An der Fachtagung nahmen zahlreiche Wissenschaftler, Germanisten und an den Themen Interessierte verschiedener Institutionen und Universitäten teil. Drei Tage waren für die zahlreichen informativen Beiträge in zwei parallel laufenden Sektionen angesetzt. Ihnen zu folgen, erforderte höchste Konzentration und Aufmerksamkeit.
Zur Einstimmung der vorgesehenen Abschnitte, verdienen besondere Beachtung die Keynotes – Einführungen, die die Teilnehmer mit der Sprachenvielfalt, mit der Mehrsprachigkeit als politisches und gesellschaftliches Konzept, sowie seinen theoretischen und methodischen Fallstricken, vertraut machten.
Professor Hans Goebl, Jg. 1943, gab in seiner Einführung einen kompetenten Überblick über die Sprachenvielfalt und Sprachenpolitik in der Spätphase der Donaumonarchie von 1848 bis 1918. Die genannten Eckdaten: 1848 stand für das Jahr der Revolution, in dem die Sprachenvielfalt bereits eine wichtige Rolle spielte, und das Jahr 1918 für das Ende des Ersten Weltkriegs, wo sich die Kronländer und alle Völker der Alten Monarchie von der supranationalen Staatsidee der Habsburger lossagten, um sich einer mehrheitlich republikanischen Zukunft zuzuwenden. Sprachlich und ethnisch war die Habsburger Monarchie überaus bunt, wobei die beiden einflussreichsten Nationalitäten die Deutschen und die Magyaren waren, was durch die Volkszählungen der Jahre 1880, 1890, 1900 und 1910 belegt wurde. Die ethnische Vielfalt zeigt sich an den Ergebnissen der Volkszählung von 1910, die jedoch teilweise irreführend war, denn in der österreichischen Reichshälfte wurde nach der Umgangssprache gefragt, während in Ungarn die Muttersprache anzugeben war! Die Deutschsprachigen waren mit 12 Millionen, also 23,4Prozent der Gesamtbevölkerung, die größte Sprachgruppe. 19,6 Prozent, also 10 Millionen gaben Ungarisch als Muttersprache an. An dritter Stelle stand Tschechisch mit 12,5 Prozent.
Rumänisch gaben 3,2 Millionen, also 6,3 Prozent der Gesamtbevölkerung an. In Galizien dominierten Polnisch und Ruthenisch. Die kleinsten Sprachgruppen waren seinerzeit Slowakisch, Slowenisch und Italienisch. Die ethnische, sprachliche und religiöse Komplexität wurde in der Alten Monarchie sehr genau dokumentiert. Das Analphabetentum betrug 60 Prozent!
Interessant ist, das die Habsburger immer streng auf die Mehrsprachigkeit ihres eigenen Hauses geachtet haben: Bereits in der von Kaiser Karl IV im Jahr 1356 erlassenen Goldenen Bulle wurde die ‘verpflichtende viersprachige Erziehung’ der jungen Prinzen erwähnt, nämlich: Deutsch, Latein, Italienisch und Tschechisch. Kaiser Maximilian I (1493 – 1519) sprach acht Fremdsprachen, und Kaiser Franz Joseph I (1830-1916) sechs.
Prof. Goebl äußerte sich auch zur Sprachenfrage im Militär, die dort vielgestaltig aber auch problembehaftet war: als Kommandosprache galt zwar bis 1918 auf fast allen Ebenen das Deutsche, jedoch bei der ehemaligen Kriegsmarine dominierten Italienisch und Serbokroatisch, und bei der Kavallerie Ungarisch. In Czer-nowitz,Hauptstadt des mehrsprachigen Kronlandes der Bukowina, waren Rumänisch, Ruthenisch, Polnisch und Deutsch die vier landesüblichen Sprachen.
In der Habsburger-Monarchie herrschte, trotz Dominanz der katholischen Kirche, Multikonfessionalität. In den Kronländern des Westens waren 90 Prozent der Bevölkerung Katholiken, während im Südosten die christlich-orthodoxen Kirchen vertreten waren: in Ungarn 14,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch die Evangelische Kirche war in manchen Reichsteilen eine regional bedeutende Kraft. In Ungarn gehörten 6 Prozent der Bevölkerung zur Evangelische Kirche A.B., Augsburger Bekenntnis. Unter den Deutschen und Slowaken fanden die Lehren Luthers eine starke Verbreitung und wurden dadurch zu einem wichtigen Bestandteil ihrer kulturellen Identität.
Das Fazit seines Überblicks war ein Brückenschlag zur heutigen Sprachsituation in der EU: gab es auf allen Ebenen in der Habsburger Monarchie eine erstaunliche Mehrsprachigkeit der Funktionsträger, so dominiert heute primär das Englische in nationalen und internationalen Institutionen.
