Eine Insel für jeden Tag des Jahres
Es ist 7 Uhr vormittags, als der Geländewagen an einem militärischen Checkpoint mitten im Dschungel anhält. „Passkontrolle“ steht auf einem Schild. Bewaffnete Männer überprüfen unsere Reisepässe. Wir sind in Guna Yala angekommen, einem autonomen Gebiet, das seit 1925 von dem indigenen Volk der Kuna-Indianer verwaltet wird.
Die Kunas pflegen und hüten ihre eigene Kultur, Sprache, Flagge, Religion – und ihr Territorium an Panamas Nordküste, auch bekannt als San Blas.
Wir werden nicht nur deshalb kontrolliert, da Drogen aus dem Nachbarland Kolumbien oft über die Inseln geschmuggelt werden, sondern auch deshalb, weil das indigene Kuna-Volk Kontrolle über sein halbautonomes Gebiet haben will: die Kunas entscheiden, wer hinein darf und wer nicht.
Das indigene Volk bemüht sich, die territoriale Autonomie zu bewahren. Tourismus ist nur in Maßen erwünscht, und die Gebühr, die für jeden Urlauber beim Betreten des Territoriums der Guna Yala erhoben wird, kommt der indigenen Gemeinschaft zugute – und somit auch den Gästen, die Trauminseln abseits des Massentourismus suchen. Auch den Transport bis zu den Inseln regeln die Kuna selbst.
Während wir warten, fällt unser Blick auf ein am Auto angebrachtes Hakenkreuz. Es ist die alte Revolutionsflagge der Kuna, die von 1925 bis 2010 geführt wurde, und die Swastika stellt eigentlich den Gott Oktopus dar, der laut Legende die Welt erschaffen haben soll. Nach einigen Minuten bekommen wir unsere Pässe zurück und der Geländewagen darf weiterfahren.
Das Inselparadies Guna Yala
Wir sind schon mehr als zwei Stunden unterwegs – um 5 Uhr hat uns der Fahrer Francesco bei unserem Hotel in Casco Viejo, der Altstadt von Panama City, abgeholt. Vor wenigen Stunden waren wir nach einem dreizehnstündigen Flug aus Istanbul in der Hauptstadt Panamas angekommen. Auf dem Weg vom Flughafen in die Altstadt sind wir an Wolkenkratzern und blinkenden Weihnachtsbäumen vorbeigefahren, auf allen Verkehrsinseln sind glitzernde Buchstaben angebracht: Feliz Navidad (spanisch Frohe Weihnachten)! Dank Jetlag (durch die Zeitverschiebung zwischen Bukarest und Panama City haben wir sieben Stunden hinzugewonnen) war es kein Problem, um 5 Uhr in der Früh aufzustehen. Und auch die Aufregung war groß, denn die nächsten zwei Tage sollten wir im San Blas(oder Guna Yala)-Archipel im Karibischen Meer an der nordöstlichen Küste von Panama verbringen. Das sind 365 winzige Trauminseln. Das bedeutet: falls man ein Jahr lang hier bleibt, kann man jeden Tag auf einer anderen Insel verbringen. Die meisten davon sind unbewohnt, also fühlt man sich wie Robinson Crusoe. Und aus Fotos und Reiseblogs hatten wir erfahren, dass sie zu den farbenprächtigsten und schönsten Regionen von Panama gehören: überall weiße Sandstrände, zum Meer geneigte Palmen und türkisblaues Wasser. Auf etwa 80 dieser Inseln wohnen die Kuna-Indianer. Die Fahrt durch die kurvige, enge und sehr steile Straße, die von Palmen umrandet ist, geht für etwa eine Stunde weiter und endet in Carti. Hier befindet sich der Hafen, von dem aus die Schiffe auf die Inseln ablegen.
Ohne Handyempfang und W-LAN
Die Bootsfahrt dauert etwa eine halbe Stunde. Danach erscheint vor uns die Insel Senidup, die zwei Tage lang unser Zuhause sein wird. Wir steigen aus dem Boot und fühlen uns, als ob wir plötzlich in einem kitschigen Screensaver von Microsoft gelandet sind. Oder in einem kleinen Paradies mit weißem Sand, Palmen und Bambushütten. Das Haus, wo wir wohnen werden, ist spartanisch eingerichtet: einfache Holzbetten mit Matratze und Leintuch, zwei kleine Fenster. Man schläft vom Meeresrauschen ein und wacht manch-mal in der Nacht auf, da man den Eindruck hat, das Meer wird ins Zimmer strömen.
