Am 22. Dezember 2018 sind 60 Jahre zu verzeichnen gewesen, seit das das nach Kronstadt delegierte Militärgericht aus Klausenburg in Abwesenheit der Opfer sein Urteil verkündete. Aus diesem Anlass bringen wir nachfolgend den leicht nachbearbeiteten Wortlaut des zweiten Vortrages, der am 27. Juni 2018 im Kapitelzimmer in Kronstadt anlässlich der Gedenkveranstaltung (Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel und der Schwarze-Kirche-Prozess. Ein zweifaches Gedenken) gehalten wurde. Der erste Vortrag der Gedenkveranstaltung von Altbischof D. Christoph Klein erschien in der KR vom 26. Juli und 4. August.
Gestern (26.06.2018), am Internationalen Tag der Unterstützung von Folteropfern der Vereinten Nationen, ist der XXIII. Kongress von Inter-Asso mit einem Empfang bei Staatspräsident Klaus Johannis im Cotroceni-Palast in Bukarest zu Ende gegangen.
Inter-Asso ist der Dachverband der nationalen Vereine der ehemaligen politischen Häftlinge und Opfer des Kommunismus. Die Thematik des Kongresses ist aufs Engste mit dem verwoben, worum es im Falle des Schwarze-Kirche-Prozesses geht. Daher bin ich sehr dankbar, dass wir als Honterusgemeinde die Tätigkeit dieses in Deutschland angesiedelten Dachverbandes der osteuropäischen Vereine ehemaliger Häftlinge und Opfer des Kommunismus seit nunmehr neun Jahren und zwar als mittelbare Folge der Auseinandersetzung mit unserem eigenen politischen Gruppenprozess mit unterstützen.
Vorgestern war der 60. Jahrestag der Verhaftung der Gruppe der rumänischen Jugendlichen, die es als Schüler unserer historischen rumänischen Schwesterschule, dem Saguna-Lyzeum, gewagt hatten, als Garde der rumänischen Jugend Gedanken des Widerstandes gegen den Stalinismus im Kontext des Ungarn-Aufstandes zu entwickeln. Die persönliche Bekanntschaft der Opfer beider Prozesse stand am Anfang der gegenseitigen Unterstützung auf dem weiten Feld der Aufarbeitung des kommunistischen Unrechtsregimes.
Der Opfer-Begriff hat viele Bedeutungsstufen, ja ihm liegt auch die Gefahr der Übertreibung inne. Besonders wichtig ist den ehemaligen politischen Häftlingen aber, dass ihr Leid einen Sinn hatte, es sollte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft nicht vergeblich gewesen sein.
Dass sie sich als Kilometer Null unserer demokratischen Werte verstehen, gewinnt gegenwärtig, wo unsere demokratischen Abwehrkräfte auf dem ganzen Kontinent einer ersten ernsten Prüfung unterzogen werden, einen ganz anderen Stellenwert, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Bange Fragen kommen auf, ist bei Zeiten mit ausreichender Entschlossenheit in die Unumkehrbarkeit des Transformationsprozesses, während welchem sich in den 1990er Jahren aus kommunistischen Diktaturen lupenreine Demokratien entwickeln sollten, investiert worden? Kann so ein Ansinnen gut gehen, wenn die alten Eliten nicht ausgetauscht werden, auf Deutsch mit der Wendehalsnomenklatura vorneweg eine neue wertebasierte Gesellschaft entstehen soll? Der scharfe Blick, den die ehemaligen Häftlinge auf diese Fragen haben, kristallisiert sich in ihrer immer und immer wieder formulierten Forderung der europaweiten Verurteilung des Kommunismus, als einer Ideologie, die hunderttausende Opfer und damit wohl mehr als die rechtsextremistischen Ideologien zurückgelassen hat.
Damit bezwecken sie keine Geschichtsrelativierung sondern die Aufnahme der kommunistischen Unterdrückungsthematik in den Unterricht sowie die feste Verankerung der Menschenrechte ebendaselbst, damit sich menschenverachtende Herrschaftsformen gleich welcher ideologischer Ausrichtung nie mehr etablieren mögen.
