„Musik bewegt die Menschen und eine Gemeinschaft bewegt die Menschen“

Interview mit Steffen Schlandt zur 15. Auflage von Musica Barcensis

Vertreter von Forum ARTE Foto: Forum ARTE

Die Konzertreihe „Musica Barcensis“, die in diesem Jahr ihre 15. Auflage erreicht hat, verspricht wie immer einen reichen Musiksommer in den evangelischen Kirchen im Burzenland.

Eröffnet wird die Reihe am 29. Juni mit einer musikalischen Reise, bei der Ursula und Kurt Philippi Musikliebhaber zu drei Orgeln in Aita Mare, Arcuș und Petersberg führen werden.

Weitere Konzerte finden jeweils am Sonntag um 17.00 Uhr in folgenden evangelischen Kirchen statt: Bartholomae (7. Juli), Tartlau (14. Juli), Weidenbach (21. Juli), Petersberg (28. Juli), Marienburg (4. August – Open Air), Honigberg (11. August), Heldsdorf (18. August), Zeiden (25. August) und Neustadt (1. September). Veranstalter sind die Stiftung für Kultur und Patrimonium „Forum ARTE“ und die evangelischen Kirchengemeinden der jeweiligen Ortschaften. Es treten international bekannte Künstler aus den Niederlanden, Holland, Argentinien, Deutschland und Rumänien auf.
Mit dem Organisten Steffen Schlandt, der die beliebte Konzertreihe unermüdlich organisiert und neulich für seine Verdienste zum Ehrenbürger Kronstadts ernannt wurde sprach die KR-Redakteurin Elise Wilk.

Lieber Steffen, vor 25 Jahren wurde erstmal eine Konzertreihe in einer Kircheburg außerhalb Kronstadts organisiert: Diletto Musicale in Tartlau. Damals fanden jeden Sonntagnachmittag im August Konzerte statt. Wie kamt ihr 2010 auf die Idee, die Konzertreihe Musica Barcensis ins Leben zu rufen?
Diletto Musicale war der Start. Dann wurden die Besucherzahlen bei den Konzerten von Jahr zu Jahr größer. Und 2010 haben wir beschlossen, uns im Burzenland auszubreiten, so dass auch in anderen Kirchenburgen Konzerte stattfinden. In den ersten Jahren waren es nur 2-3 Konzerte, danach ist das Festival immer mehr gewachsen und die Besucherzahlen sind schnell hochgegangen, bis zu einer Rekordzahl von 330 Leuten pro Konzert im letzten Jahr.

Dadurch, dass wir nach der Pandemie angefangen haben, nur ein Konzert pro Woche zu organisieren, sind nicht mehr so viele Wochenenden übrig. In diesem Jahr haben wir 10 Konzerte.

Kannst Du dich noch an die erste Auflage von Musica Barcensis erinnern? Wieviele Leute kamen zum ersten Konzert?
Im ersten Jahr waren etwa 30 Personen. Durch die Stiftung Forum ARTE haben wir jetzt mehr Leute, die bei der Organisation helfen. Das ist wichtig, denn man kann nicht alles selber machen. Wir verteilen uns die Aufgaben und das ist eine schöne Sache.
Jetzt haben wir eine Gruppe von Freiwilligen vom Andrei-[aguna-Kolleg, die mitmachen. Sie helfen Stühle hereinstellen, Material in die Kirche tragen, sie empfangen das Publikum, verteilen Saalprogramme. Und gleichzeitig haben diese Jugendlichen die Chance, eine Musik zu hören, mit der sie sonst nicht in Kontakt kommen – klassische Musik, Kirchenmusik. Und das bleibt irgendwie in Erinnerung. Für sie ist diese Art von Musik schon eine Bereicherung.

Gibt es noch das Konzert, wo man mit dem Rad hinfahren kann?
Es wird leider nicht mehr organisiert. Wir hatten damals mehr Glück als Verstand. Es gibt ja keine Fahrradwege, die Kronstadt mit anderen Ortschaften verbinden. Und zu den Konzerten sind viele Familien mit kleinen Kindern gekommen. Das war schön, aber sie haben sich einer Gefahr ausgesetzt, um zu unseren Veranstaltungen zu kommen. Also haben wir beschlossen, aufzuhören. Leider gibt es die Infrastruktur für solche Veranstaltungen noch nicht.

Als wir die Konzertreihe gestartet haben, gab es außer verschiedenen Dorffesten überhaupt keine kulturellen Events in kleineren Ortschaften. Wir wollten den Leuten aus Kronstadt  einen Grund geben, heraus aus der Stadt zu kommen. Wir haben damals gedacht: „Es wäre schön, wenn Stadt oder Kreis mitmachen, dass sie Fahrradwege dafür schaffen“.

Es gibt genug Erfolgsgeschichten in Rumänien, wo bewährte Festivals mit der Zeit auch Infrastruktur geschaffen haben – einen Veranstaltungssaal, einen sanierten Weg.

Genau. Das war die Hoffnung. Aber leider ist noch nichts passiert.