Senidup ist gerade mal so groß, dass man sie in zehn Minuten zu Fuß umrunden kann. Danach gibt es erst mal ein Bad im 28 Grad warmen Wasser, das türkisfarben ist, wie es sich gehört.
Hier kann man wirklich abschalten: denn es gibt keinen Handy-Empfang und kein W-LAN. Es gibt fließendes Wasser und eine Stromversorgung mittels Generatoren, welche am Morgen und am Abend eingeschaltet sind. Die Insel wird, wie alle Inseln in Guna Yala, durch eine einheimische Familie geführt.
Die höchstens 20 Touristen sonnen sich, spazieren am Strand, schaukeln unter Palmen , lesen in Hängematten, schwimmen und schnorcheln im türkisfarbenen Wasser.
Der Treffpunkt ist die Bar-Terrasse neben der Bootsanlege- stelle, wo zwei Frauen in bunt bestickter Tracht ihre Ware anbieten: die farbigen Molas sind ein Teil der Tracht der Kuna-Indios und werden von den Frauen auf Vorder- und Rückseite der Bluse getragen. Zusammen mit blaugrundigen Wickelröcken, den roten Kopftüchern und den charakteristischen Glasperlenketten an Hand- und Fußgelenken stellen sie die traditionelle Kleidung der Frauen dar. Ein junger Mann an der Bar ist dafür zuständig, Kokosnüsse zu öffnen, die 2 US-Dollar kosten. Dieselaggregate versorgen die hauptsächlich mit Bier, Wasser und Rum gefüllten Kühlschränke mit Strom. Ein Bier kostet 1,5 Dollar, für einen Pina-Colada-Cocktail (einheimischer Abuelo-Rum mit Kokosnuss und Ananas-Saft) muss man 4 Dollar zahlen und eine halbe Stunde warten. Neben dem Balboa (der nur in Form von Münzen im Umlauf ist), ist der Dollar (in Banknoten) gesetzliches Zahlungsmittel, wobei ein Dollar einem Balboa entspricht.
Auf der Insel gibt es ein festes Programm: zu Mittag wird um 12 Uhr gegessen, Abendessen ist um 6 und Frühstück um 7. Hier wird gegessen, was gefangen und gekocht wird. Zweimal täglich, in der Morgen- und Abenddämmerung, fahren die Männer mit ihren kleinen Booten aufs Meer hinaus und werfen ihre Netze aus. Außer Fisch, Garnelen und Hummer stehen selten andere Gerichte auf dem Speiseplan. Zum Frühstück gibt es meistens Omelett oder Rührei mit Früchten. Nach dem Mittagsessen wird täglich für 20 Dollar pro Person eine Bootstour angeboten.
Dabei werden idyllische Nachbarinseln besucht, wo man schwimmen, schnorcheln und Panama- oder Bilbao-Bier im Schatten der Palmen trinken kann.
Wolkenkratzer, Faultiere und Schiffe
„Nadia Comăneci!“, ruft ein Taxifahrer begeistert, als wir auf seine Frage antworten, woher wir kommen. Er ist die erste Person, der wir begegnen und die von Rumänien gehört hat. (Die zweite Person werden wir an der Playa Estrella auf der Insel Colon treffen. Sie wird uns ein Faultier zeigen, das an einer Palme hängt, uns fragen, woher wir kommen und „Un leneș! Un leneș!” rufen). Wir wissen aber auch relativ wenig von Panama.
Das Kinderbuch von Janosch, der Panamakanal, der Panamahut und die Briefkasten-Affäre in Panama (Panama Papers) – das war alles, das wir früher mit dem Land verbinden konnten. Später fanden wir heraus, dass es sich bei dem Hut eigentlich um einen Import aus Ecuador handelt. Seit 1630 werde er aus den Fasern der Toquilla-Palme handgeflochten, wobei für einen Hut etwa acht Stunden Flechtzeit aufgewandt werden. Seinen Namen verdankt der Hut Theodore Roosevelt, der ihn beim Besuch der Bauarbeiten am Panamakanal trug.