Das heutige zweifache Gedenken der Honterusgemeinde, ihrer Gäste, der Verurteilten und ihrer Angehörigen und Nachkommen hat als Idee seinen Beginn in der grenzüberschreitenden gemeinsamen Sorge um das Schicksal des handschriftlichen Nachlasses von Dr. Konrad Möckel (1892-1965). Als sich Ende 2017 die Überführung seines Nachlasses aus Würzburg ins Archiv der Honterusgemeinde in Kronstadt konkretisierte, kam der von Ernst Richard Boege (1899-1985) geschaffene Kopf von Dr. Konrad Möckel ins Spiel. Die Skulptur war im Kontext der Renovierung der Schwarzen Kirche gegen Ende der 1930er Jahre, als Boege den Großteil der Repliken am Chor der Kirche erschuf, entstanden und hatte die Zeit seither als Gipsarbeit überdauert.
Auf Empfehlung von Mihai Buculei, der eben erst das Denkmal „Aripi“ (Flügel) als zentrales Denkmal für die Opfer des Kommunismus in Bukarest fertiggestellt hatte, wurde der Bildhauer Giulian Octav Dumitriu mit der Transponierung von Boeges Skulptur in Bronze beauftragt. In dankenswerter Weise finanziell gefördert v.a. von Prof. Dr. Andreas Möckel entstand die Gedenkanordnung, die der Skulptur eine Gravur nach dem Linolschnitt „Schwarze Kirche Kronstadt“ von Erhard Volkmer (ca. 1981) und eine Gedenkplatte mit den Namen der im Schwarze-Kirche-Prozess Verurteilten beigab. Damit konnte die 1933 endende Porträtserie der Kronstädter Stadtpfarrer im Kapitelzimmer in sinnfälliger Weise ergänzt werden.
Rumänien hat den Kommunismus 2006 öffentlichkeitswirksam durch den damaligen Präsidenten Traian Băsescu verurteilt. Den juristischen Straftatbestand des kommunistischen Verbrechens hatte dies jedoch nicht zur Folge, sodass die Kommunismus-Prozesse ausgeblieben sind bzw. nach dem allgemeinen Strafrecht vorgegangen werden musste.
Umgekehrt war es aber möglich, 1958 einem Gebäude, der Schwarzen Kirche, den Prozess zu machen! Wenn wir die politisierte Denkmalgeographie jener Jahre in Kronstadt, Pardon, in Stalin-Stadt, näher in den Blick ziehen, so erscheint der Schwarze-Kirche-Prozess als schiere Konsequenz davon: denn, in Verlängerung der Purzengasse im Park neben der Post stand Stalins Monumentalstatue.
Sein Arm gab gewissermaßen die Angriffsrichtung vor, über den Kreisverkehr zu seinen Füßen hinweg, die Purzengasse hinauf zur Schwarzen Kirche. Am Kreisverkehr war eine Schrifttafel folgenden Inhalts angebracht worden: „Muncitori, Țărani muncitori, intelectuali! Pentru a zădărnici planurile ațâțătorilor la război fiți vigilenți, demascați pe spionii sabotori raspânditori de zvonuri și alți agenți ai imperialiștilor“ (Arbeiter, arbeitende Bauern, Intellektuelle! Um die Pläne der Kriegstreiber zu vereiteln, seid wachsam, enttarnt die sabotierenden und gerüchteverbreitenden Spione sowie andere Agenten der Imperialisten). Die imaginäre Achse in Verlängerung von Stalins Arm traf die Wand der Schwarzen Kirche just an der Stelle, wo Stadtpfarrer Möckel den Protest des Presbyteriums gegen die Enteignung der 1913 neu errichteten Honterusschule eingemauert hatte.
Damit ist eigentlich alles gesagt über das Klima der allgemeinen Hexenjagd, das nach dem Ungarnaufstand von 1956 im gesamten Ostblock herrschte, über die Furcht und den riesigen Minderwertigkeitskomplex, den die Machthaber gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung hatten. Eine Inszenierung wie der Schwarze-Kirche-Prozess als Folge dieser Lage, war gewissermaßen nur noch eine Frage der Zeit.
Es lohnt jedoch, weitere Gedanken zum Prozess, seinen Effekten und Folgen zu entfalten, zumal ihre Wirkung nicht auf den historischen Moment beschränkt war und wohl nie wirklich ganz verfliegen wird.
