Ein inhaltsreicher Bildband über die Tätigkeit des Pfarrers und Politikers Alfred Herrmann, der in der Zwischenkriegszeit und bis Anfang der sechziger Jahre in mehreren evangelischen Kirchengemeinden A.B. Siebenbürgens, zum Teil auch als Bischofsvikar gewirkt hat, verfasst von seinem Enkel Christian Herrmann, erschien im Vorjahr im Rahmen des Honterus Verlags Hermannstadt mit der finanziellen Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens vermittels des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien und des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen. Diese Finanzierungen für die Herausgabe von Büchern in deutscher Sprache zur Geschichte der Rumäniendeutschen, im Bereich der Literatur und Dokumentationen sind besonders zu schätzen, da dadurch die zum Großteil auch unentgeltlich vertriebenen Auflagen einer zahlreichen Leserschaft zur Verfügung gestellt werden können, Aufklärung bieten und kontroverse Aspekte ins richtige Licht stellen.
In diesem Kontext ist auch der aufliegende Band „Kein Mensch kann sich dieser Macht entziehen“ – Alfred Herrmann Pfarrer und Sozialdemokrat (1888-1962), verfasst von Christian Herrmann, mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Andreas Wien und Beiträgen von Prof. Dr. Hermann Pitters und mit reicher Bildillustration besonders zu werten. Der am 13. Januar 1888 in Kronstadt geborene Alfred Herrmann, in der Langgasse, besuchte dort die Volksschule und das Gymnasium. Zwischen 1906 und 1910 studierte er in Gießen, Budapest und Berlin, um anschließend ein Jahr als Hauslehrer in Mecklenburg bei Graf Bernstorff-Gyldensteen zu wirken, und 1911 wieder in seine Geburtsstadt heimzukehren. Hier verbrachte er ein weiteres Jahr als Suppleant an der Mädchenschule, um dann fünf Jahre als Pfarrer in Leblang zu wirken. Von 1917 bis 1921 belegte er die Pfarrstelle in Hamruden, wobei er im letzten Jahr seines Aufenthaltes einen schweren Schlag durch den Tod seiner ersten Frau Hermine erlitt. Die nächsten drei Jahre befand er sich in Großprobstdorf. 1924 kam er nach Kronstadt, wo er Hilde Schmidt heiratete und bis 1932 an der Kirche Blumenau in Kronstadt als Pfarrer wirkte. Es folgte ein weiteres Jahr in der Kirchengemeinde Bartholomä. Zwischen 1933 und 1937 wurde er Stadtpfarrer von Czernowitz, dann Stadtpfarrer von Bukarest (1937-1946) und von 1946 bis 1961 Stadtpfarrer von Hermannstadt. In diesen Jahren war er von 1952 bis 1961 zum Bischofsvikar der Evangelischen Landeskirche A.B. in Siebenbürgen gewählt worden. Im letzten Jahr dieser Zeitspanne trat er vom Dienst zurück und legte seine Ämter nieder, nachdem auch seine zweite Frau 1960 gestorben war. Am 7. Februar 1962 ereilte ihn der Tod in Hermannstadt und er wurde unter großer Beteiligung dort beigesetzt.
In seinem Vorwort zu dem rund 210 Seiten umfassenden Band, der auch 176 Archivfotos umfasst, auf denen auch zahlreiche Persönlichkeiten, Mitarbeiter und Freunde zu erkennen sind, betont der Autor, dass nur wenige Predigttexte und Schriften zu politischen Themen erhalten geblieben sind. „Er pflegte Kontakte zu unzähligen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, die teilweise entgegengesetzte Ziele verfolgten. Diese Kontakte hatten meistens nur ein Ziel: Die soziale Gerechtigkeit und den Frieden voranzutreiben, ohne der einen oder anderen Partei zu schaden. Hier ordne ich auch seine Kontakte zum Rumänischen Geheimdienst ein. Seine Fähigkeit, Beziehungen in unterschiedlichste Richtungen aufzubauen, war meiner Meinung nach auch das, was ihn zu einer einmaligen Persönlichkeit seiner Zeit machte“, unterstreicht der Herausgeber und Autor, der einleitend auch kurz die Umstände erklärt, weshalb Alfred Herrmann mit zwei „r“ geschrieben wird, obwohl er als Alfred Hermann nur mit einem „r“ geboren worden ist.