Heute findet man in der Altstadt Casco Viejo eine Reihe von kleinen Läden, wo solche weißen Hüte mit schwarzem Außenband verkauft werden.
Alt und Neu, Reich und Arm
Als wir nach zwei Tagen auf dem Serpentinenweg durch den Dschungel wieder von der Insel Senidup nach Panama City zurückfahren, scheint es uns, als wären wir mindestens eine Woche unterwegs. Die Stunden vergehen anders in San Blas – ohne Handyempfang und Internet sind wir viel aufmerksamer auf das, was um uns herum passiert. Doch es ist keine Zeit, um den Postkarteninseln nachzutrauern. Denn auf uns warten vier Tage in der quirligen und pulsierenden Hauptstadt von Panama. Das bedeutet: eine Silvesterparty hoch über den Dächern der Stadt, viele Spaziergänge durch die Altstadt Casco Viejo, die Promenade und die Wolkenkratzerviertel und natürlich das Highlight des Landes in Mittelamerika: der Panamakanal.
In Panama City treffen dreißigstöckige silberne Wolkenkratzer auf farbenfroh restaurierte koloniale Bauten in der Altstadt Casco Viejo, wo der spanische Einfluss bis heute noch spürbar ist. Die engen Gassen der Altstadt sind voll von Boutiquen, wo Schokoladen-Rum, Panama-Hüte, T-Shirts mit Faultieren und vor allem bunte Molas verkauft werden. Die meisten Cafes und Restaurante sind für Ausländer und Touristen – wie etwa das von zwei kanadischen Schwestern geführte Bistro, wo man Avocado-Toast und Smoothies zum Frühstück bestellen kann, das Restaurant wo man in Oldtimer-Autos zu Mittag essen kann oder das argentinische Lokal mit alten Werbeplakaten an den Wänden, wo ein Sandwich mit Rindfleisch 28 Dollar kostet. Beeindruckende Kathedralen und Kirchen, der Präsidentenpalast Palacio de las Garzas, Häuser mit türkisfarbenen und rosaroten Fassaden, Designer-Boutiquen, und schon in der nächsten Straße riecht es nach verbranntem Öl, Kinder rennen schreiend durch die Gegend, Einheimische sitzen gesellig draußen vor ihren heruntergekommenen Häusern und hören laute Latino-Musik und ein junger Mann versucht vergeblich, uns Armbänder für 20 Dollar zu verkaufen, mit denen wir angeblich Eintritt zu einer 100 Dollar-Silvesterparty haben.
Silvester in der UNESCO-Altstadt
Das historische Viertel wurde im Laufe der letzten Jahre umfassend renoviert. Am 21. Januar 1673 wurde hier eine neue Siedlung errichtet, nur zwei Jahre nach der fast kompletten Zerstörung der vorhergehenden Stadt Panamá Viejo durch eine Piratenattacke. 1997 wurde Casco Viejo zum Weltkulturerbe erklärt. Sie war lange verkommen, auf den Straßen war die Kriminalität hoch. An manchen Häusern bröckelt immer noch die Fassade, auf den Straßen liegen immer noch Mauerreste. Trotzdem sieht man an vielen Ecken Bauarbeiter und eingezäunte Fassaden. Am Nachmittag des 31. Dezember hat sich eine große Menschenmenge vor der „Loteria Nacional“ gebildet. In Panama soll es Glück bringen, Lottoscheine zu Silvester zu kaufen. Wir kaufen je einen Schein für einen Bilbao.
In den Abendstunden ist die Altstadt noch viel energischer als bei Tageslicht. Dann wird in den vielen Rooftop-Bars über den Dächern der Stadt gefeiert und die bunt funkelnde Skyline von Panama City kann bei einem Cocktail bewundert werden. Viele der Rooftop-Bars haben auch Pools, wo man auch abends schwimmen kann.
Die Silvesterparty im Tantalo-Rooftop-Restaurant hält, was sie verspricht: im Parterre essen wir köstlichen Ceviche (ein Gericht aus Peru: roher Fisch, mit etwas Salz gewürzt und ganz ohne Hitzezufuhr für kurze Zeit in reichlich Limettensaft kalt gegart), Mini-Burger mit Fisch und das Highlight des Panama-Ausflugs überhaupt: Makkaroni mit Käse und Garnelen, dazu Mimosa-Cocktails mit Pfirsichsaft und Sekt und mexikanisches Corona-Bier.
