Über die hier behandelte Aktion konnte ich zwei Protokolle auswerten, die mir vor Jahren Architekt Günter Schuller zur Verfügung stellte. Es handelt sich um Schriftstücke, in denen Bischof Viktor Glondys, der Hermannstädter Stadtpfarrer Friedrich Müller und der bedeutendste sächsische Politiker der Zwischenkriegszeit und Kurator der evangelischen Landeskirche Hans Otto Roth versuchten, die nach dem 23.August 1944 seitens der rumänischen Behörden gegen die Sachsen erhoben Beschuldigungen der Kollaboration mit Deutschland zu entkräften. Es ging hauptsächlich um Teilnahme sächsischer Männer in die Waffen-SS.
Die folgende Darstellung stützt sich auf die erwähnten Unterlagen. Danach wurden die siebenbürgisch-sächsischen Studenten, die 1943 in Wien studierten, vom Studentenführer, der aus Berlin nach Wien gesandt wurde, zu einem dringenden Gespräch einberufen. Sie wurden aufgefordert, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden, denn widrigenfalls würde ihr Studium abgebrochen. Gleichzeitig wurden ihnen zum Eintritt in die Waffen-SS vorgefertigte Formulare zur Unterschrift vorgelegt.
Diese Mitteilung empörte die Studenten so, dass sie beim Verlesen der genannten Aufforderung durch Pfui-Rufe und Pfeifen ihre Ablehnung äußerten. Daraufhin präsentierte der Studentenführer den Protestierenden ein Schreiben des Volksgruppenführers der Rumäniendeutschen, Andreas Schmidt, aus dem hervorging, dass die Aufforderung zur freiwilligen Einreihung in die Waffen-SS direkt von ihm ausging. Die Studenten weigerten sich jedoch, den Aufruf zur Kenntnis zu nehmen.
Ein Kronstädter namens Gusbeth, der seinen in Wien studierenden Sohn besuchte, traf sich mit allen Kronstädter Studenten – erwähnt werden Homner, Wallitsch, Paul, Hensel, Olesch, Haupt und Walter . In der Begegnung bekundeten alle ihren ablehnenden Standpunkt über die geplante Einberufung. Sie begründeten ihre Haltung damit, dass sie sich eines rumänischen Aufschubs vom Militärdienst zwecks Studiums erfreuten, und dass sie bloß gegenüber dem rumänischen Staat militärpflichtig seien. Herr Gusbeth wurde von den Studenten gebeten, zu Hause den Eltern diesen Standpunkt zur Kenntnis zu bringen, um deren Meinung zu erfahren. Gusbeth teilte nach seiner Heimkehr das Begehren der Studenten auf einer Versammlung den Eltern mit. Diese sprachen sich ebenfalls gegen die Einberufung ihrer Söhne zur Waffen-SS aus. Ein Vater namens Wallitsch führte unter anderem aus, sein Sohn habe nach dem Dienst vor drei Jahren beim rumänischen Artillerie-Regiment Nr. 41 von Kronstadt einen Aufschub fürs Studium erhalten. Bei Ausbruch des Krieges habe er sein Studium unterbrochen, sei nach Hause gekommen, habe sich bei seinem Truppenkorps zum Militärdienst gestellt, um seiner Soldatenpflicht in seinem Vaterland nachzukommen. Er habe aber sein Studium fortsetzen können.
Diese Haltung wurde als richtig betrachtet und den Studenten in Wien empfohlen. Deren neue Beratung ergab wieder eine einstimmige Ablehnung des Dienstes in der Waffen-SS. Es wurde eine Delegation, bestehend aus 6 Personen bestimmt, die beauftragt wurde, diese Stellungnahme der Volksgruppenführung mitzuteilen und gleichzeitig zu fordern, diese Rekrutierungsaktion für das Deutsche Reich unter sächsischen Studenten sofort einzustellen.
Die Abordnung erschien am 19. März 1943 beim Sitz der Volksgruppenführung. Da der Volksgruppenführer Andreas Schmidt abwesend war, wurde die Abordnung vom Leiter der Rechtsabteilung, dem NS-Parteimitglied Otto Liess, empfangen. Es wurde von ihm genaue Aufklärung gefordert, betreffend die Aktion des Volksgruppenführers Andreas Schmidt hinsichtlich der sächsischen Studenten in Deutschland. Gleichzeitig wurde dem genannten Parteimitglied Otto Liess, der Beschluss der Elternversammlung vorgelegt.