Aus der Vielzahl der Sektionsbeiträge seien einige Kurzreferate herausgegriffen: Frau Dr. Natalia Blum-Barth, sprach über: „Einsprachgie Mehrsprachigkeit in der deutsch-jüdischen Literatur aus der Bukowina“. Sie unterstrich, dass die Autoren dort in mehreren Sprachen zuhause waren. Aber gesellschaftliche Mehrsprachigkeit heißt nicht automatiscch literarische Mehrsprachigkeit! Paul Celan (1920-1970), der in der Zeitspanne 1945-1947 als Lektor und Übersetzer im Bukarester Verlag „Cartea Rus˛“ tätig war, übersetzte aus acht Sprachen ins Deutsche, und Rose Ausländer (1901-1988), die ihre deutschsprachige Lyrik häufig mit rumänischen und jiddischen Einsprengseln schrieb, lebte ja immer wieder – in den Jahren 1920, 1934, 1937 sowie von 1946-1964 – in den USA, und wandelte dort nicht nur ihren Stil, sondern schrieb ihre Gedichte ausschließlich auf Englisch. 1964 kehrt sie nach Europa zurück und begann wieder auf Deutsch zu schreiben.
Alfred Gong (1920-1981), der immer auf der Suche nach Heimat war, gelang 1956 die Ausreise in die USA, wo er für verschiedene Zeitschriften in Englisch schrieb, und mit Rose Ausländer befreundet war. Als Vorwort zu seinem Gedichtband „Gnadenfrist” steht der Ausspruch eines Indianerhäuptlings: „Was ist schon ein Leben? Ein winziger Schatten nur, der übers Gras huscht, und sich in den Sonnenuntergang verläuft...“ Zur Veranschaulichung der Mehrsprachigkeit, schloss Dr. Blum-Barth ihren Beitrag mit Gedichten von Ausländer, Celan, Gong und Weißglas ab.
Dr. Tobias Heinz sprach zu „Hofmannsthals sprachkulturelle Sendung. Sprach(en)politik im Gefüge von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit, österreichischer Idee und Mitteleuropa-Konzept“. Zeitlebens übte auf Hofmannsthal die Fähigkeit sich in verschiedenen Sprachen kommunikativ zu bewegen, eine besondere Faszination aus. Seine Aussage, dass „Mehrsprachigkeit das Ergebnis einer kulturell-literarischen Bildung sei“ unterstreicht dies. Laut Hofmannsthal habe eine Architektur der Sprache in Form einer diasituativen (=Diplomaten- und Militärsprache), diatopischen Differenzierung (=Sprache der inneren Stadt, Vorstadt- sprache, Sprache vom flachen Land) vor allem die österreichische Umgangssprache ausgebildet, während die Verkehrs- und Gebrauchssprache das idealisierte Zentrum des Modells bildet. Wissenschaftliche und politische Sprachformen sind für Hofmanns-thal Existenzformen am Rande. Die Sprache der Arbeiter bleibt unberücksichtigt!
Frau Professor Dr. Roxana Nubert behandelte das Thema: „Mehrsprachigkeit in den Periodika Temesvárer Zeitung und Deutsches Tagblatt für Ungarn im Zeitraum 1863 – 1918, mit besonderer Berücksichtigung von Nikolaus Lenaus Rezeption“.
Das Banat gehörte zum Ungarischen Königreich, somit war das Ungarische die offizielle Sprache dieser Region. Die deutschsprachigen Zeitungen Temesvárer Zeitung und das Deutsche Tagblatt für Ungarn, zeigten ein reges Interesse an Nikolaus Lenau (1802-1850), der unmittelbar nach seinem Tod in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung rückte. Durch Lenaus Begeisterung für Ungarn, insbesondere zur ungarischen Landschaft und Musik, nimmt der Dichter eine Mittlerrolle zwischen der deutschen und ungarischen Kultur ein.
Thematisch werden die in der Temesvárer Zeitung und im Deutschen Tagblatt für Ungarn gewidmeten Artikel ähnlich aufbereitet: Es gibt Beiträge, die sich der inhaltlichen Analyse von Lenaus Texten und Leben widmen, z. B. Artikel von Adam Müller-Guttenbrunn, Franz Herczeg und Heinrich Schwicker. In beiden Zeitungen bestehe die Tendenz die literarische Bedeutung von Lenau zu überschätzen, indem man Lenau als „größten deutschen Dichter nach Goethe“ nennt, oder als „echten Poet seit Byron“ betrachtet.
Alle Autoren unterstreichen Lenaus enge Beziehungen zu Ungarn, zur ungarischen Musik und Landschaft. Allerdings wird auch hier übertrieben, wenn von der „ungarischen Abstammung des Dichters“ gesprochen wird. Als Fazit unterstrich Prof. Nubert, dass die Rezeption des deutschsprachigen Dichters Lenau in zwei wichtigen deutschsprachigen Periodika, sich als angemessenes Forschungsprojekt für die Mehrsprachigkeit dieser Region erweist.
Nach einer derart kompetenten, inhaltsreichen Fachtagung ein Resumee zu ziehen, stellt eine große Herausforderung dar. So auch zum Schluss dieser Veranstaltung, wo sich PD Dr. Thomas Borgard, in seiner diplomatisch-charmanten Art, um eine Zusammenfassung bemühte:
Mit vielen neuen Erkenntnissen, Anregungen und Motivation zur Vertiefung des Gehörten, geht eine überaus interessante Konferenz zu Ende. Jedoch, eine Fortsetzung sei im Bereich des Möglichen, um nicht ausdiskutierte Bereiche der Mehrsprachigkeit in einem weiterführenden Kontext zu beleuchten!