An einer Wand ist eine riesige weiße Tafel angebracht, an der die Gäste ihre Wünsche für das Jahr 2024 aufschreiben können. Wer Lust dazu hatte, konnte Familie, Freunden oder sich selbst eine Postkarte schicken – angeblich ist das Tantalo der einzige Ort in Panama City, von dem aus man Postkarten nach Europa verschicken kann, die in der Regel ankommen.
Um Mitternacht gehen wir auf die Straße und öffnen Konfettitüten, danach geht es in die sechste Etage zur Party. In der Ferne glitzern die Lichter aus den Fenstern der Wolkenkratzer, ab und zu streichen neonfarbene Feuerwerk-Raketen den lila Nachthimmel. Auf der Party sind die meisten Leute Touristen – viele Amerikaner und Deutsche. Die meisten Gäste tragen bunte Plastikbrillen und ein glitzerndes Haarband mit der Aufschrift „Happy new year“, Carneval-Tänzerinnen schwingen auf dem Tresen die Hüften oder ziehen mit Seifenblasenmaschinen an der jubelnden Menge vorbei und alle scheinen glücklich und hoffnungsvoll ins neue Jahr zu starten. Obwohl die Musik besser sein könnte, haben die Leute Spaß. Als wir zurück in unser Hotel gehen, das gleich um die Ecke liegt, hören wir laute Latino-Musik aus einer Treppenstube, wo Einheimische wohnen.
Cinta Costera
Den ersten Januar verbringen wir an einem Hotelpool im Wolkenkratzerviertel, danach beschließen wir, zu Fuß nach Hause zu gehen. Vier Kilometer lang ist die Promenade „Cinta Costera“ direkt am Atlantik-Ufer, die beloebt ist bei Joggern und Skatern, aber auch eine hohe Attraktivität für Besucher als Flaniermeile direkt vor den Fassaden der Metropole ausstrahlt. An winzigen Ständen werden Hot Dogs und Grill-Sandwiches angeboten, am Rand sitzen ganze Gruppen Jugendlicher und schauen dem bunten Treiben zu, junge Mütter schieben Kinderwägen durch die Menschenmenge, Mädchen in neonfarbenen Kleidern fahren mit Rollschuhen vorbei, auf Teppichen wird Plastikware angeboten: glitzernde Hunde, Spinnen und Schlangen, Luftballons, aus Lautsprechern ertönt Popmusik. Wir gelangen zu einem riesigen Sommergarten, wo ausschließlich Fischgerichte angeboten werden. Obwohl die Terrasse die Größe eines Fußballplatzes hat, sind kaum noch Plätze frei. Als wir mehr als eine halbe Stunde warten, beschließen wir, weiter zu gehen. Wir drängeln uns weiter durch die Menschenmenge und gehen an glitzernden Weihnachtsmännern vorbei, die etwas fehl am Platz unter Palmen stehen. Schließlich landen wir erschöpft in einer mexikanischen Bar in Casco Viejo. Der Kellner fragt, woher wir kommen. Als wir Rumänien sagen, sucht er auf Google, danach sagen wir BRASOV und schon schaut er auf Fotos mit der Schwarzen Kirche und dem Marktplatz.
Am nächsten Tag steht der Besuch des Panama-Kanals auf dem Programm. „Jeder ist in Panama willkommen. Es ist egal, woher du kommst, wie alt du bist und wie du aussiehst, wir empfangen alle, die sich hier niederlassen wollen, mit offenen Armen“, meint Juan, unserer Reiseführer. Dann erzählt er uns von Wohnungspreisen und davon, wieviel man hier verdienen kann. Ohne Zweifel hat sich Panama zu einem der beliebtesten Expat-Reiseziele der Welt entwickelt. Die Gründe: Menschen und Landschaft sind vielfältig, das Klima tropisch und beständig. Größtenteils und das ganze Jahr über mit Tagestemperaturen um die 30 °C, außer in den Bergregionen: Dort ist es – ähnlich dem mitteleuropäischen Frühling – deutlich kühler. Das wissen Europäer zu schätzen. Außerdem können Menschen im Verhältnis unkompliziert einwandern und kommen problemlos an eine permanente Aufenthaltsgenehmigung heran.
