217 Filme aus 55 Ländern die in 400 Projektionen gezeigt wurden und über 100.00 Zuschauer in die Kinosäle gelockt haben - die 13. Auflage des Internationalen Filmfestivals „Transilvania“ (TIFF) brach wieder einmal alle Rekorde und verwandelte Klausenburg für 10 Tage ( 30. Mai - 8. Juni) in die Filmhauptstadt Rumäniens. Danach ging es weiter: Vom 10. bis zum 19. Juni präsentierte das TIFF eine Rückschau der diesjährigen Ausgabe in Bukarest. So konnte man auch in der Hauptstadt die beliebtesten Filme aus diesem Jahr sehen. Vom 25. bis zum 29. Juni gastierte das TIFF in Hermannstadt, es folgte TIFFSzereda in Miercurea Ciuc (2. - 6. Juli). Gegen Ende des Sommers werden auch in Karlsburg/Alba Iulia preisgekrönte TIFF-Filme gezeigt.
Für mich war es der neunte und leider kürzeste Besuch bei TIFF Klausenburg. Trotzdem schaffte ich es, in nur drei Tagen (die ich fast nur im Dunklen der Kinosäle verbracht habe) 13 Filme zu sehen. Was blieb danach? Es blieben die Geschichten, die auf der Leinwand erzählt wurden. Und es blieben die Figuren, in deren Leben die Zuschauer für anderthalb Stunden Einblick hatten. Die meisten Filme, die ich sah, zeigten die Ängste, Hoffnungen und Probleme jugendlicher Darsteller – ob es um die erste Liebe, Freundschaft, den Konflikt mit Eltern und Lehrern oder um die Suche nach Identität ging. Sie zeigten Figuren auf der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden.
Filme für ein junges Publikum
Seit 2007 gibt es bei TIFF die Sektion „EducaTIFF“. Der Zweck ist, Kinder und Jugendliche in die Kinosäle zu bringen, ihnen Geschichten über Gleichaltrige zu zeigen und sie somit als Publikum zu gewinnen. Gespräche im Kinosaal nach den Filmen bieten dem jungen Publikum wie den Filmemachern die Möglichkeit, ihre Begeisterung zu teilen und sich mit dem Gesehenen kritisch auseinanderzusetzen. Leider gehen Teenager nicht sehr oft ins Kino und wenn, dann in Blockbuster oder romantische Komödien. Bei TIFF aber füllten sie die Säle, blickten während der Projektionen gespannt auf die Leinwand und stellten im Anschluss Fragen an Schauspieler und Regisseure. Nicht nur EducaTIFF bringt Filme über die Probleme von Kindern und Jugendlichen - bei der 13. Auflage von TIFF konnte man auch in anderen Sektionen wie Wettbewerb oder „Supernova“ die Tendenz der Filmemacher bemerken, Geschichten über junge Leute zu zeigen. Vielleicht wäre es nicht schlecht, diese Filme auch in Schulen zu zeigen.
Geschichten mit denen man sich identifiziert
Drei Teenager-Mädchen wollen ihre Klassenkollegen beeindrucken und gründen eine Punkband. Eine junge Nonne begibt sich auf eine Reise ins Polen der sechziger Jahre und entdeckt ihre jüdische Vergangenheit. Ein Albino-Junge aus Tansania kämpft ums Überleben. Der übergewichtige Jochem, der von seinen Klassenkollegen gemobbt wird, verschwindet spurlos nach einer Schulparty. Ein Neunjähriger aus Venezuela träumt davon, eines Tages ein berühmter Sänger zu werden. Seine Mutter hat aber andere Pläne. Es sind Geschichten, die vielleicht alle auf die eine oder andere Weise erlebt haben. Es sind Figuren, mit denen sich das junge Publikum identifizieren kann. Diese Filme stellen Fragen, die einen auch lange nach Verlassen des Kinos beschäftigen. Und manchmal verändert der eine oder andere Film dein Leben.
Punkmusik und Freundschaft
„Wir sind die Besten“ (Vi är bäst!), Regie Lukas Moodysson. Bobo, Klara und Hedvig sind drei Teenager-Mädchen, die Anfang der 80er Jahre die Straßen der schwedischen Hauptstadt unsicher machen. Bobo und Klara, zwölf Jahre alt, beherrschen keine Instrumente, wollen als Musikerinnen aber ernst genommen werden. Deshalb gründen sie eine Punkband. Dritte im Bunde wird die hübsche Hedvig, die aus einer extrem religiösen Familie stammt und die Mädchen als klassische Gitarristin beeindruckt hat. Zusammen fangen sie zu proben an, schneiden Hedvigs langes blondes Haar kurz und verpassen ihr eine Punkfrisur, treffen drei junge Punkmusiker, verlieben sich in denselben Jungen, verbringen Silvester auf der Straße, streiten sich, versöhnen sich und erhalten eine gute Nachricht von ihrem Musiklehrer: Sie sollen bei einem Weihnachtskonzert in einem nahe gelegenen Dorf auftreten. Der Auftritt verläuft aber gar nicht so wie geplant. Ein Film über Freundschaft und über Träume, die man als Kind immer ernst nehmen müsste.