„Weiße Kirchen gibt es viele“, hat Gernot Nussbächer bei mehreren Gelegenheiten unterstrichen, „die Schwarze Kirche gibt es aber nur einmal“. Die genaue Begriffsgeschichte der Bezeichnung „Schwarze Kirche“ steht noch aus. Es scheint aber so gewesen zu sein, dass in der Zeitspanne, als Viktor Glondys Stadtpfarrer in Kronstadt war, die Bezeichnung „Stadtpfarrkirche“ – etwa in der Titulatur der monumentalen Monographie von Ernst Kühlbrandt und Julius Gross – bevorzugt worden ist. Erst mit der 1936 ins Leben gerufenen Aktion „Für unsere Schwarze Kirche“ kann man sagen, setzte sich die Bezeichnung „Schwarze Kirche“ in unumkehrbarer Weise durch.
Eine vergleichbare Frucht von begriffsprägender Art aus der Zeit von Möckels Wirken in Kronstadt ist im Übrigen die Eigenbezeichnung „Honterusgemeinde“, der Möckel mithilfe eines Gemeindeblattes zum endgültigen Durchbruch verhalf. Wie sein Sohn Andreas Möckel herausgearbeitet hat, scheint Konrad Möckel auch die Begrifflichkeit „unsere liebe Schwarze Kirche“ gerne verwendet zu haben – der Stalinismus hatte für all das nur einen politischen Schauprozess als Antwort übrig! Heißt es damit für uns also (auch heute noch) „wegen unserer lieben Schwarzen Kirche“?!
Das „Endprodukt“ Schwarze-Kirche-Prozess ergab sich erst im Verlauf der Verhöre der ab Ende 1957 Verhafteten und darf als Musterbeispiel der massenmanipulatorischen Fähigkeiten der Securitate sowie der Staats- und Parteiführung, die dahinter standen, eingestuft werden – andernfalls hätte der Prozess, wie Corneliu Pinitilescu nachgewiesen hat, in der Folge niemals als Lehrbeispiel bei der Ausbildung junger rumänischer Securitate-Kader in Moskau dienen können.
Der Schwarze-Kirche-Prozess begann nämlich aktenmäßig als Überwachungsakte einer Gruppe von Jugendlichen, betitelt als: „Horst Depner, Günter Volkmer, Karl Dendorfer și alții“ (Horst Depner, Günter Volkmer, Karl Dendorfer und andere, sowie andere wechselnde Namensformen).
Ereignet hatte sich nichts Außergewöhnliches: Jugendliche wollten ihre Freizeit sinnvoll miteinander verbringen. Die Ereignisse in Ungarn bewirkten eine gewisse Politisierung der Diskussionen, die Ideen, die dabei ins Spiel kamen für den Fall, dass sich die revolutionären Ereignisse auf Rumänien ausbreiten sollten, waren jedoch weit davon entfernt, konkrete Formen anzunehmen. Für die Securitate reichte die sogenannte Sachlage aus, um durch die ihr typischen sprachlichen Transponierungsprozesse in den „limbaj de lemn“ (die Holzsprache) politische Schuld durch nicht enden wollende Verhöre, oft unter Einsatz von Folter, zu konstruieren, die als Technik darauf aus waren, den Gefangenen zum Nachgeben, zum Unterschreiben unwahrer, weil übertriebener Aussagen zu bringen, um ihn psychisch zu brechen und zur Verinnerlichung einer Schuld trotz offensichtlicher Unschuld zu bringen – gibt es abscheulichere Arten der juristischen „Wahrheitsfindung“?
Tatsächliche Akte des Widerstandes, wie etwa das Einmauern des presbyterialen Protests gegen die Enteignung der Honterusschule, konnten angesichts der hohen Effizienz dieser Methoden im Prozessverlauf vernachlässigt werden, zumal das persönliche Eingeständnis der fiktiven Schuld als ideologisch höherwertig von den Vertretern des Regimes eingestuft wurde.
Das gefundene Fressen für die Securitate mit Blick auf die Gruppe der Jugendlichen – der zahlenmäßig größten unter den Prozessopfern – war die Tatsache, dass einige von ihnen die Jugendstunden von Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel in der Oberen Sakristei der Schwarzen Kirche besuchten.
