Seit dem 10. Februar 2021 zeigt das Multikulturelle Zentrum der Universität Kronstadt die Ausstellung TRANSYLVANIA RETOUCHED – A Matter of Landscape and Representation, auf Deutsch etwa: Siebenbürgen nachgebessert – eine Frage der Landschaft und (ihrer) Darstellung. Die längst gehängte, wegen der Corona-Pandemie jedoch erst jüngst eröffnete kleine Schau ist ein Projekt des Rumänischen Kulturinstitut Berlin (RKI) mit freundlicher Unterstützung des Collegium Hungaricum (CHB), ebenfalls in Berlin. Als Wanderausstellung konzipiert, hat sie nach dem Auftakt in Deutschland bereits in Budapest Station gemacht und soll auch weiter touren, zunächst nach Bukarest, dann aber auch an andere Orte in Rumänien, Deutschland und Ungarn.
Einstweilen aber ist TRANSYLVANIA RETOUCHED mal bis Ende März in Kronstadt zu sehen, was eine Art doppeltes Heimspiel bedeutet. Denn alle Beteiligten haben ihre biographischen Wurzeln in Siebenbürgen und auch als bildende Künstler, die sich dem Genre der Landschaftskunst widmen, geht es bei ihnen diesmal nicht um irgendeine Landschaft, sondern ausdrücklich um ihre Heimat Siebenbürgen. Der Rahmen scheint also eng gespannt, die Perspektive nach innen gewandt und doch – oder gerade deshalb? – erwächst daraus ein Projekt von nachhaltiger Weitsicht.
Der Blick auf die Landschaft ist eine ästhetische Kategorie, in der zeichnend, malend oder fotografierend das Verhältnis zur eigenen Lebenswelt verhandelt und reflektiert wird. Es entstehen künstlerische Entwürfe, in denen sich die Erfahrung von Schönheit bekundet, vielleicht ein Erstaunen angesichts der Naturgewalten oder auch das Empfinden von Sehnsucht, Verbundenheit und Zugehörigkeit.
Genau an diesem Punkt beginnt das Unternehmen der beiden Kuratorinnen Daniela Duca (RKI) und Virág Major-Kremer (CHB), die zu erkunden versuchen, welche Rolle Nostalgie in der künstlerischen Hinwendung zur heimischen oder heimatlichen Landschaft spielt. Hierzu führen sie mit Radu B?ie?, Elekes Károly, Fekete Zsolt, Kovács Lehel, KissPál Szablocs und dem Künstlerduo Anca Benera & Arnold Estefan sechs aktuelle und eigenständige Positionen zusammen und bieten ihnen den Raum für die kontroverse Auffächerung der Motive und Motivationen einer „heimatlichen“ Landschaftskunst.
Was die bildnerischen Mittel anbelangt, so stehen ebenso traditionelle wie moderne Medien nebeneinander: es gibt Malerei, Zeichnung und Fotografie zu sehen, aber auch Videokunst, Dokumente der LandArt und verschiedene Installationen.
Radu B²ie{ nähert sich der Landschaft seiner Kindheit mit der Kamera. Er durchwandert sie mit allen Sinnen, versucht, die Gerüche und Geräusche, den Wind, die Kälte und Wärme ebenso fotografisch festzuhalten wie bestimmte Perspektiven und Augenblicke. Zurück im Atelier beginnt er, in festen, trockenen Farben zu malen, wofür ihm nicht nur die Fotos, sondern alle Erinnerungen und Eindrücke als Stoffe verdichteter und wie in eine Traumwelt entrückter Szenerien dienen. Auch für Fekete Zsolt stehen Fotos am Anfang der Arbeit, aber keine selbstgemachten, sondern historische Abzüge aus den 60-er und 70-er Jahren des 19. Jahrhunderts. Den 150 Jahre alten Ansichten aus dem Harghita- und dem Trasc²u-Gebirge stellt er sodann die eigenen, von exakt demselben Standpunkt neu aufgenommenen Bilder gegenüber. Durch dieses repetitive Vorgehen lässt er Bildpaare entstehen, die uns, mehr als das Vergehen der Zeit selbst, vor allem die eigene Vergänglichkeit vor Augen führen.
Im schmalen Querformat und in der Ausführung an die Ölskizzentechnik der 1820-er Jahre erinnernd zeigt Kovác Lehel Arbeiten, die wie unmittelbar vor der Natur entstanden sind. Sie bieten weite und freie Horizonte. Pittoresk ist das nur auf den ersten Blick, denn merkwürdige Staubwolken und Halden verunklaren das Bild. Und selbst wenn kein einziger Mensch in diesen Landschaften zu sehen ist, ist doch seine übergriffige Gegenwart omnipräsent. Der vermeintlich nach Orientierung suchende, oftmals jedoch eher der Verklärung Vorschub leistende Mensch, ist auch für Elekes Károly ein Thema der Landschaftskunst. War ihm in den frühen 1980-er Jahren noch die Landschaft selbst das Medium, in das er performativ, verspielt und mit wenigen Accessoires hineinwirkte, scheut er heute nicht vor sehr pragmatischen und rauen Bildlösungen zurück. Zuweilen, so scheint es, greift er dabei auf Werke Dritter zurück und findet Freude am lakonischen Kommentar mittels eines schlicht über das Bild gelegten Zollstocks.