Kommen auch Einwohner oder nur Touristen zu den Konzerten?
Ja, es gibt sicher in jedem Ort Leute, die aus der Gemeinde kommen – 20, 30 vielleicht.
Aber auch den Publikumsgeschmack muss man bilden und erziehen. Man muss ja die Leute zu dieser Musik führen. Sie müssen die Hemmschwelle abbauen, dass sie in eine evangelische Kirche hineingehen.

Und wenn wir schon beim Kapitel „Infrastruktur“ sind: gibt es inzwischen Kirchen, die dank der Konzertreihe renoviert wurden?
Die Konzerte haben nicht diese Kraft, weder finanziell noch von der Lobby her. Aber sie sind für eine Kirche, die fertig renoviert ist, ein guter Aufhänger. Dann kann man sagen: „Wie gut, dass die Kirche fertig ist! Jetzt können hier verschiedene Veranstaltungen stattfinden.“ Wenn zum Beispiel irgendwo eine Orgel renoviert wurde, haben wir dort ein Konzert organisiert – zum Beispiel in Petersburg oder Brenndorf.

Auch in Rosenau hatten wir Konzerte, aber danach haben sie begonnen, beim Historischen Filmfestival auch Events in der evanglischen Kirche zu organisieren. Und wir haben gedacht – lieber nehmen wir dann eine andere Kirche, wo nichts stattfindet. Nussbach zum Beispiel.

Wird es in diesem Sommer etwas ganz Spezielles geben? Ein Konzert, das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte?
Ich versuche immer solche herausragenden Momente nicht unbedingt zu betonen, sonst würde man die anderen in den Schatten stellen.
Wir versuchen, das gesamte Repertoire, das man in diesen Orten spielen kann, zu bieten – von sehr alter Musik bis zur zeitgenössischen Musik. Von Barockmusik bis zu Klassik und Romantik, Jazz und Fusion, von Chormusik und Orchester, Duo, Trio bis zu großen oder größeren Ensembles. Das ist irgendwie alles vertreten.

Wie reagiert das Publikum auf zeitgenössische Musik?
In kleineren Dosen ganz gut. Wenn man jetzt ein ganzes Konzert nur mit zeitgenössischer Musik machen würde, wäre es vielleicht zu viel, denn die Leute sind nicht daran gewöhnt. Es ist hier anders als in Bukarest oder Klausenburg. Aber wir versuchen immer ein bisschen „hineinzustreuen“.

Was ist in diesem Jahr eine besondere Herausforderung?
Wir sind gebunden an die finanzielle Unterstützung vom Kreisrat, im Wert von 10.000 Euro. Und die Preise sind ja überall gestiegen, man kommt also mit dieser Summe nicht sehr weit.

Bei 10 Konzerten, plus Logistik, plus Werbung, plus die ganzen Kosten für Herstellen von Saalprogrammen und Postern und Transport ist das nicht leicht. Aber wir schaffen es.

Ist es auch passiert, dass bei einem Konzert zu viele Leute waren und keinen Platz in der Kirche hatten?
Letztes Jahr waren in Tatlau 530 Leute bei einem Konzert. Viele mussten dann im Hof bleiben, in die Kirche haben nicht alle hineingepasst. Das war ein Rekord.

Es gibt ein interessantes Phänomen nach der Corona-Pandemie: die Leute strömen regelrecht zu Kulturveranstaltungen.
Ja, die Besucherzahlen sind immer größer, auch bei Musica Barcensis. Alle hatten Angst, dass es nie wieder sein wird wie davor. Die Leute dachten: „Alles wird jetzt nur noch online stattfinden.“ Zum Glück war das nicht der Fall. Nicht nur die Kulturbesuche haben sich geändert, sondern auch der Tourismus. Kronstadt zum Beispiel ist oft überlaufen von Touristen. Diese kommen dann auch zu unseren Veranstaltungen, zum Beispiel zu „Organ Nights“. Und sie sind sehr zi-vilisiert.Vielleicht auch, weil wir das Konzert auf diesen großen Beamer projizieren. Die Leute sind ja alle so visuell geworden. Wenn sie sehen, was passiert, dann ist es für sie leichter, das Konzert eine Stunde lang in Ruhe zu verfolgen.

Wie stellst du dir die 30.Auflage von Musica Barcensis im Jahr 2039 vor?
Unser Ziel ist, ehrenamtlich etwas Schönes aufzubauen und dann auch an die nächste Generation weiterzugeben. Denn wir wollen immer wieder neue Leute mit einbeziehen, auch Jüngere, die dann später diesen Job übernehmen und das Konzept weiterführen.
Das ist viel mit Logistik verbunden und auch mit Erfahrung.

Du musst wissen, was du brauchst, dass das Publikum kommt, wie du kommunizierst, welche Medien du verwendest – Facebook, Instagram, Plakate, Zeitung, Radio, Fernsehen.

Jedes Publikum hat ja ein anderes Medium. Bei den ganz Jungen kommen wir gar nicht an, wir haben erstens keinen Tiktok-Account. Zweitens, weil wir ihnen diese Musik nicht so präsentieren können, dass es ihnen super Spaß macht. Ein 13-Jähriger wird auf keinen Fall in ein Klassik-Konzert gehen. Das ist für ihn schwierig.