Bevor wir zur Miraflores-Schleuse fahren, die die beste Aussicht auf den Kanal bietet, halten wir an einem Park an, wo uns Juan das erste Faultier zeigt, das wir in Panama sehen. Es hängt träge an einem Baum. In den nächsten Tagen werden wir die sympathischen Tiere an vielen Orten, die wir besuchen, sehen. Sie verbringen den Großteil ihres Lebens kopfüber in Bäumen hängend und schlafen bis zu 20 Stunden am Tag.
Schiffe aus aller Welt
Der Panama-Kanal, an den wir anschließend gelangen, wird oft als das achte Weltwunder bezeichnet. Auf jeden Fall ist es eins der aufwendigsten Meisterwerke der Ingenieurbaukunst seit Menschengedenken. Um durch den Kanal vom Atlantik zum Pazifik zu gelangen, müssen die Schiffe einen Höhenunterschied von 26 m überwinden. Die Schiffe durchlaufen drei Schleusen: die Schleusen von Miraflores, Pedro Miguel und Gatun. Durch ein ausgeklügeltes System werden die Schiffe unter Anwendung der Gravitätskraft gesenkt. Die gesamte Reise durch den Panama-Kanal beträgt rund 8 – 10 Std. Fahrtzeit, und der Kanal wird von mehr als 14.000 Schiffen jährlich befahren. Die Schiffe entrichten eine enorme Gebühr (von ca. 100.000 Euro) für die Durchfahrt, doch das ist dennoch weitaus weniger kostspielig als eine Umschiffung des gesamten Kontinents von Südamerika. Der Bau wurde 1880 von den Franzosen unter Federführung von Ferdinand de Lesseps begonnen, um die gefährliche Umschiffung von Cap Horn zu vermeiden und zugleich Transportkosten zu sparen. Die Franzosen gaben das Projekt auf, US-Präsident Roosevelt ließ die Arbeiten fortsetzen, die 1914 zu Ende gebracht wurden.
Seitdem brauchen die Schiffe nicht mehr den ganzen Kontinent zu umfahren, sondern können über die 77 km lange Wasserstraße quer durch Panama, vom Atlantik zum Pazifik, fahren und somit einen enormen Aufwand an Zeit und Geld einsparen. Die Miraflores-Schleuse bietet die beste Aussicht auf den Kanal, auf die gigantischen Tanker und Kreuzfahrtschiffe. Es gibt ein Besucherzentrum mit einer Aussichtsplattform, ein Restaurant mit einer Terrasse und einen Souvenir-Laden. Daneben finden sich auch einige Ausstellungsobjekte, Maßstabmodelle, Video-Vorführungen und interaktive Module, die die Funktionsweise der Schleusen und des Kanals erklären. Im Besucherzentrum des Kanals kann man sich den 45-minütigen Film über die Geschichte des Kanals ansehen, erzählt von Hollywoodstar Morgan Freeman, projiziert auf eine Großleinwand in 3D.
Am nächsten Tag geht es zu unserem nächsten Reiseziel, dem Archipel Bocas del Toro. Ein interner Flug der Gesellschaft Air Panama soll uns auf die Hauptinsel Bocas bringen. Der Flug startet im nahe gelegenen und kleinen Flughafen Allbrook, eine Uber-Fahrt bis hin kostet knapp 4 Doller. Doch nichts läuft, wie geplant: mitten auf der Strecke stecken wir plötzlich in kilometerlangem Stau. Nach fast einer halben Stunde Wartezeit müssen wir umdrehen und auf einer anderen Strecke zum Flughafen fahren. Der Weg ist von Protestlern gesperrt, die Polizei ist im Einsatz.
Sandmücken, Seesterne und Schokolade
Straßenblockaden und massive Demonstrationen finden in Panama seit Oktober regelmäßig statt, erzählt uns der Taxifahrer. Die landesweiten Proteste richteten sich vor allem gegen die Ausbeutung einer Kupfermine, Tausende von Menschen gingen auf die Straße und legten das Land lahm. Aufgerufen zu den Protesten haben Gewerkschaften und Umweltschutz-Organisationen. Nachdem wir fast eine Dreiviertelstunde im Stau gesteckt sind, muss nun das Taxi umkehren und auf einem alternativen Weg zum Flughafen fahren. Wir schauen auf die Uhr- nur noch eine Stunde bis zum Abflug, das wird knapp. 45 Minuten vor Abflug steigen wir mit zitternden Knien aus dem Taxi. Wir sind sicher, dass wir den Flug verpasst haben, da wir noch Gepäck aufgeben müssen.
