Musik wie eine wilde Pflanze

Veranstaltung zum Doppeljubiläum Paul Richters

Kurt Philippi spricht über das Leben und die Werke des Musikers. Foto: Steffen Schlandt

Anlässlich des Paul-Richter-Doppeljubiläums (1875-1950) feierte am Abend des 21. März das Demokratische Forum der Deutschen in Kronstadt mit einer Veranstaltung, die dem Publikum eine Begegnung mit dem vielleicht größten Musiker aus den Reihen der Siebenbürger Sachsen veranlasste. Eckart Schlandt begleitete am Klavier die Violinistin Corina Sp²tariu und die Sopranin Cristina Radu. Kurt Philippi sprach zu Paul Richters Leben, Werk und Wirken. In einem ganz intimen Rahmen trafen sich Musikbegeisterte und Freunde des Forums und gedachten der alten und neueren Zeiten, begleitet von Richters Akkorden.

Eine große Leidenschaft
Nach einem kurzen Begrüßungswort von Uwe Leonhardt, dem Geschäftsführer des Kronstädter Forums, begann der Abend mit Musik, u. zw. mit der Sonate für Violine und Klavier op. 89.

„Musik ist, um gespielt und gehört zu werden, nicht, um darüber zu sprechen“. So begann auch Kurt Philippi seinen Vortrag. Er stellte Paul Richters Leben sehr bildlich vor und gab seinem Vortrag eine sehr angenehme persönliche Note. Biografien und geschichtliche Informationen sind heute leichter zugänglich, doch etwas darüber, wer der Mensch Paul Richter war, erzählt zu bekommen, war eine besondere Gelegenheit.
Das erste Bild, das den Zuhörern vorgestellt wurde, war die Kindheit von Paul Wilhelm Richter. Richters Vater war hauptamtlicher städtischer Kassierer und nebenberuflich Organist. Musik bekam Paul also schon sehr früh mit, allerdings nur nebenbei über seinen Vater, der Klavierunterricht gab und auch die Mitglieder des Männergesangvereins am Klavier begleitete. Seinem Sohn brachte er allerdings höchstens die Namen der Noten bei, denn er hatte keine Mittel, Lehrer anzustellen und keine Zeit, diese Neigung zu fördern; dachte aber auch, dass ein Leben als Musiker ein schweres ist und wünschte sich für seinen Sohn etwas Besseres.

Obwohl das Zimmer, in dem das Klavier stand, unbeheizt war, verbrachte Paul sehr lange Zeit hier und improvisierte. Er versuchte, das was in seinem inneren Ohr klang, zusammen- und zurechtzuspielen; ohne Anleitung. Die Musik, die sich bei ihm entwickelte, wuchs wie eine wilde Pflanze – natürlich und ungezüchtet, alleine und für sich selbst – wie meist jede große Leidenschaft, die sich nicht leugnen lässt.

Als Kontrastbild stellte Kurt Philippi dann die Jugend des Wunderkindes Carl Filtsch aus Mühlbach vor, der schon mit drei Jahren Klavierunterricht von seinem Vater bekommen hatte und mit 7 Jahren, dank der Gräfin Banffy, seiner Förderin, zur Ausbildung nach Wien reiste. Dort wurde er am Hof eingeführt, war Musizier- und Spielgefährte des gleichaltrigen, späteren Kaisers Franz Josef und debütierte mit 11 Jahren im Wiener Musikverein – ein glänzendes Bild von Konzertreisen bis nach London und damit verbundenen triumphalen Erfolgen, von Unterrichtsstunden mit Chopin und Liszt, von einem sehr bewunderten und angepriesenen Talent, das allerdings mit 15 Jahren erlosch, als der junge Musiker an Tuberkulose verstarb.
Kurt Philippi fragte dann, wo der Unterschied zwischen diesen zwei Talenten war und schlussfolgerte, dass es der Stand ihrer Väter war. Richters Großvater war ein ungarischer Bauer aus Geist, der eine Heldsdörfer Sächsin geheiratet hatte und seinen Namen von Biro Pál auf Paul Richter wechselte. Filtschs Vater war hingegen Pfarrer und Dichter in Mühlbach, bekleidete somit eine leitende Position in der Gesellschaft. Die Konditionierung, die die jeweiligen Väter ihren Kindern mitgaben, war somit auch sehr unterschiedlich.