Prof. Dr. Ulrich A. Wien nimmt in seinem Geleitwort eine kurze Analyse der Umstände der Zeit, in denen Alfred Herrmann gelebt und gewirkt hat, und der unterschiedlichen Meinungen vor, die es auch in der Evangelischen Kirche A.B. in Siebenbürgen gab, einschließlich was die Nachfolge als Bischof betraf. „Dennoch erlaubte gerade diese ‚schwebende‘ Situation – trotz der internen atmosphärischen Trübungen – womöglich eine Stabilisierung der Gesamtsituation der Landeskirche im fünften und sechsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Denn beide Seiten der Waagschale waren mit eindrücklichen, und in ihrer Weise jeweils überzeugenden Personen besetzt, die sich zwar ungewollt, aber sinnigerweise im Gleichgewicht hielten“, schlussfolgert Dr. Wien. Eine diesbezüglich weitere aufschlussreiche Dokumentation jener Jahre erschien 2022 unter dem Titel „Überwachung und Infiltration. Die Evangelische Kirche in Rumänien unter kommunistischer Herrschaft (1945 – 1969)“ von Hannelore Baier, im Verlag Friedrich Pustet Regensburg.
Seine erste Pfarrstelle belegte Alfred Herrmann in Leblang, nachdem er 1911 aus dem Ausland zurückgekehrt war und ein Jahr an der Kronstädter Mädchenschule als Suppleant verbracht hatte, deren Rektor Alfred Meschendörfer damals war. 1912 legte er die theologische Prüfung ab, nachdem er sich für das Pfarramt entschlossen hatte. Die erste Pfarrstelle wurde ihm in Leblang angeboten, wo er gemeinsam mit seiner Mutter das baufällige Pfarrhaus bezog. Hier fiel ihm auch die Rolle zu, die sächsischen Bewohner zu beruhigen, als die rumänische Armee 1916 in die Gemeinde einzog und sie belagerte. Seine hiesigen Erlebnisse wie auch die dann in der nächsten Gemeinde, der er als Pfarrer diente, in Hamruden, runden auch den Blick auf seine Gedanken, der Hilfsbereitschaft für die Angehörigen der Kirche ab. Nach dem Tod seiner ersten Frau Hermine trat er die Pfarrstelle in Großprobstdorf (1921 bis 1924) an. Er betrachtete sich als Pfarrer der Jugend und der Arbeiter. Nun folgte er dem Ruf der Blumenaue Kirchengemeinde von Kronstadt. Dort fand er ansprechende Kontakte zu Kirchengliedern, veröffentlichte in der Zeitschrift „Klingsor“, was ihm einen Namen als Sozialdemokraten einbrachte, da er sich für die Belange der Arbeiterschaft interessierte. „Vom Werden des siebenbürgisch-sächsischen Proletariats“, „Die Siebenbürger Sachsen und der Sozialismus“,um nur zwei seiner Artikel zu nennen. Er war für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zeigte den Jugendlichen Perspektiven auf, die sie beschreiten sollten, selbst bildete er sich weiter als Pfarrer fort. In Kronstadt hielt er mehrere Vorträge bezüglich „Soziale Gerechtigkeit“ nach der Gründung des evangelischen Gesellen- und Arbeiter-Bildungsvereins. 1932 folgte er der Berufung als Pfarrer in Bartholomä, wobei die Archivfotos von der festlichen Einführung besonders ansprechend sind, wie auch die Familienbilder und das Gemälde, das ihn darstellt und von seinem Freund, dem Maler Hans Eder geschaffen worden war.