Nur, wenn es sehr spannend ist.
Ja, aber auch das Spannende muss man herausfinden.

Was ist für einen Jugendlichen spannend? Vielleicht, wenn er mitmachen kann. Oder wenn es irgend ein tolles Stück ist, das er kennt, vielleicht Filmmusik oder ein Soundtrack von irgendwo.

Wir haben ja extra Kinderprogramme, aber es gibt tatsächlich diese Teenie-Lücke. Kinder bis 10 finden es ja toll, wenn man zum Beispiel ein Konzert verbunden mit Puppentheater macht. Aber nachher fallen sie in ein Loch und es ist für sie nicht mehr cool. Sie steigen aber wieder aus dem Loch, sagen wir mit Mitte 20.

Habt ihr gedacht, diese Lücke zu füllen? Wollt ihr vielleicht ein gutes Beispiel aus dem Ausland „importieren”?
Das versuchen wir gerade – die Lücke mit den jungen Freiwilligen abzudecken.

Mitmachen, ein Teil vom Ganzen zu sein – das gibt ihnen das Gefühl: „ich bin wichtig. Man braucht mich.“ Und zum Abschluss schreiben sie immer einen Bericht in der Zeitschrift des [aguna-Kollegs. Meistens sehr schöne Sachen: „es war toll, wir haben so viele neue Sachen kennengelernt, so viele Orte, so viele Kirchen, die vor unserer Nase liegen, aber wir sind nie hineingegangen.“ Ich glaube, für sie ist es am besten, wenn sie aktiv sind, wenn man sie einbezieht. Nicht nur beobachten, sondern auch etwas tun. Denn dieses Erlebnis, das wir ihnen bieten, verbindet Tourismus mit Kultur, Geschichte und Architektur.

Wisst ihr vielleicht, wie viele Orgeln es im Burzenland gibt, die noch reparaturbedürftig sind oder gerettet werden müssen?
Im Prinzip ist in Burzenland, außer in Rotbach, wo es verloren gegangen ist, alles funktionsfähig. Es ist wirklich ein Ausnahmezustand im Vergleich zu anderen Gegenden. Die Orgeln sind in gutem Zustand. Und das wollen wir natürlich nutzen.Es gibt aber auch Ausnahmen, zum Beispiel in Schirkanyen.

Könnte man die Orgel dort reparieren?
Man könnte, aber man braucht doch einen Plan. Geld kann man noch finden, aber was macht man dann? Wer ist dort? Wer kümmert sich? Wenn man etwas nicht pflegt, geht es kaputt.

Was würdest Du jemandem sagen, der noch nie bei Musica Barcensis war? Wie würdest Du ihn davon überzeugen, zu kommen?
Ich würde ihm sagen, dass es ein multisensoriales Erlebnis ist. Du musst ersmals hinfahren. Dann musst du ein neues Gebäude kennenlernen, spüren, sogar riechen. Es hat auch mit dem Geruch zu tun. Es riecht da nach Geschichte. Dann erfährst du es durch die Sinne, also durch das Hören und durch das Sehen. Und dann kannst du es auch natürlich emotional wahrnehmen. Musik bewegt die Menschen und eine Gemeinschaft bewegt die Menschen. Die Tatsache, dass du mit mehreren Menschen zusammen bist, gibt dir ein Zusammengehörigkeitsgefühl.

Ich würde sagen, Musica Barcensis ist ein Erlebnis. Ein Erlebnis, welches den Menschen auf jeden Fall etwas mitgibt. Das ist der Zweck: wir wollen den Menschen etwas mitgeben.

Nicht nur Harmonie, sondern auch Disharmonie kann man erleben, wenn man zum Beispiel sieht, wo es Probleme gibt – dass ein Gebäude in Gefahr ist oder dass es keine mehr Gemeinde gibt, und auch die Musik ist nicht immer harmonisch. Fragestellung ist immer wichtig. Schönwäscherei, also zu sagen „alles ist wunderbar“, das wollen wir nicht.

Welches Feedback bekommt ihr von den Musikern, die bei Musica Barcensis auftreten?
Ich bin sehr dankbar, dass alle Musiker eine schöne Erfahrung mitnehmen. Sie schreiben uns danach und sagen, wie schön es war, wie besonders sie sich hier gefühlt haben. Sogar ein Feedback wie: „Ich habe mich wie in einem anderen Land gefühlt“ ist gekommen.

Wir arbeiten auch daran, dass wir die Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten mög-lichst lokal verteilen, aber nicht alle Orte haben empfehlenswerte Pensionen oder Lokale und dann muss man schon ein bisschen sortieren. Aber ideal ist es, wenn die Künstler nicht nur in der Kirchenburg vor dem Publikum auftreten, sondern auch ein wenig im Ort verweilen. Denn wir wünschen uns für die Künstler dasselbe wie auch für unser Publikum: das Musica Barcensis ein Erlebnis ist.

Vielen Dank für das Gespräch!
Infos und das Programm unter forumarte.ro/musica-barcensis.