Ein bewegtes Leben
Nach abgebrochenem Medizinstudium studierte Paul Richter Musik. Er kehrte als Musikabsolvent aus Leipzig nach Kronstadt zurück und das Zusammenprallen mit den Standesunterschieden, die Ideen seines Vaters, dass die Musik eine brotlose Kunst sei und der vielleicht unbewusste Frust, des Vaters Wertschätzung zu entbehren, diktierten sein Leben. Trotz geselliger Art und eigentlich freundlichem Mut, neigte er zu Melancholie.
Er hätte gesagt, dass es in Kronstadt nicht darauf ankäme, was für Musik geboten wird, sondern wer die Musik bietet – umso mehr damals im Chor des Männergesangvereins die sozialen Eliten der Zeit musizierten und seine Aufführungen öfters in der Presse kritisiert wurden, so dass er sich stets wehren musste. Sein ganzes Leben arbeitete er zäh, ohne sich jedoch am Lebensende ein Haus in der Stadt leisten zu können. Kurt Philippi rechnete seine Rente aus, die im Wert von etwa 50 Lei gewesen sein soll.

Er hatte oft vehemente Meinungsunterschiede mit den Musikkritikern der Zeit. Er war sich seines Wertes bewusst, war aber auch sehr sensibel und hatte das Gefühl, von den Kritikern stiefmütterlich behandelt zu werden. Er hat sich aber durchgesetzt und die Musik in Kronstadt ab Ende des 19. Jahrhunderts auf eine vorher nie da gewesene Höhe gebracht.

Sein Werk war aber auch eine zu heimische Pflanze, hätte im Ausland nur schwer überlebt, ohne den Heimatboden „in dem er zu sehr wurzelte“ zu vermissen. Dort wäre seine Musik allerdings eher geschätzt gewesen.

Dafür hatte er zu Hause immer das Gefühl, eher „begraben“, unterschätzt und wenig verstanden zu sein – obwohl er derjenige war, der das Kronstädter Musikbild so stark prägte und die Stadt dem europäischen Musikleben des Jahrhunderts öffnete. Erst später in seinem Leben, als er schon 60 Jahre alt war, erhielt er die höchste Ehrung eines siebenbürgisch sächsischen Musikers der Zeit, die Ernennung zum Leiter des Hermannstädter Musikvereins Hermania.

Beeindruckend waren alle Lebensausschnitte, die Kurt Philippi eben aus dieser Perspektive in seinem Vortrag skizzierte. Von der Anekdote des Echos im Wald,  das besagte, dass Richter seine 6. Sympho-NIE etwa „nie“ zu Ende schreiben würde, bis zur Erklärung, warum in der Philippi-Familie bestimmte Namen gegeben wurden, oder warum Richter im fortgeschrittenen Alter den Eindruck hatte, wenig zu hinterlassen, bis hin zu den Überlegungen über einen „siebenbürgischen Stil“ anhand Richters Klang, werden viele Aspekte des Abends bei den Zuhörern Nachhall behalten.

Doch über alles triumphiert die Musik
„Und die Musik sprudelte bei Richter wie eine nie versiegende Quelle. Komponieren gehörte zu seinem Leben... Es ist, als hätte er mit der Umwelt über seine Kompositionen kommuniziert“ – wie Kurt Philippi 2021 in einem Artikel, den er für die Siebenbürger Zeitung schrieb, poetisch formulierte.
Intensiv war deshalb auch der Abschluss des Abends. Über Verschwiegenes, das irgendwie besser und vielleicht nur einer Melodie anvertraut werden kann, sang die Opernsängerin Cristina Radu.

Der Nachlass Paul Richters ist am Marktplatz beim „Casa Mure{enilor“-Museum und kann auf Anfrage untersucht werden. Musiker sollten ihn aufsuchen und in ihre Aufführungen einbauen. Er besteht aus vielen Noten, Korrespondenz und schriftlichen Dokumenten. Wenn man dieses so persönliche Material durchkämmt, ist es, so Kurt Philippi, als ob man mit der Person ins Gespräch kommt – einige Fragen werden beantwortet, andere hingegen bleiben offen.

Unter Beifall des Publikums wurden Blumen überreicht und man lud zu weiteren Konzerten, die Paul Richters Werk aufführen, ein: Am 30. April in Neumarkt am Mieresch oder am 12. Juli in Bamberg wird seine berühmte Orgelkomposition zu hören sein. In der Konzertreihe Musica Barcensis werden dieses Jahr zwei Aufführungen Paul Richter gewidmet sein und im November plant die Kronstädter Philharmonie eine Aufführung der „Karpatischen Suite“. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Departement für interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniens DRI organisiert.