Prof. Dr. Hermann Pitters betont u.a. „Herrmann war ein begeisterter Prediger und ein ausgezeichneter Rhetoriker... Alfred Herrmann konnte aus dem Stegreif zu jedem Thema, sei es aus dem Bereich der Naturwissenschaften oder der Physik, der Philosophie oder auch der Theologie einen hochinteressanten Vortrag halten“. Auch das führte dazu, dass er zum Stadtpfarrer von Bukarest von 1937 bis 1946 berufen worden war. Hier setzte er sich auch mit der „nationalistischen Weltanschauung aus-einander... was ihn noch mehr in den Gegensatz zu der auch in Rumänien sich ausbreitenden nationalistischen Politik führte“. Hier erlebte er das Erdbeben vom 10. November 1940, die Bombenangriffe und die Nachkriegszeit, wobei der Umsturz vom 23. August 1944 sein Leben veränderte. Während der 1945 erfolgten Deportation setzte er sich besonders für die elternlosen Kinder ein.
Die Berufung nach Hermannstadt 1947 als Stadtpfarrer und anschließend auch zum Bischofsvikar war die wichtigste Station seines Lebens. Dort wohnte er gemeinsam mit seiner Familie im Stadtpfarrhaus mit der Familie des Bischofs Friedrich Müller. Trotz der unterschiedlichen Meinungen, zum Teil über Aspekte des kirchlichen Lebens, wie auch der politischen Ansichten, lebten sie in freundschaftlichen Beziehungen. Als Stadtpfarrer und Bischofsvikar wandte er sich in einem Schreiben an den Bischof, in dem er um seine Verabschiedung ansuchte, besonders herzlich: „Hochwürdiger Herr Bischof, lieber Freund! Tief bewegt beehre ich mich, Dir mitzuteilen, dass ich mich entschließen musste, um meine schon lange von mir und anderen erwogene Versetzung in den Ruhestand mit dem 1.Dezember 1961 anzusuchen... Ich danke für alles Wohlwollen, das mir von Deiner Seite sowie vom hochlöblichen Landeskonsistorium in meiner 49jährigen Dienstzeit zuteil geworden ist und bitte, mir auch weiter dies Wohlwollen zu bewahren... Ich weiß die Zukunft unserer Kirche unter dem Schutz des allmächtigen Gottes.“
Von einigen als „roter Bischof“ bezeichnet, da er in den Jahren des Kommunismus sich immer wieder einsetzte für die Belange der Kirche, der Sachsen Siebenbürgens, der Zusammenarbeit mit den neuen Behörden, denen unterschiedliche Interpretierungen geboten wurden, wurde anlässlich seiner Beisetzung in Hermannstadt volle Anerkennung von den hochrangigen Redner für sein Wirken und Leben ausgesprochen. In seinem in der Schwarzen Kirche erfolgten Nachruf, gehalten vom Organisten Hermann Walter Schlandt, veröffentlicht in der „Neuen Kronstädter Zeitung“ (1962) in Deutschland, würdigte dieser Alfred Herrmann wie folgt: „Er hatte volle Kirchen! In der Zeit, in der die weltanschaulichen Auseinandersetzungen tiefe Gräben aufgerissen hatten, war das sehr ungewöhnlich. Er aber, ein charismatischer Prediger, der Emotionen zu wecken verstand, nahm die Hörer gefangen: Alfred Herrmann. So war es in Kronstadt und an den anderen Stätten seines Wirkens – es war die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Herrmann hat seine Berufung und auch sich selbst immer wieder in Frage gestellt, hat nach dem Weg zwischen Ideal und Wirklichkeit gesucht und hat versucht, den Zeitgeist in seine Gedanken einzubeziehen. …Pfarrer Herrmann ist einer von den seltenen Menschen, die Freiheit und Herzensgüte mit Entschlossenheit, mit Willens- und schöpferischer Kraft in der schönsten Weise vereinen“.