An sich auch dies nichts Außergewöhnliches, etwas Banales eigentlich, denn es war doch Teil des Pflichtenkreises des Stadtpfarrers, die Gemeindejugend im Sinne des Evangeliums zu unterweisen.
Im Klima der Hexenjagd jener Jahre und unter Berücksichtigung dessen, dass jedes totalitäre Regime sich in erster Linie auf die Jugend stürzt, diese versucht zu monopolisieren, da sie darin den Garant für ihren ewigen Fortbestand sieht, ließ sich aus der Konstellation „Jugendstunden“ ein gefährliches Fehlverhalten konstruieren, ja sogar ein Angriff auf den ausschließlichen Zugriff der Staatspartei auf die Jugend! Daraus ließ sich für Dr. Konrad Möckel die Rolle des Verführers und verborgenen Anführers der subversiven Tätigkeit der Gruppe der Jugendlichen konstruieren.
Zur Abrundung des Bildes von der Schwarzen Kirche, ihren Angestellten und gewählten Vertretern, als einer Zentrale der umstürzlerischen Verschwörung, des Vaterlandverrats und der internationalen Spionage – dies die Hauptanklagepunkte im Prozess – fehlte noch der internationale Bezug. Neben einigen Briefen von Konrad Möckel aber auch von Kirchenvater Fritz Roth oder Guido Fitz aus der Verwaltung der Honterusgemeinde an Verwandte und Bekannte in Westdeutschland lag nichts vor. Wie gerufen kam da der Brief, den Fritz Theil (1895-1961) an Herbert Roth als Freund von dessen Vater Hans-Otto Roth (1890-1953) verfasst hatte. Hier lohnt es, ein wenig auszuholen: Es war ein Brief des ehemaligen Chefredakteurs der Kronstädter Zeitung (1929-1934), der Herbert Roth zur Hochzeit schrieb und die Verhältnisse in Deutschland kritisch beleuchtete, v.a. die Neigung zum übermäßigen Konsum mitunter kritisierte. Der Securitate war aus anderen Quellen die Implikation von Fritz Theil in das Attentat vom 20. Juni 1944 auf Adolf Hitler bekannt – Theil hätte die Rundfunkansprache nach dem Attentat veranlassen sollen – das zählte und interessierte hier nicht. Theil entkam durch seine kurz entschlossene Flucht nach Bukarest, wo er für die Gestapo unauffindbar untertauchen konnte. Unter Einbeziehung von Herberts Schwester Marie-Luise, also beider Kinder des herausragenden sächsischen Politikers der Zwischenkriegszeit, Dr. Hans-Otto Roth, war der Brief an Stadtpfarrer Möckel gelangt, der ihn für wert erachtete, vervielfältigt und verbreitet zu werden. Theils Bekanntheit in Kronstadt und sein differenzierter Blick auf die westdeutschen Verhältnisse erschien ihm als wirkungsvolles Mittel, die vorbehaltlos positive Sicht der Gemeindeglieder auf den goldenen Westen zu relativieren und der Bereitschaft zur Auswanderung entgegen zu wirken. Für die Securitate zählte v.a. der Auslandsbezug zur Spionagezentrale, den sie in der Gestalt des siebenbürgisch-sächsischen Exils in Deutschland meinte ausmachen zu können. Der Brief wurde kurzerhand durch den Geheimdienst zu einer Lobeshymne auf den Westen umgedeutet, Theils differenzierter Blick interessierte nicht.
Für die Securitate zählte weniger die umfassend-vollständige Erfassung aller Beteiligten in Vorgängen dieser Art. Um den größtmöglichen propagandistischen Effekt zu erzielen, kam es v.a. darauf an, eine möglichst weitverzweigte Verschwörung aufzudecken. Dies ist der Hauptgrund, wieso die drei unterschiedlichen Gruppen von Angeklagten in ein einziges Verfahren zusammengezogen wurden (Jugendliche, Honterusgemeinde, Roth-Kinder). Auf diese Weise konnte der Auslandsbezug, aber auch der Kronstadt überschreitende gesamtsiebenbürgisch-sächsische Aspekt, v.a. durch die ferner erstellte Beziehung zum Bischofsamt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und v.a. dem theologischen Institut und seinen Studenten in Hermannstadt erreicht werden.