Der lustigste Flughafen der Welt
Doch der Stress war umsonst. Der Albrook-Flughafen, von dem wir mit der Fluggesellschaft Panama Airlines nach Bocas del Toro fliegen, sieht eher aus wie ein Busterminal. Während wir beim Check-in warten, sehen wir erstaunt, dass hier das Gepäck noch von Menschen ein- und ausgeladen und nicht auf Bändern transportiert wird, wie wir es gewohnt sind. Die jungen Männer, die das tun, scheinen gut aufgelegt zu sein und pfeifen ein Lied. Als wir am Schalter ankommen, erklärt uns eine Dame in einer skurrilen Kombination aus Spanisch und Englisch, dass uns die Airline je 20 Dollar schuldet. Unser Flug war billiger, aber es gab einen Fehler im System. Um jedoch diese 20 Dollar zurückerstattet zu bekommen, müssen wir je 50 Dollar zahlen. „Then you will get 70 Euros“, erklärt die Dame. Wir verstehen es nicht genau, aber wir zahlen. Dann müssen wir ins Büro einer anderen Dame, die dauernd kichert und uns ein Papier erstellt, wo erklärt wird, dass wir das Geld in 5 Tagen erhalten werden. Auf einem Regal liegt ein Stapel deutscher Krimis, als ich ein Buch durchblättere, meint sie kichernd, dass ich es gern haben kann. „Regalo! Regalo!“ (auf Deutsch: Geschenk), ruft sie und kichert erneut. An diesem Flughafen scheinen alle Angestellten in perfekter Stimmung zu sein.
Von der Hölle ins Paradies und wieder in die Hölle
Nach dem einstündigen Flug landen wir in Bocas del Toro. Auf uns warten sechs Tage Inselparadies – der Archipel im Nordosten Panamas verspricht karibisches Flair, traumhafte Strände, eine artenreiche Unterwasserwelt und abgeschiedene Inseln. Ein Sammeltaxi fährt uns zum Hafen in Bocas Town auf der Hauptinsel Isla Colón, hier laden wir unser Gepäck in ein Wassertaxi, das uns zu unserer ersten Unterkunft auf die Insel Carenero bringt. In den nächsten Tagen wird das Wassertaxi unsere einzige Transportmöglichkeit sein – damit kann man für wenige Dollar auf die benachbarten Inseln fahren, um sie zu erkunden.
Carenero ist ein grünes Paradies – sie ist von Dschungel bewachsen, es verkehren keine Autos und man kann sie in knapp anderthalb Stunden zu Fuß umgehen.
Nachdem wir im Restaurant „Bibis“ Ceviche und frischen Fisch gegessen haben, schwimmen wir mit einheimischen Kindern im flaschengrünen Meer bis die Sonne untergeht. Den Rest des Abends lassen wir in der Strandbar eines Argentiniers bei einem Mohito unter einem klaren Sternenhimmel verklingen. Dass überall Flaschen mit einer gelben Flüssigkeit ausgelegt sind, auf der in Großbuchstaben „INSECT REPELLENT“ (deutsch: Insektenschutz) steht, übersehen wir.
„Alles läuft perfekt in diesem Urlaub“ denke ich auf dem Weg durch den Sand ins Hotel. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Während wir bei Sonnenuntergang am Strand gesessen sind, wurden wir von einem Schwarm Sandmücken angegriffen.
Als wir schon im Bett liegen, fängt die Haut plötzlich ganz stark an zu jucken. Ein Blick auf die Beine lässt uns erschrocken auffahren: sie sind übersät mit roten, geschwollenen Mückenstichen.
Nachdem wir im Internet einige Artikel lesen, wissen wir, dass die Perspektiven sehr schlecht sind: Sandmücken sind hundert Mal schlimmer als „herkömmliche“ Moskitos aus Europa, uns erwarten qualvolle Tage (und Nächte). Man hätte der Sandmückenattacke vorbeugen können: mit dem gelben Insektenschutzmittel, das überall zu haben ist oder mit Kokosöl, das eine schützende Schicht auf der Haut bildet, in der die Mücken ertrinken, bevor sie beißen können.
