„Das ist Emil, der hier im Topf kocht“, erklärt Caroline Fernolend drei jungen Stadtmenschen in ihrer Küche in Deutsch-Weißkirch. Sie lernen von ihr, klare Hühnersuppe zu kochen. „Mit dieser Suppe hat meine Mutter seine Königliche Hoheit König Charles bei dessen ersten Besuch hier beeindruckt, und diese koche auch ich immer, wenn besondere Gäste in unser Dorf kommen“. Das Rezept teilt sie mit den Jugendlichen. Dafür müssen sie allerdings mithelfen: Gemüse aus dem Garten ernten, es waschen, schälen, schneiden und ins Wasser geben, in dem der Hahn kocht. Auch luftige, große Grießknödel lernen Carmen, eine 17-jährige Schülerin vom Brukenthal-Nationalkolleg aus Hermannstadt, Hugo (13) und Marcus (17) vom Honterus-Nationalkolleg aus Kronstadt zuzubereiten.
Sie sind nicht etwa bei einem Kochkurs, sondern bei einer Sommerschule im Rahmen der Kulturwoche Haferland, einem beliebten kulturellen und ethnografischen Festival, in dessen Zentrum die siebenbürgisch-sächsischen Traditionen stehen.
Das Treffen mit der Vorsitzenden der Stiftung Mihai Eminescu Trust (MET) ist eine der Aufgaben, die die Teilnehmer bei einer Schatzsuche im UNESCO-Dorf durchführen müssen. Denn so entdeckten sie nicht nur die Frau, die zur Weltberühmtheit von Deutsch-Weißkirch stark beigetragen hat. Sie lernten auch über die Bedeutung des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes.
Kulturelle Sommerschule
Zehn Schülerinnen und Schüler von deutschsprachigen Schulen aus Kronstadt, Hermannstadt und Bukarest waren zwischen dem 28. Juli und dem 2. August in Deutsch-Weißkirch und Deutsch-Kreuz unterwegs. Anhand konkreter Aufgaben im Rahmen eines mehrtägigen Schatzsuchspiels erkundeten sie, in Gruppen aufgeteilt, das Kulturerbe, die Natur und das traditionelle Handwerk der Gemeinde Deutsch-Weißkirch.
Bei Treffen mit Dorfbewohnern, Besuchen in der Kirchenburg, in Museen und mehreren Häusern erkundeten sie, wie der Ort durch den lokalen Einsatz, insbesondere durch Caroline Fernolend und ihrer Mutter, Sara Dootz, gerettet wurde und welche Rolle König Charles für den Erhalt der Authentizität des Dorfes und der Gegend hatte.
Ihre Eindrücke haben sie in kurzen Filmen, Gedichten, Zeichnungen oder Tonaufnahmen festgehalten. In ihrem kreativen Prozess wurden sie von Mentoren unterstützt, die vor Jahren bei Schülerzeitungen mitgewirkt haben.
„Ich habe gelernt, wie wichtig eine Kläranlage für die Gesundheit des Dorfes ist“, sagt Horea, einer der Teilnehmer. Medeea ist beeindruckt von den Grundschülern im Ort, die jeden Montag und Freitag im Garten des Königshauses die Kräuter und das angebaute Gemüse pflegen und somit ein Handwerk erlernen. Und Ripsi zeigte sich entzückt vom internationalen Chor der Gemeinde, „Canta Viscri“, der in der Kirchenburg probte.
„Die Teilnehmer haben in diesen Tagen sehr vieles gelernt. Nicht nur aus den zahlreichen und vielfältigen Aufgaben, die man ihnen stellte, sondern auch im Rahmen der Workshops, bei denen sie dabei waren. Redaktionelle Arbeit, Interviewführung und -bearbeitung, Synthese und vor allem Teamarbeit wurden integriert“, erklärt Bianca [tiubea, Mentorin für kreatives Schreiben, die in Israel lebt und unterrichtet. Auch lernten die leidenschaftlichen jungen Kameraleute etwas über die Anwendung der Einstellungen, Filmschnitt und Techniken für eine gute Atmosphäre am Drehort und gelungene Interviews.