Die Verurteilung wegen Spionage, Vaterlandsverrat und Untergrabung der gesellschaftlichen Ordnung (uneltire contra ordinei sociale) wurde auf diese Weise bald erreicht. Die Angeklagten Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel, Horst Depner, Günter Volkmer und Karl Dendorfer sollten dem Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß zum Tode verurteilt werden. Im Urteilsspruch, der auf den 22. Dezember 1958 datiert ist und der in Abwesenheit der Angeklagten erfolgte, wurden diese Strafen in lebenslängliche Haft umgewandelt. Hinzu kamen weitere fünf lebenslängliche Strafen (insgesamt also 9 Mal lebenslänglich!). Für die restlichen 11 Angeklagten sind Haftstrafen von 6 bis 20 Jahren verhängt worden.
Neben der Frage, ob die Jugendstunden das Monopol der Staatspartei auf die Jungend infrage gestellt hatten, spielte in den Verhören der Begriff „Abendland“ eine herausragende Rolle. Die kulturelle Zugehörigkeit zum Kulturkreis des Abendlandes – wohin hätte man als Siebenbürger Sachse denn sonst hingehören sollen? – ließ sich zur Spionage und zum Vaterlandsverrat ausbauen. Die Fragen um den Fortbestand und den Zusammenhalt unserer Minderheit als ethnisch-konfessioneller Gemeinschaft, die von den damals Jugendlichen erörtert wurden, aber auch von Konrad Möckel und allen anderen diskutiert wurden, katalogisierten die Vertreter des Regimes unter dem Stichwort „unitate na]ional˛“ (Nationale Einheit) und zwar im Sinne einer nationalistischen Verschwörung gegen das volksdemokratische Regime. Ein besonderer Aspekt war hierbei das Thema Mischehen. Sie waren damals schon eine Tatsache, aber noch lang, lang nicht die Regel. Der vorausschauende Blick auf diese Thematik und die sachlich abgeklärte Haltung dazu sowohl bei den Jugendlichen als auch bei Möckel zählte in den Augen der Anklage wenig. Sie interpretierte sie lieber im Sinne der völligen Ablehnung der Misch-ehen, um sie als Teil der nationalen Verschwörung verwenden zu können.
Überblickt man die genannten Themenfelder des Prozesses, kommt man unweigerlich zu der Feststellung, dass hier über alle Lebensfragen der Siebenbürger Sachsen und ihrer Kirche zu Gericht gesessen worden ist: Jugend, kulturelle und sprachliche Identität sowie Zusammenhalt in der grenzüberschreitenden Gemeinschaft. Das Entsetzen, den der Prozess in der Bevölkerung auslöste, ist enorm gewesen, wie den Berichten der Zeitzeugen zu entnehmen ist. Die Auswirkungen auf das kollektive Bewusstsein und Verhalten unserer Minderheit sind erheblich gewesen. Es nimmt z. B. wenig wunder, dass in den 1960er Jahren Kronstadt ein Vorreiter bei der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen gewesen ist.
Wenn wir nun nach Effekten und Folgen des Prozesses fragen, so ist zunächst der Frage der Etikettierung des Prozesses nachzugehen. Es geht dabei um zwei Begriffe: „Edelsachsenprozess“ und eben „Schwarze-Kirche-Prozess“. Es lässt sich aus den Akten bislang nicht rekonstruieren, wie es zu dieser Begrifflichkeit kam und wo sie zum ersten Mal auftauchte. Das liegt zunächst an der enormen Menge an Akten, die von der Securitate in oft chaotischer Weise angelegt wurden, ein Stoß von annähernd 2 Meter Höhe! Diese Akten sind bis heute von niemandem chronologisch neu geordnet worden, um die Entscheidungsgänge der Securitate und der Partei vielleicht rekonstruieren zu können – alles ist freilich auch nicht erhalten, v.a. die Momente und die Orte der Schlüsselentscheidungen fehlen allzu oft. Es wäre ja auch wider die Natur der Sache gewesen, wenn ein Unrechtsregime da deutliche Spuren hinterlassen hätte! Eine zusammenfassende Bewertung vor Prozessbeginn ist allerdings für Gheorghe Gheorghiu-Dej und andere Angehörige der obersten Parteiebene erstellt worden und mitsamt Dejs persönlichen, teils ironischen Anmerkungen erhalten geblieben. Eine Seltenheit, so dass ein wichtiger Teil der Antworten hierauf bereits vorliegt: die Implikation der obersten Entscheidungsträger in politische Prozesse kann in unserem Fall nicht geleugnet werden.
