wer könnte ihn auch schon an diesem wundersamen Ort der Ruhe stören! Zumal überall die Aufschrift angebracht worden ist: Wildtiere nicht füttern! Ich begebe mich zum Tor 1 des Friedhofes zurück und fahre mit der Straßenbahn eine weitere Station, um das Haupttor zu erreichen und dort die Prominentengräber zu sehen. Allen voran das Grabmal Mozarts und Beethovens, die zusammen mit jenem von Schubert eine schöne Rotunde bildet, umgeben von weiterer musikalischer Prominenz: Brahms, die Strauß Familie, Hugo Wolf... Neuere Grabstätten in amerikanischem Stil fallen mir auf, sie beherbergen, wenn man das so sagen kann, Politikerinnen und Politiker der Gegenwart. Ich sehe überraschend viele Besucher, Touristen jeden Alters, ganze Familien. Am meisten beeindruckt mich eine junge Mutter, die  mit ihrem Baby auf dem Arm vor Mozarts Grabmal ein Selfie macht. Natürlich mache auch ich ein Selfie, ohne Baby auf dem Arm, aber mit Mozart und Beethoven im Hintergrund.
Am Abend dieses Feiertages, an dem Wien wesentlich ruhiger, wesentlich menschenleerer wirkt als an den Tagen davor und danach, würden wir gerne im Volksgarten etwas essen und trinken, doch ist der Biergarten dort wegen des immer wieder einsetzenden Regens geschlossen. Wir kehren schließlich im  Bieradies ein, einem Lokal mit ebenso überraschendem wie viel versprechendem Namen und mit eher bayerischem Flair. Auch gut.

Hundertwasser und Billa Plus
Der letzte Tag, der Freitag (9.06.) gestaltet sich als etwas planloser und zäher Bummeltag. Im Grunde haben wir alles gesehen, was wir sehen wollten...außer dem Hundertwasser-Haus und dem Beethoven-Fries von Klimt in der Secession. Während uns die Anlage des Hundertwasser-Haus Komplexes  anspricht und  regelrecht begeistert, reißt uns das Klimt-Fries nicht unbedingt vom Hocker. Ein Essen im Café Zentral schwebt uns sozusagen als krönender Abschluss Wiener Gastronomie vor. Leider ist auch an diesem Tag die Schlange davor viel zu lang, da wollen wir unsere Zeit doch lieber anderswie totschlagen und setzen uns auf die Terrasse des Café Museum. Danach lockt der Volksgarten mit einigem Sonnenschein und lauter aufgeblüten Rosensträuchern und sehr vielen Besuchern. Sehr viel Volk hier, kommentiert A. Irgendwoher muss der Garten ja seinen Namen bekommen haben, nicht wahr?
Schließlich gehen wir die Mariahilfstraße hoch und kehren in einem Billa Plus ein, um uns etwas Wegzehrung einzukaufen, immerhin erwartet uns nochmal eine lange Bahnfahrt  mit dem Dacia-Express in umgekehrter Richtung. An der Kasse kommt alles ins Stocken just nachdem M. mit ihrem Einkauf fertig geworden ist. Ein junger Mann kommt zur Kassiererin, reicht ihr seine angebrochene Limoflasche und sagt, er möchte sie zurückgeben, denn sie schmecke ihm nicht, die Limo. Es stehe zwar Limo drauf, aber es sei nicht die Limo, die er mag, das habe er festgestellt, als er einen Schluck daraus getrunken habe. Man möge ihm bitte eine andere, die richtige geben. Die Kassiererin, eine etwas schüchterne Frau in mittleren Jahren mit Migrationshintergrund weiß sich nicht anders zu helfen, als ihre Kasse zu verlassen, nach einer höher gestellten Kollegin zu suchen und diese um Hilfe zu bitten. Der junge Mann wiederholt sein Anliegen und wird letztendlich samt Limoflasche von der Angestellten des Ladens irgendwohin mitgenommen. Man weiß nicht, wie die Geschichte ausgegangen ist, aber zumindest konnte die Kassiererin ihre Arbeit fortsetzen und die Kronstädter Drei Grazien ihre Wegzehrung mitnehmen. Vielleicht hätten auch sie vorher die Wurst- und Käsepackungen aufmachen und kosten sollen, um festzustellen, ob das alles wie erwartet schmecken würde...

Epilog
Ja, es war schön in Wien, in Wien ist es immer schön, sagt M. und A. nickt dazu mit strahlendem Gesicht. Meine Wenigkeit beeilt sich beizupflichten: Ja, auch weil wir überall Seniorentarife zahlen konnten von wegen 65+...Etwas Gutes hat das Rentneralter doch...nur die Bahnfahrt, Mädels, die war nicht gut. Das nächste Mal wird geflogen und zwar aus Weidenbach! Zuhause klebt M. eine Ansichtskarte mit dem Hundertwasserhaus auf die Innenseite eines  ihrer Bücherregale dorthin, wo sie schon Ansichtskarten der früheren gemeinsamen Reisen aufgeklebt hat. Auf ihren Regalen gibt es noch einige freie Stellen...