2000+, die virtuelle Schülerzeitschrift
Die Sommerschule ist Teil des Projekts des Vereins Mons Rufinus, das von der Verwaltung des Nationalen Kulturfonds (AFCN) mitfinanziert und in Partnerschaft mit der M&V Schmidt Stiftung und der Stiftung MET veranstaltet wird. Das Ziel: die Gründung einer nationalen Schülerredaktion namens „2000+“. Diese soll Heranwachsende von deutschen Schulen in Kronstadt, Hermannstadt und Bukarest motivieren und unterstützen, ihre Gedanken und Interessen schriftlich – in Form von Artikeln, Gedichten oder Zeichnungen – oder auch als Podcast oder Film festzuhalten. Die kreativen Produkte werden zu einer modernen virtuellen Publikation, die auf der Online-Plattform „Revista 2000+“ veröffentlicht wird.
Die zehn Teilnehmer der Sommerschule werden ab September ihre Schulkollegen einladen, am Projekt mitzumachen, sodass im Winter bereits die erste Auflage veröffentlicht werden kann.
Die verbotene Schülerzeitschrift
Robert Schwartz, ehemals Chefredakteur der Rumänischen Redaktion des Senders Deutsche Welle in Köln und Bonn, der die Sommerschule gemeinsam mit Regisseurin Anca Berlogea-Boariu leitet, hat einen ganz konkreten Grund für den Start dieses Projekts: die Tradition eines freien und kreativen Schülerjournalismus fortzuführen.
Berlogea-Boariu hat in den 1970er bis 1980er Jahren Artikel für die Schülerzeitschrift „Revista 2000“ des Deutschen Lyzeums Bukarest – heute Goethe-Kolleg – verfasst und Schwartz war als Deutschlehrer der Schule einige Male bei den Redaktionssitzungen dabei. „Der Name stand für Zeiten, die damals sehr fern erschienen… eine Art Science-Fiction-Horizont, mit Robotern, Freiheit und gewagten Ideen – er stand für Hoffnung und Mut“, sagt Schwartz, Absolvent der Brukenthalschule in Hermannstadt, der 1990 als Direktor des Deutschen Lyzeums in Bukarest gewirkt hat.
Doch die Zeitschrift, in der sich die junge Generation, trotz der Zensur, jahrelang frei ausdrücken konnten, wurde 1980 verboten. Kein Grund für die Redaktionsmitglieder ihren kritischen Geist zu unterdrücken. Sie schrieben weiter und verfassten unter der Koordination von u.a. Bianca [tiubea, einst Schülerin und später Lehrerin für Philosophie und Geschichte am Deutschen Lyzeum Bukarest Gedichte, Prosa, Interviews und Reportagen über das Schulleben noch bis 1987.Gedruckt wurden sie aber nicht.
Die unveröffentlichten Texte behielt Robert Schwartz in einer blauen Plastiktüte in einer Kartonschachtel. Im Vorjahr fand er diese in seinem Elternhaus in Hermannstadt: „Ich hatte sie mit nach Deutschland genommen. Danach lag sie jahrelang auf dem Dachboden meiner Schwester. Nun habe ich sie in Hermannstadt wiedergefunden“, erklärt der Journalist begeistert. „Viele der Autorinnen und Autoren sind heute in der ganzen Welt verstreut, sind Ärzte, Universitätsprofessoren, Künstler, Journalisten, Manager oder Wissenschaftler geworden. Wir haben uns online wiedergefunden und werden unsere Texte dieses Jahr, nach rund 40 Jahren, seit sie geschrieben wurden, endlich veröffentlichen.“
Um das Layout der zweisprachigen Zeitschrift kümmern sich die jungen Leute von der Sommerschule in Deutsch-Weißkirch. Sie entwarfen auch die Internet-Plattform dafür. Gleichzeitig arbeiten sie aber auch an ihrer eigenen Zeitschrift, „Revista 2000+“, deren Grundstein im Rahmen der Haferlandwoche gesetzt wurde.
„Wir haben die Staffel an die junge Generation weitergegeben“, sagt Robert Schwartz. „Das Plus aus dem Titel der neuen Zeitschrift steht für alles, was noch kommen wird, es ist ein Zeichen, dass unsere Stimme weiterklingt“.
Die Internetseiten revista2000.com und das Projekt wurden am Samstag, den 2. August, beim jährlichen Rumänisch-Deutschen Forum für Bilaterale Kooperation im Rahmen der Kulturwoche Haferland in Deutsch-Kreuz vorgestellt. Drei Schüler sprachen vor Botschaftern, Europarlamentariern und weiteren Persönlichkeiten über die Internetplattform und ihre Erfahrungen an der Sommerschule.