Bei den Begriffen „Edelsachsenprozess“ und „Schwarze-Kirche-Prozess“ ist davon auszugehen, dass sie der Nachprozesspropaganda zugehören, und von der Securitate gezielt als Gerüchte ausgestreut wurden – Hans Bergel hat mir zumindest berichtet, dass vor seiner Verhaftung 1959 die Stadt voll des Geredes von den Edelsachsen gewesen sei. Realer Kern des Edelsachsen-Begriffs war bei Möckel und den Jugendlichen die Erörterung eines moralisch korrekten Verhaltens in Anbetracht der Verhältnisse mit Bezug auf die alten Tugenden zu denen eben auch Edelmut gehörte. Daraus war nun eine Begrifflichkeit geworden, die voll des Hohns über die Naivität der Verurteilten war. Dies muss für viel Bitterkeit unter den Angehörigen der Verurteilten gesorgt haben.
Zum Abschluss noch einige Bemerkungen: Trotz allen Leids und erfahrener Demütigung und Ungerechtigkeit, darf man es doch wagen, das Los der Verurteilten als ein vergleichsweise einfach-eindeutiges zu bezeichnen. Diese Aussage ist zulässig in Anbetracht der Tatsache, dass ein Prozess wie der vorliegende eine Menge öffentlich unsichtbarer Opfer erzeugt. Das Leid der Familienangehörigen, ihre Nachteile in Ausbildung und Beruf infolge der vom kommunistischen Regime praktizierten Sippenhaft gehören hier an erster Stelle genannt. Ferner ist die Rolle des Prozessopfers eine eindeutige Rolle, die trotz allen Leids und Erniedrigung, in der Rückschau zumindest dies bietet: eindeutig auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden zu haben.
Die Securitate verfolgte neben den im Prozess sichtbar gewordenen Zielen eine ganze Reihe von Nebenzielen, die in der Summe wohl auch als das eigentliche Hauptziel anzusehen sind. Zunächst wurden einige der Jugendlichen für andere Prozesse, v.a. „Prejba“ und „Sankt-Annen-See“ „aufgespart“, um dort ebenfalls mit dem Element der umfassenden Verschwörung arbeiten zu können. Es ging ferner um die umfassende Durchdringung unserer Minderheit und Kirche mit Informanten, so dass z.B. bei kirchlichen Wahlen seit Mitte der 1950er Jahre „Überraschungen“ ausgeschlossen waren. Ihre Rekrutierung war im Kontext groß angelegter politischer Prozesse um ein Vielfaches leichter, als davor. Äußerst schwierig bis unmöglich zu bewerten ist das Schicksal dieser Informanten, die ich als Opfer von Erpressung sicher nicht auf der Seite der Profiteure sehen kann, denn es gab damals für niemanden etwas zu gewinnen außer für das Regime, vielleicht mit der Ausnahme von Dr. Carl Göllner und einiger ganz weniger weiterer quasi hauptberuflicher Spitzel. Informanten gab es in der Folge viele in der Honterusgemeinde, auf den unterschiedlichsten Ebenen. Pars pro toto mag hier gelten, dass von den vier Stadtpfarrern, die Möckel bis 1990 nachfolgten, nach meinem Kenntnisstand nur ein einziger der Securitate nicht zumindest vorübergehend als Informant gedient hat. Eine Hexenjagd als Reaktion darauf bringt wenig, denn viel wesentlicher als das ist die Tatsache, dass es bei einer derartig hohen geheimdienstlichen Durchdringungsrate, wie sie im Falle unserer Minderheit aufgrund der braunen Geschichte und der damaligen wie gegenwärtigen außenpolitischen Bezüge gegeben war und ist, einen ganz und gar nicht unerheblichen Teil des Sicherheitsapparates gab und gewiss immer noch gibt, der sich mit unserer Minderheit und unserer Kirche beschäftigte und dies wohl heute noch tut. Nimmt man noch den Aspekt hinzu, dass nach 1990 ein Teil der alten Eliten aus