Daraufhin entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, in deren Verlauf Otto Liess zum Teil ausweichende Antworten gab. Schließlich machte er die Bemerkung, dass es bald seitens des rumänischen Staates eine rechtliche Form für das Vorgehen des Volksgruppenführers geben werde. Mit dieser Erklärung gab sich die Abordnung nicht zufrieden und behielt sich jede Art von weiteren Aktionen vor. Sie forderte die Elternversammlung zur Stellungnahme auf. Den Studenten in Wien sollte auf schnellstmöglichem Weg mitgeteilt werden, sie sollten sich unter keinen Umständen für den Dienst in der Waffen-SS verpflichten, sondern ihr Studium fortsetzen und bei einer Einberufung zum rumänischen Militärdienst dieser Empfehlung folgen.
Mittlerweile bemühten sich Bischof Viktor Glondys, der Hermannstädter Stadtpfarrer Friedrich Müller und der bedeutendste sächsische Politiker der Zwischenkriegszeit und Kurator der evangelischen Landeskirche, Hans Otto Roth in einem Memorandum den nationalsozialistischen Ruch, mit dem die Rumäniendeutschen insgesamt und ihre tragenden Institutionen belastet wurden, zu entkräften. Das Memorandum wurde am 27. November 1943 König Michael überreicht. Darin wurde die pauschale Beschuldigung, alle Sachsen seien illoyale Staatsbürger und Kollaborateure Deutschlands, abgelehnt und darauf hingewiesen, dass die wehrfähigen Deutschen zur Einreihung in „fremdem Waffendienst“ mit Genehmigung der rumänischen Regierung gezwungen worden seien. Obwohl in dem tatsächlich bestehenden rumänisch-reichsdeutschen Vertrag über die freiwillige Einreihung rumäniendeutscher Männer in die Waffen-SS festgelegt worden war, dass diese ihre rumänische Staatsbürgerschaft nicht verlieren würden, wurde sie ihnen dennoch nach dem Frontwechsel Rumäniens entzogen und sie wurden zu Vaterlandsverrätern erklärt.
Gegen Ende des Jahres 1944 und am Anfang des folgenden Jahres beschuldigte die Bukarester Presse die Sachsen weiterhin der Mitschuld an den Verbrechen Hitler-Deutschlands. Infolgedessen seien die gegen sie gerichteten Strafmaßnahmen, einschließlich der Deportation in die Sowjetunion, gerechtfertigt. Für eine öffentliche Gegendarstellung standen den Sachsen keine eigenen Publikationen zur Verfügung, da alle deutschen Organisationen und Presseorgane nach dem Bündniswechsel Rumäniens vom 23. August 1944 verboten worden waren. Versuche von Hans Otto Roth in der rumänischen Presse zu diesen Anschuldigungen Stellung zu nehmen, wurden abgewiesen. Er wandte sich daher am 1. Februar 1945 in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten Nicolae R˛descu. Darin betonte er, dass es nicht zutreffe und eine große Ungerechtigkeit sei, die Sachsen und Schwaben in ihrer Gesamtheit für begangene Verirrungen und Verbrechen eines Staats verantwortlich zu machen, dem sie nicht angehörten.
Zur Bekräftigung wurden die sächsischen Protestschreiben von Notar Fraetschkes beglaubigt und in seiner Kanzlei in der Barițiu Straße Nr. 1/Rossmarkt in Kronstadt deponiert.
