Oskar Franz Josef Netoliczka, 1865-1940 – Lehrer, Wissenschaftler und Honterusforscher

D. Dr. Oskar Franz Josef Netoliczka, 1930er Jahre, fotografiert von Sohn Oskar Gerhard Netoliczka, Inv.-Nr. 14-145

Oskar Franz Josef Netoliczka mit seiner zweiten Frau Margarete geb. Hiemesch, 1930er Jahre. Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche A. B. Kronstadt, Nachlass Oskar Franz Josef Netoliczka, Inv.-Nr. 14-130

Oskar Netoliczka im Alter von 19 Jahren (1884). Archiv und Bibliothek der Evangelischen Kirche A. B. Kronstadt, Nachlass Oskar Franz Josef Netoliczka, Inv.-Nr. 14-149

Todesanzeige aus der Kronstädter Zeitung vom 13. Juli 1940. Normalerweise finden wir in der Kronstädter Zeitung beim Tode eines so bedeutenden Kronstädters immer einen ausführlichen Nachruf. Das Jahr 1940 war ein Kriegsjahr und in dieser Zeitung waren leider hauptsächlich Kriegsnachrichten.

Oskar Franz Josef Netoliczka wurde am 8. August 1865 in Komorn als Sohn des k. u. k. Hauptmanns August Netoliczka (1834-1866) und der Maria von Greissing (1839-1914) geboren. Als sein Vater 1866 in Böhmen im Vaterländischen Krieg fiel, war er noch kein Jahr alt und seine Mutter kehrte nach Kronstadt zu ihren Eltern zurück. Die Eltern der Mutter waren der Apotheker Franz von Greissing und die Mutter Josepha geb. Beckers, die ebenfalls einer Apotheker-Familie entstammte. Die Apotheke hieß „Zum schwarzen Adler“ und befand sich auf der Kornzeile. 1903 wurde sie von Eugen Neustädter, dem Vater des Schriftstellers Erwin Neustädter, übernommen und hieß damals „Zum Schutzengel”.

Den beruflichen Werdegang von Oskar Netoliczka beschrieb Gernot Nussbächer in einer Würdigung anlässlich des 150. Jubiläums seiner Geburt im Deutschen Jahrbuch für Rumänien für das Jahr 2015; diese wollen wir hier übernehmen.

„Oskar besuchte die Schule in Kronstadt und absolvierte im Jahre 1884 das Honterusgymnasium. Anschließend studierte er in Jena, Berlin und Budapest und erwarb im Jahre 1888 den Doktortitel in Jena. In die Heimat zurückgekehrt, wurde er 1890 ordentlicher Lehrer der deutschen Sprache am Honterusgymnasium und 1894 auch Bibliothekar der Anstalt. In den Jahren 1916-1926 war er Rektor des Honterusgymnasiums und trat danach in den Ruhestand. Eine Berufung als Professor an die Klausenburger Universität lehnte er 1919 ab und erhielt im gleichen Jahr den Titel eines Ehrendoktors der Universität Zürich. Im Jahre 1936 wurde er Ehrenmitglied der Deutschen Akademie in München. Dr. Oskar Netoliczka war ein rastloser Arbeiter als Schulmann und Wissenschaftler, wie das seine zahlreichen Veröffentlichungen ausweisen, von denen wir nur einige herausgreifen.

Sein erstes international bekanntes Werk war das „Lehrbuch der Kirchengeschichte für höhere Lehranstalten“ von Friedrich Lohmann, dessen erste von ihm bearbeitete 3. Auflage im Jahre 1893 in Göttingen erschien und es bis zum Jahre 1927 zur zehnten Auflage brachte (62.000 Exemplare).
Dann gab er zusammen mit Dr. Johann Wolf ein „Deutsches Lesebuch für Mittelschulen“ (1895) heraus, das bis zum Jahre 1924 in mehreren Auflagen in Hermannstadt erschien. Danach folgte die „Sammlung deutscher Gedichte für die Oberklassen der Sekundarschulen in Rumänien“ (1928), die vielen Schülergenerationen die schönsten Gedichte der deutschen Literatur nahebrachte und ebenso auch die schönsten Gedichte der rumänischen Literatur in deutscher Übersetzung.

Seine verdienstvollste Leistung als Bibliothekar der Honterusschule war die Verzeichnung der Foliobände der reichhaltigen Handschriftensammlung von Josef Franz Trausch (1795-1871), die in den Jahren 1898-1903 in drei Teilen veröffentlicht wurde. (Die Fortsetzung der Verzeichnung der Quarto- und der Oktavbände erfolgte erst mehr als ein halbes Jahrhundert später und wurde von Christliebe Höhr (1925-1999) im Jahre 1963 abgeschlossen.).

Des Weiteren hat sich Dr. Oskar Netoliczka als Honterus-Forscher große Verdienste erworben.