Hätten wir uns vorher besser informiert, hätten wir gewusst, dass ausgerechnet die Insel Carenero bekannt für die vielen Sandmücken ist! Auf Google Images sehen wir uns die Insekten an, die das Unheil angerichtet haben. Sie sind klein, schwarz, sehen wie Mini-Schmetterlinge aus und sind furchtbar fies: man merkt nicht, wenn man gestochen wird, denn es tut überhaupt nicht weh. Also sieht man in 99% der Fälle nicht, dass sie sich auf jede sich anbietende blanke Körperstelle setzen, ihre Mini-Säge auspacken, die Haut aufritzen und einen klitzekleinen Tropfen Blut aufsaugen. Nach einer Attacke zählt man fünfzig oder mehr Angriffsstellen von Sandfliegen auf einem einzigen Bein. Und dann folgt die Qual. Eigentlich müsste in jedem Reiseführer aus Panama mit Großbuchstaben stehen: ACHTUNG, SANDMÜCKEN! Im Internet schreibt jemand, dass es die Hölle auf Erden ist. Und dass es lange dauern kann, bis die Stiche verschwinden. (Heute, einen Monat nach dem Sandmücken-Angriff, ist meine Haut noch immer von Stichen übersät, die Stiche jucken noch immer und es kann noch weitere Monate dauern, bis sie verschwinden).
Es werden viele schlaflose Nächte folgen, Salben und Antihystamine werden zwar während des Tages helfen, doch in der Nacht wird die Qual erneut beginnen. Man sollte sich nicht kratzen, aber das ist unmöglich. Doch wir wollen uns den Urlaub nicht zerstören lassen.
Und die Inseln „Zapatillas“ (Zapato bedeutet Schuh auf Spanisch, die beiden Zwillingsinseln sehen aus wie zwei Schuhe mitten im Meer) sind so wunderschön, dass wir die Sandmückenstiche für ein paar Stunden vergessen. Hier gibt es nichts, außer einem dichten Dschungel, hellen Sandstrand und ein paar Booten, die vor der Küste schaukeln. Da die Inseln recht klein sind, kann man am Strand entlang um sie herumlaufen oder sich auf eine Dschungeltour durch den dichten Regenwald begeben. Wir schwimmen im türkisfarbenen Meer, gehen im weißen Sand spazieren und erholen uns unter Palmen – in nur wenigen Stunden sind wir aus der Hölle ins Paradies gelangt.
Nach ein paar Tagen, in denen wir mit dem Taxiboot von einer Insel auf die andere gefahren sind und auch der berühmten „Floating bar“ (eine schwimmende Bar mitten im Meer) zu Gast waren, ziehen wir nach Bocas Town, in die Hauptstadt des Archipels auf der Isla Colon um. Hier befindet sich der Haupt-Anlaufpunkt für die Boote vom Festland und der Ausgangspunkt für die Ausflugsziele zu den umliegenden Inseln. Und hier sieht es plötzlich ganz anders aus: staubige Straßen, auf denen Kleinbusse, LKWs und gelbe Sammeltaxis verkehren, Cafes und Restaurants, die sich aneinanderreihen, laute Musik, bunte Souvenir-Shops. Wir wohnen in der sogenannten Saigon-Bucht, in der von der Französin Sandrine betriebenen „Villa Amaya“.
In den letzten Tagen in Bocas del Toro erkunden wir nicht nur Bocas Town, sondern wir fahren auch zum berühmtesten Strand der Insel Colon: Starfish Beach, Plaja Estrella oder der Strand der Seesterne ist in jedem Reiseführer als der schönste Strand in der Region erwähnt.
Mit einem vollbepackten Kleinbus fahren wir 40 Minuten lang, bis der Fahrer in Boca del Drago anhält. Von dort müssen wir noch 15 Minuten durch den Dschungel gehen, bis wir unser Ziel erreichen. Doch was plötzlich vor unseren Augen erscheint, ist komplett anders, als es wir uns vorgestellt haben. An weißen Plastiktischen picknicken Einheimische, laute Latino-Musik ertönt aus verschiedenen Lautsprechern, das Wasser im Meer ist trüb und überall liegt Müll am Boden. Als ich mich trotzdem ins Wasser wage, in der Hoffnung, auf diese Weise der lauten Musik zu entkommen, kann ich am Meeresgrund etwa drei oder vier Seesterne zählen.