Eine ähnliche Werbeaktion, wie unter Studenten geschildert, hatte es bereits 1939 gegeben. Im September dieses Jahres befanden sich mehrere Reisegruppen der „Deutschen Jugend“-Organisation Rumäniens in Deutschland, darunter etwa 60 bis 80 Jungen im Alter von 16 bis 18 Jahren, geführt vom Jugendführer Willi Depner. Als der Krieg am 1. September ausbrach, befand sich eine Gruppe in einem Zeltlager in Schlesien, eine andere in einem Schloss bei Berlin. Die 16 bis 18-Jährigen wurden von Willi Depner aufgefordert, sich freiwillig für die SS zu melden. Wer Bedenken hatte, auf den wurde Druck ausgeübt. Schließlich meldeten sich alle Jungen und teilten ihre Entscheidung ihren Eltern mit. Diese reagierten jedoch ablehnend und forderten deren Heimkehr, was auch geschah. Sonst wurde aber eine unbekannte Zahl von Arbeitern und Studenten in Deutschland für die Waffen-SS rekrutiert. Da mit der Dauer des Krieges die freiwilligen Eintritte abnahmen, erfolgte die Rekrutierung 1943 unter Zwang. In diese Aktion reiht sich die hier beschriebene Werbung ein.
Nach der Schlacht von Stalingrad (1943) hatten einige Tausend versprengte rumäniendeutsche Angehörige der rumänischen Armee bei der deutschen Wehrmacht Unterschlupf gefunden. Zusammen mit sonstigen Überläufern befanden sich im Frühjahr 1943 etwa 15000 bis 20000 so genannte Volksdeutsche aus Rumänien in reichsdeutschen Militärverbänden. Angesichts dieser Tatsache bemühte man sich deutscherseits um eine Regelung für legale Werbungen. Bei Verhandlungen im März 1943 zwischen dem Staatsführer Rumäniens, Marschall Ion Antonescu, und dem reichsdeutschen Gesandten in Bukarest, Manfred von Killinger, signalisierte der rumänische Staatsführer Entgegenkommen. Während des Besuchs Antonescus bei Hitler in Kleßheim am 12. und 13. April desselben Jahres gab er seine grundsätzliche Zustimmung zur Werbung für die Waffen-SS. Der Vertrag darüber wurde am 12. Mai 1943 in Bukarest unterzeichnet und sah die freiwillige Rekrutierung der wehrfähigen Volksdeutschen vor.
Dieser Fall zeigt, dass die Rumäniendeutschen sich nicht vorbehaltlos und ohne Sachzwänge dem Einberufungsbefehl zur Waffen-SS gestellt haben. In seiner umfangreichsten Monographie über Rumäniendeutsche in der Waffen-SS schreibt Paul Milata: „Die Mehrheit der 63000 rumäniendeutschen Waffen-SS-Männer meldete sich feiwillig zu den ´Deutschen´. Ihr Eintritt war aber weniger ein politisch-kulturell bedingter Rausch, sondern das Ergebnis einer nüchternen Berücksichtigung der möglichen und bekannten Alternativen im dreifachen Spannungsfeld zwischen Berlin, Moskau und Bukarest. Kurz der rumäniendeutsche Eintritt in die Waffen-SS war nicht nur eine Geste der Unterstützung NS-Deutschlands – trotz oder wegen Hitler – sondern auch eine Reaktion auf das nationalistische System Rumäniens ab 1918 und ein deutliches Zeugnis gegen die Sowjetunion stalinistischer Prägung“. Daher der Titel des Buches „Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu“. Und an anderer Stelle der Arbeit heißt es: „Der Eintritt in die SS lässt sich weder auf Zwang noch auf den ´Ruf des Blutes´ reduzieren, sondern war das Ergebnis multikausaler, individueller Abwägung für und wider die Waffen-SS.“ Vor die Alternative gestellt, in die wegen ihres schlechten Rufes bekannte rumänische „armata“ oder die besser ausgestattete deutsche Armee eingezogen zu werden, entschloss sich die Mehrheit der wehrfähigen Deutschen für letztere, zumal man annahm, dass deren Todesrate an der Front geringer als bei den Rumänen sei. Es gab also verschiedene Argumente pro und contra Waffen-SS abzuwägen. Angesichts der erwähnten Umstände haben sich die meisten wehrfähigen Männer zwar freiwillig gestellt, wodurch keinesfalls die Zwangslage, in der sie sich befanden und der auf sie ausgeübte Druck übersehen werden sollte“.
Das ist ein Teil der Sachsengeschichte, der nicht übersehen werden sollte, sondern einer kritischen Analyse unterzogen werden.