Zuerst gab er im Honterus-Gedenkjahr 1898 ein „Gedenkbüchlein“ über den siebenbürgisch-sächsischen Reformator Johannes Honterus (1498-1549) heraus, das in zwei Ausgaben erschien. Seine bedeutendste Arbeit ist jedoch der Band „Johannes Honterus. Ausgewählte Schriften“, der ebenfalls 1898 erschien und bis heute ein Standardwerk der Honterus-Literatur ist. 

Netoliczka behauptete noch im Jahre 1922: „vita Honteri scribi nequit“ (Das Leben von Honterus kann nicht geschrieben werden), acht Jahre später aber gab er selbst das Bändchen „Beiträge zur Geschichte des Johannes Honterus und seiner Schriften“ mit vielen neuen eigenen Forschungsergebnissen heraus und hat auch noch bis zum Jahre 1937 weitere neue Erkenntnisse über Honterus veröffentlicht.
Ein weiteres heimatkundliches Betätigungsfeld von Netoliczka war seine Mitarbeit an den „Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt“, wo er in den Bänden 4 – 6 (1903-1915) mehrere Chroniken und Tagebücher veröffentlicht hat, allen voran die „Breve Chronicon Daciae“, die Wandchronik aus der Schwarzen Kirche für die Jahre 1143-1571.

Netoliczka hat auch Leben und Werke vieler bedeutender Siebenbürger untersucht und gewürdigt. Besonders wertvoll sind diesbezüglich seine Beiträge für die große Enzyklopädie „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ (fünf Bände, Tübingen 1927-1931), wo von ihm die Biographien von 37 deutschen und ungarischen Persönlichkeiten aus Siebenbürgen von Johannes Honterus bis Viktor Glondys – also vom 16. bis zum 20. Jahrhundert – stehen, die auf diese Weise im binnendeutschen Sprachraum besser bekannt gemacht wurden. So war Oskar Netoliczka gewissermaßen auch ein Herold seiner Heimat.

Sein gewaltiges wissenschaftliches Werk ist zum großen Teil im „Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen“ von Hermann A. Hienz (2004) verzeichnet.  

Im Jahre 1939 feierte Netoliczka sein Goldenes Doktorjubiläum und starb am 11. Juli 1940 in Kronstadt.”

So weit Nussbächers Text zur wissenschaftlichen Tätigkeit Netoliczkas.

Es soll aber auch sein Familienleben nicht zu kurz kommen. Oskar Netoliczka heiratete 27-jährig Luise geb. Linz, die Tochter des Hermannstädter Notars Franz Linz und der Johanna Luise geb. Philippi, Tochter des Kronstädter Dechanten Friedrich Philippi. Aus dieser Ehe stammen seine drei Kinder, die Tochter Luise (1893-1974), der Sohn Oskar (1897-1970) und nach weiteren sieben Jahren der Sohn Walter (1904-1932). 
Luise Treiber-Netoliczka ist die bekannte Volkskundlerin. Über ihr Leben und ihre Tätigkeit konnten wir in dem Vortrag vom 25. März 2025 im Kapitelzimmer viel erfahren und wir können auch hoffen, dass in Kürze ein Buch über ihr Leben erscheinen wird. Sie heiratete 1945 den Bauingenieur und Denkmalpfleger Gustav Treiber, dem wir viele Beschreibungen unserer Kirchenburgen verdanken. Im Jahr 1963 wanderten sie aus und starben 1973 bzw. 1974 in Gundelsheim.

Der Sohn Oskar ist der ebenfalls gut bekannte Fotograf, Bildhauer und Zeichner, der sich nach wenigen Jahren der Tätigkeit als Zeichenlehrer an unserer Honterusschule ganz dem Fotografieren zuwandte. Er heiratete 1934 die gebürtige Wienerin Paula geb. Kretzer, die Witwe seines jüngeren Bruders Walter, der schon 28-jährig in Danzig als Assistent der dortigen technischen Hochschule verstarb.

Luise geb. Linz, die erste Ehefrau von Oskar Franz Josef Netoliczka und Mutter seiner Kinder, starb 1925 im 53. Lebensjahr. Zwei Jahre später, im Jahr 1927, d. h. in seinem 62. Lebensjahr, heiratete er erneut, und zwar eine Tochter des Bürgermeisters Franz Hiemesch, Margarete. Margarete Hiemesch war eine bekannte Malerin und würde auch eine eigene Würdigung verdienen.

Oskar Netoliczka starb am 11. Juli 1940 im Alter von 71 Jahren und wurde in der Gruft der Familie Beckers und Greissing am 13. Juli beigesetzt. In derselben Gruft war schon 15 Jahre früher seine erste Frau Luise beigesetzt worden, aber auch seine Mutter und die Großeltern mütterlicherseits liegen hier bestattet.

Margarete überlebte ihren Ehegatten um 23 Jahre und wurde im Familiengrab des vorletzten deutschen Bürgermeisters Franz Hiemesch (ISlXI24) beerdigt.