Partei- und Sicherheitsapparat in die Privatwirtschaft gewechselt ist, und in unseren Breitengraden alles mit allem zusammenzuhängen scheint, so wird erst ersichtlich, wie schwer es auch heute ist; bei einem derartigen historischen Gepäck und verborgenen Interessen, im Sinne des Dienstes an den tatsächlichen Bedürfnissen der Minderheit und ihrer Kirche zu handeln, zumal hier auch der materielle Aspekt zu beachten ist. Da ist mehr als nur ein Schatten der Vergangenheit! Aber auch das kann überwunden werden, so es einmal erkannt ist und in all seinen Facetten bedacht wird. Viel ist ja diesbezüglich auch schon geschehen, so sind Jugendstunden und Jugendarbeit eine Normalität für uns heute. Schier vergessen sind die Zeiten, als die Jugendlichen Kronstadts in den 1980er Jahren ihre Eltern über den Zweck ihrer Abwesenheit von zu Hause anlogen, um in die Jugendstunden der Honterusgemeinde zu kommen, denn auch zwanzig Jahre nach dem Prozess saß die Furcht tief.
Zu Spionagezwecken sollte der Schwarze-Kirche-Prozess, wie angedeutet, desgleichen dienen. Einer der Jugendlichen wurde über eine von der Securitate organisierte abenteuerliche Flucht nach Westdeutschland eingeschleust und leistete dort eine Weile lang Spionagedienste, jedoch nach gegenwärtigem Kenntnisstand mit recht mageren Ergebnissen – v.a. wenn man dagegenhält, welch enorm große Summen in dieses Unterfangen investiert worden sind, wird offenkundig, wie wichtig dieser Aspekt dem Regime als ein weiterer Gewinn infolge des Prozesses gewesen ist.
In dieselbe Richtung der internationalen Spionage ging das, was die Securitate mit Marianne Siegmund vor hatte: sie hätte mit ihrem westdeutschen Brieffreund, Heinz Hahn, der auch eines der Treffen bei Horst Depner während eines Rumänienaufenthalts 1956 besucht hatte, in ein gemeinsames Leben in der Bundesrepublik starten dürfen unter der Bedingung, sich als Spionin zur Unterwanderung der Friedensbewegung, in der Hahn aktiv war, zu verpflichten. Bei der langjährigen Recherche im Archiv des Nationalen Rates zum Studium der Archive der Securitate (CNSAS) hat mir die Entscheidung, die Marianne Siegmund in dieser Situation getroffen hat, den höchsten Respekt abgenötigt: sie drehte in ihrer Not den Spieß um, stellte die Offiziere der Securitate, die sie zunächst zur Mitarbeit überredet hatten, überführte sie der Unaufrichtigkeit und erlangte so unter Verzicht auf das private Glück, dass sie dem Doppelleben eines verdeckten Agenten entkommen konnte. Sie war in dem Moment bereit, für ihren Entschluss ins Gefängnis gesteckt zu werden, was aber unterblieben ist.
Dies alles war nur möglich aufgrund einer Justiz, die dem Politischen untergeordnet gewesen ist. An diesen Beispielen wird erkennbar, wie groß die Gefahr ist, in der unser Land gegenwärtig, angesichts eines unverantwortlichen Umgangs mit der Unabhängigkeit der Justiz im Jahr 2018, schwebt. Gut möglich, dass die Offenheit, mit der wir heute versuchen, dem Vergangenen zu begegnen, um uns davon lösen zu können, uns einmal als politische Schuld vorgehalten werden wird – aber gibt es dazu eine Alternative?
Schlussendlich bleibt ein Ja zum weiter oben formulierten Halbsatz: „wegen unserer lieben Schwarzen Kirche“. Weil sie für alles stand, was wir waren und dafür steht, was wir sind und auch dafür, was wir als deutsche Minderheit und Kirche je sein werden, gleich in welcher Form, zu dieser Übereinstimmung gibt es keine wirkliche Alternative.