Das in Bukarest arbeitende junge Künstlerduo Anca Benerea & Arnold Estefan hingegen widmet sich den Narrativen der Heimat. Der Ausgangspunkt ist so einfach wie bestechend: Obwohl beide etwa zur gleichen Zeit zur Schule gingen, stellten sie irgendwann fest, dass ihnen ganz unterschiedliche Versionen der Geschichte ihrer Heimat vermittelt worden waren. In ihrer Videoperformance Pacta sunt servanda sitzen sie einander nun gegenüber und lesen sich gegenseitig und gleichzeitig (!) einschlägige Passagen aus der Geschichte Siebenbürgens vor – sie auf Rumänisch aus einem rumänischen, er auf Ungarisch aus einem ungarischen Lehrbuch. Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit ihrer Stimmen sind so nachdrücklich, dass die historischen Narrative spielerisch und leicht in Bewegung geraten, ohne ironisch oder denunziatorisch zu wirken. Anders legt KissPál Szablos den Finger in die Wunde: In seiner knapp viertelstündigen fiktiven Videodokumentation wird ein künstlicher Felsen im Budapester Zoo zum Symbol eines in Folge des Trianon-Vertrags „verlorenen Paradieses“ stilisiert. Obwohl die Zusammenstellung des Filmmaterials so angelegt ist, dass sie anscheinend das Publikum überzeugen soll, geht es gerade um die gegenteilige Wirkung. Die Form der künstlerischen Übertreibung, wie sie in Amorous Geography (Verliebte Geografie) eingesetzt wird, dient als Mittel, um Misstrauen und Zweifel zu wecken und so einmal mehr an die Konstruiertheit historischer Narrative zu erinnern. Wie sehr die Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Landschaftsbildern damit verbunden ist und revisionistischen Interessen dient, könnte kaum augenfälliger werden.
Und dann gibt es in dieser Ausstellung noch eine wichtige (Wieder-)Entdeckung zu machen: Sie hängt an feinen Fäden in den Raum hinein wie ein aufgefächertes Leporello, und was darauf in schwarz-weißer Bilderfolge berichtet wird, bezieht sich auf eine zahlreichen Kunstaktionen der Gruppe MAMÜ – MArosvásárhelyi MÜhely, also: Atelier Neumarkt. Schon in den späten 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts realisierte diese Künstlergruppe ebenso mutige wie witzige LandArt-Projekte, vornehmlich in der Mure{-Landschaft. Zeitweise umfasste sie bis zu 25 Personen, vornehmlich ungarisch-sprachige Studenten, die mit nur minimalen Eingriffen in das landschaftliche Gefüge ihre Ideen umzusetzen versuchten. Es gibt in ihren Arbeiten Parallelen zur tschechischen LandArt-Künstlerin Zorka Saglova, die auch mit den Plastic People of the Universe zusammenarbeitete. Beide Initiativen zählen zu den spannendsten der Vorwendezeit in Osteuropa. Die intensive Hinwendung zur heimischen Landschaft suchten MAMÜ wie auch Saglova – anders als ihre amerikanischen Kollegen, die aus Überdruss über den westlichen Galeriebetrieb aufs Land flohen – aus Schutz vor politischen Reglements.
Allzulange aus dem Blickfeld gerückt und beinahe vergessen werden ihre Arbeiten gegenwärtig wiederentdeckt und hier als ARCHIVUM einem breiteren Publikum vorgestellt.
Den Kuratorinnen Duca und Major-Kremer ist es mit dieser Ausstellung eindrücklich gelungen, künstlerische Einsichten zu versammeln, die durchaus kontrovers das hingebungsvolle und mitunter zähe, hartnäckig-beständige Ringen um die Heimat Siebenbürgen zeigen. Bange Fragen nach den Gefahren einer seichten Nostalgie verlieren sich, weil alle Positionen ein kritisch-konstruktives Verhältnis zur Heimat dokumentieren. Manchmal ist es ironisch gebrochen, manchmal eher spielerisch, aber immer durchaus persönlich und getragen von einem Bewusstsein für die fragilen Momente. In diesem Sinne möchte man den Ausstellungstitel TRANSYLVANIA RETOUCHED vielleicht auch so verstehen, dass Siebenbürgen uns immer noch und wieder berühren kann, so wie sich die beteiligten Künstlerinnen und Künstler manchmal fast zärtlich berühren lassen von einer Landschaft, die wegen ihrer artenreichen Bergketten (mit den mittlerweile letzten Urwaldbeständen Europas), ihrer sanften, von Schaf- und Büffelherden beweideten Hügel und der mythischen Kraft einiger fast 1000-jähriger Eichen mehr und mehr zu einer Art Sehnsuchtsort auch für seine Besucher wird.
Zur Ausstellung ist im vergangenen Dezember auch ein Buch erschienen, das weniger Begleitkatalog sein soll als vielmehr eine selbständige Publikation, die viele Zusatzinformationen liefert. Es ist gleichermaßen als Nachschlagewerk wie als Bildband konzipiert. In drei Sprachen – rumänisch, ungarisch und englisch – wendet sich das Buch an das Publikum vor Ort wie auch an internationale Leser.
Die Ausstellung im Bulevardul Eroilor 29 ist montags bis freitags geöffnet, um vorherige Anmeldung per E-Mail wird gebeten unter: cultural@unitbv.ro
Heinke Fabritius
(Dr. Heinke Fabritius ist Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim am Neckar)