Schuld und Außenseiter
"Reue!" (Spijit!), Regie Dave Shram. Basierend auf dem Roman „Schrei der Stille“ von Carrz Slee, gewann der holländische Film den diesjährigen Kinderjury-Preis der Europäischen Filmakademie. Der Film erzählt eine Geschichte, die jeder aus der Schule kennt: Der sechzehnjährige übergewichtige Jochem wird ständig von seinen Mitschülern gemobbt und gehänselt. Seine Freunde David und Vera haben zu große Angst vor Jochems Peinigern, um ihm helfen zu können. Der Klassenlehrer sieht die ganze Sache eher als ein Kinderspiel. Die Eltern bemerken nichts. Auf dem Foto von der Klassenreise erscheint Jochem nicht. Niemand scheint ihn zu vermissen. Seine Kollegen haben seine Kleider im Wald versteckt und ihn in den Ankleideraum der Turnhalle eingesperrt. Auch bei der Klassenparty ist Jochem nicht willkommen. Die Kollegen hören nicht auf, ihn zu hänseln. Doch alles ändert sich nachdem Jochem nach der Party nicht mehr zu Hause auftaucht und als der Direktor ankündigt, dass seine Schultasche im See aufgefunden wurde.
Nach der Vorführung des intensiven Films über Schulalltag, Mobbing, Ausgrenzung und Lebensängste blieb kein Auge trocken. Jeder leere Stuhl im Kinosaal bedeutete, dass ein Mensch eine wichtige Erfahrung einfach verpasst hat. „Reue!“ ist ein Film über die Schuld derer, die es nicht akzeptieren können, wenn einem anderen übel mitgespielt wird, aber keine Mut dazu findet, etwas dagegen zu tun.
Stefan Collier (15), der Hauptdarsteller, hat anschließend in einer Masterclass über seine Erfahrung als Schauspieler erzählt. Er erzählte, dass „Reue!“ über 400.000 Zuschauer in den Niederlanden hatte. Laut Stefan gibt es drei Arten von Menschen: Diejenigen, die Opfer sind, diejenigen, die andere Kollegen hänseln, und diejenigen, die bloß zuschauen und nichts dagegen tun. „Nach diesem Film wünschen wir uns, dass es eine vierte Art von Menschen gibt: Leute, die sehen, was geschieht und die etwas dagegen tun“, meinte der junge Schauspieler.
Überlebenskampf und erste Liebe
„Weißer Schatten“(„White Shadow“), Regie: Noaz Deshe behandelt ein wenig bekanntes Thema: die Jagd auf Albinos in Tansania und der illegale Handel mit ihren Organen. Der Albino-Junge Alias flüchtet nach der Ermordung seines Vaters zu seinem Onkel in die Stadt. Er verkauft für diesen Sonnenbrillen, DVDs und Handys, verliebt sich in seine Kusine Antoinette und befreundet sich mit Salum, der auch ein Albino ist. Langsam gelingt es ihm, eine neue Identität zu finden und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, obwohl die Gefahr noch immer von allen Seiten lauert. Jeder Tag bedeutet für Alias ein Kampf ums Überleben. Trotzdem ist sein Alltag ähnlich mit dem von anderen Teenagern: Die Welt der Erwachsenen scheint ein anderer Planet zu sein, die erste Liebe ist kompliziert und Erwachsenwerden bedeutet nicht nur die Sorge für den nächsten Tag. Man fühlt, dass die Probleme des Darstellers so weit entfernt und gleichzeitig doch so nah an den Problemen europäischer Jugendlichen liegen. Trotzdem war der Film nicht leicht anzuschauen: Die Geschichte besteht aus Puzzleteilen, die der Zuschauer selbst aneinanderfügen muss, die Stimmung ist düster und teilweise deprimierend, es gibt Passagen, von denen man nicht weiß, ob der Hauptdarsteller sie wirklich erlebt, sich an diese erinnert oder bloß fantasiert.
Glaube und Vergangenheitsbewältigung
In „Ida“, Regie Pawel Pawliowski, kollidiert die Leidenschaft einer jungen Frau mit ihrem Glauben, dem einzigen Halt in ihrem bisherigen Leben. Die junge Novizin Anna bereitet sich auf ihr Gelübde vor. Nach dem Tod ihrer Eltern ist sie im Waisenhaus aufgewachsen. Sie besucht ihre Tante Wanda, die letzte Verwandte, die sie noch hat. Die Tante, eine gewesene Richterin, hat einen Hang zu Alkohol, Zigaretten und wechselnden Liebhabern. Anna findet heraus, dass sie eigentlich Ida Lebenstein heißt und ihre Eltern Opfer des Holocaust wurden. Auf der Suche nach dem Grab der Eltern machen sich die beiden Frauen auf die Reise durch Polen und durch ihre eigene Vergangenheit. Idas Glauben wird infrage gestellt. „Welches Opfer bringst du, wenn du die Liebe nie kennengelernt hast?“, fragt Wanda ihre Nichte. Am Ende muss Anna eine wichtige Entscheidung treffen. Wird sie jemals ins Kloster zurückkehren?
Mütter und Frisuren
„Schlechte Frisur“ („Pelo malo“), Regie Mariana Rondon. Junior lebt mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinem kleinen Bruder in Caracas. Zu seinem Ärger hat er das krause Haar seines Vaters geerbt. Er wünscht sich aber sehnlichst glattes Haar.Junior singt gerne, tanzt oft mit seiner Großmutter, liebt es, sich vor dem Spiegel zu frisieren und möchte für sein Klassenfoto in einem bunten Sängerkostüm abgelichtet werden. Der Mutter gefällt das ganz und gar nicht: sie würde Junior viel lieber kurzgeschoren sehen. Er sollte Fußball spielen, schimpfen und die Familie als wirklicher Mann verteidigen. Der Junge will seinen eigenen Weg gehen, doch die die Mutter hat sich ein anderes Leben für ihn vorgestellt. Ein authentisch erzähltes Drama über eine Mutter-Kind Beziehung, die so zerrüttet erscheint wie das Leben in den riesigen Wohnblocks aus Caracas, wo die Handlung spielt.