Früher waren es hunderte.
Früher war Plaja Estrella eine romantische Bucht mit türkisfarbenem Wasser, von Palmen umgeben. Es gab keine einzige Strandbar und schon gar keine weißen Plastikliegestühle. Dann kam der Massentourismus. Die Leute nahmen die Seesterne aus dem Wasser, fotografierten sich mit ihnen. Dabei können Seesterne an der Luft nicht atmen und ersticken außerhalb des Wassers.
Am Strand der Seesterne kann man am besten erleben, wie der Massentourismus einen wunderschönen Ort zerstört hat. Es ist der vielleicht traurigste Ort, den wir in Panama besucht haben. Doch die Besucher scheinen sich keine Gedanken darüber zu machen. Obwohl überall Plakate angebracht sind, die es untersagen, posten die Leute weiterhin Seestern-Selfies auf Social Media. Leider.
Die Schokoladen-Insel
Etwas optimistischer, was die Zukunft unseres Planeten anbelangt, sind wir nach dem Besuch der Schokoladenfarm „Green Acres“, an der Küste der Delphinbucht auf der Insel Cristobal. Eine zweistündige Tour, geleitet vom Amerikaner Gery Mitchell, führt uns durch einen tropischen Regenwald, wunderschöne botanische Gärten und eine große Kakaoplantage. Auch die Tierwelt ist in diesem 30 Hektar großen Paradies reichlich vertreten. Wir sehen Affen, Tukane, Faultiere, Pfeilgiftfrösche, tropische Schmetterlinge und eine Vielzahl von Vögeln. Gery kennt die Namen aller Pflanzen und aller Tiere und erklärt, wie Kakao auf der Insel angebaut, getrocknet, geröstet und zu 100% biologischer Schokolade verarbeitet wird.
Panamas Verbindung zur Kakao-bohne war schon sehr bedeutsam, erklärt Mitchell, lange bevor die Europäer das Land in Zentralamerika betraten. Die indigenen Kuna bereiteten hier aus den dort wachsenden Kakaobohnen ein reichhaltiges und süßes Kakaogetränk. Es wurde aus heißem Wasser, Kakaobohnen, Gewürzen und Kochbananen hergestellt. Man sagt, dass die Kuna davon 4 bis 5 Tassen täglich tranken und sich sehr guter Gesundheit erfreuten. Panama baut jährlich ca. 810 Tonnen Kakaobohnen an. Das sind unge-fähr 0,02% des gesamten Anbaus in der Welt.
Es wird nicht nur zerstört, sondern auch aufgebaut
Als langjähriger Tier- und Naturliebhaber gründete Gary im Jahr 2002 die Stiftung „Planet Rehab“, nachdem er erfahren hatte, wie gefährdet die Umwelt geworden war. Zahlreiche Strandsäuberungsaktionen, die Eröffnung eines Tierschutzgebietes und das Organisieren von Umwelt-Festivals gehörten zu den Tätigkeiten der Stiftung. 2019 zog Gary auf die Insel in Bocas del Toro, um sich besser auf die Erhaltung von Lebensräumen und den Artenschutz zu konzentrieren. Aufforstung, Wiederherstellung von Korallen, Entwicklung von Bestäuberpopulationen und Umsiedlung von Amphibien sind einige der Hauptthemen, auf die sich seine Stiftung derzeit konzentriert. Es schenkt Hoffnung zu wissen, dass auch aufgebaut wird, nicht nur zerstört.
Optimistisch werden wir auch in Bocas Town, als wir auf den Laden eines Argentiniers stoßen, der wie Salvador Dali ohne Schnurrbart aussieht. Unter der Marke „Black Cat“ (Schwarze Katze) stellen er, seine Ehefrau und seine Schwiegermutter skurrile handgemachte Souvenirs, Zeichnungen und nachhaltige Kleidung her. Man wünscht sich, den ganzen Laden zu kaufen. Schließlich entscheide ich mich für ein Hemd mit Glückskatzen-Motiv und eine Postkarte, auf der eine überdimensionale Sandmücke, ein Skelett mit Surfbrett, ein Faultier und viele Palmen dargestellt sind. „I survived Bocas“ (Ich habe Bocas überlebt) steht darauf. Sie soll uns an eine abenteuerreiche Reise in eins der schönsten Länder Zentralamerikas erinnern.