Heuer jährt sich der 23. August, der Tag der Wende Rumäniens im zweiten Weltkrieg zum 70. Mal. War das, wie es tief im Bewusstsein der meisten Mitglieder unserer Gemeinschaft, vor allem der Älteren, verankert ist, der Anfang des Endes unseres Seins? Alles was auf dieses Datum folgte, Enteignungen, Deportation, staatlicher Druck auf die Kirche, Verbot aller völkischer Tätigkeiten, Auswanderung usw., wird automatisch und undifferenziert dem einsetzenden „Aufbau der sozialistischen Ordnung“ zugeschrieben.
Bei Führungen, vor allem von Ausländern, wiederholt sich fast stereotyp die Frage nach der Enteignung von Kirchenvermögen in der Zeit des Kommunismus und nach der sehr ungleichmäßigen Durchführung dieser Aktion. Das hat mich veranlasst, diesem Prozess genauer nachzugehen. Dabei musste ich feststellen, dass die eigentliche Enteignung kirchlichen Immobilienbesitzes in dem sogenannten „Gesamtabkommen“ zwischen Landeskirche und Volksgruppe von 1941 stipuliert war. Nach diesem Abkommen gingen alle Vermögenswerte, die nicht direkt für gottesdienstliche Aktivitäten benötigt wurden, wie Kirchen, Pfarrhäuser und Pfarrgründe, in den Besitz der Volksgruppe über. Das betraf alle Immobilien, Gebäude, vorrangig die Schulen und Liegenschaften wie Felder, Weiden und Wälder. Daneben wurde aber auch der Tätigkeitsbereich der Kirche strikt auf das gottesdienstliche und seelsorgerliche Gebiet beschränkt. Vor allem Jugendarbeit und Diakonie wurden von der Volksgruppe vollständig für sich reklamiert, Brüder- und Schwesterschaften, Nachbarschaften und Frauenvereine vollständig aus der kirchlichen Tätigkeit gelöst. Die Jugendarbeit ging vollständig in den Bereich der „DJ“ des „BDM“ und der „HJ“ über. Selbst die Erhebung der Kirchenbeiträge, der „Kirchensteuer“ besorgte die Volksgruppe. Das heißt, der Kirche wurde das gelassen, was ihr auch der „sozialistische Staat“ zugestanden hat.
Wie konnte es zu einer so tiefgreifenden Aufgabe ihrer selbst seitens der Kirche kommen? Hier müssen wir weiter in die Vergangenheit zurückgehen und die politische Lage der Enddreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts betrachten:
Die kirchlichen Wahlen von 1938 verändern das Mehrheitsverhältnis in der Landeskirchenversammlung und führen zu einer Annäherung des damaligen Bischofs Glondys an die Nationalsozialisten. Es wird eine „Kohabitation“ mit der NS-Mehrheit in der Landeskirchenversammlung und im Landeskonsistorium, die von Helmut Wolff geführt wurde, angestrebt. Hinter Wolff standen 82 der insgesamt 131 Abgeordneten. Der Kronstädter Kurator Dr. Reiner kritisierte dessen Politik in der Landeskirchenversammlung scharf. 1939 tritt H.O. Roth (Landeskirchenkurator) der NAF (Nationalen Arbeiterfront), der auch Bischofsvikar Müller angehört, bei. Durch den „Fraktionszwang“ der NS-Fraktion Wolffs im Landeskonsistorium war die Gewissensfreiheit bei den Entscheidungen illusorisch. Es wurde das „Führerprinzip“ in der Arbeit des Landeskonsistoriums mit Einverständnis des Bischofs eingeführt. Dazu wurden 14 „Sachgebietsreferenten“ eingesetzt, die nun autoritär, ohne der Zustimmung des Landeskonsistoriums zu bedürfen, arbeiten konnten.
Durch das Zusatzabkommen zwischen dem Deutschen Reich und Rumänien zum 2. Wiener Schiedsspruch vom 28. August 1940, durch den Rumänien einen Teil Siebenbürgens an Ungarn abtreten musste, stimmte der rumänischen Staat der Gründung der „Volksgruppe“ zu. Am 27. September 1940 wird Andreas Schmidt von der Volksdeutschen Mittelstelle, Berlin, als „Volksgruppenführer“ in Kronstadt im Hotel Krone von Obergruppenführer Werner Lorenz eingesetzt. Am 20. November 1940 wird die Volksgruppe als Körperschaft öffentlichen Rechts durch das Dekret 3884 der rumänischen Regierung anerkannt. Es ist die einzige legale politische Partei in der Diktatur Antonescu’s.
Die Feindschaft Glondys - Schmidt führt zu dem Rücktritt Glondys am 16.12.1940 und der Wahl von Wilhelm Staedel zum Bischof durch die 38. Landeskirchenversammlung am 16. Februar 1941. Vor der Wahl wurden das Rundschreiben des Landeskonsistoriums 924/1936 und das Zusatzschreiben 2245/1936 von Amtswegen, ohne Begründung, außer Kraft gesetzt. Durch diese Rundschreiben war kirchlichen Angestellten jedwelche politische Tätigkeit verboten worden, wer den Revers dazu nicht unterschrieb, wurde aus dem kirchlichen Dienst entlassen. Staedel gehört zu denen, die den Revers nicht unterschrieben hatten und wurde deshalb entlassen. Um ihn als Bischof wählen zu können, mussten vorher diese Rundschreiben annulliert werden.
Bei den Ersatzwahlen zu dem Landeskonsistorium in der 38. Landeskirchenversammlung wurden neun Mandate von Nationalsozialisten errungen, sodass sie auch in diesem Gremium die Mehrheit inne hatten. Nach seinem Rücktritt wird Dr. Helmut Wolff durch Dr. Hermann Schöpp ersetzt. Dieser setzt die Parteilinie im Landeskonsistorium mit aller Härte durch.
In der Sitzung des Landeskonsistoriums vom 21. Dezember 1940 wurde Hauptanwalt Dr. Hans Weprich, weil er „geringe expeditive Kraft besaß“, beurlaubt und durch Pfarrer Fritz Schön ersetzt, der aber am 21. März 1942 seinem Nachfolger, Pfarrer Andreas Scheiner, weichen musste. Scheiner, ein Vetter von Staedels Frau, war 1937/38 ebenfalls amtsenthoben. Er war Gründer und Direktor der „Arbeitsgemeinschaft des Institutes zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien“.
Das Dekretgesetz 977 vom 7. November 1941 erlaubte der Volksgruppe eigene Schulen zu gründen, räumte aber dem Staat bisher unbekannte Verfügungsrechte über die deutschen Minderheitenschulen ein. Die Führung der Volksgruppe verlangte aufgrund dieses Gesetzes die sofortige Überführung der Schulen in ihren Besitz. Gegen dieses Ansinnen wehrte sich der Stadtpfarrer von Hermannstadt und Bischofsvikar Dr. Friedrich Müller vehement.
Daraufhin erzwang die Volksgruppe mit Hilfe der Volksdeutschen Mittelstelle das „Gesamtabkommen“, dessen wichtigsten Punkte oben erwähnt wurden und durch das die gesamte Tätigkeit der Kirche, wie schon gesagt, auf das Niveau reduziert wurde, wie es ihr auch der sozialistische Staat erlaubt hat.
Die Vorlage die Dr. Hermann Schöpp als Stellvertreter des Landeskirchenkurators dem Landeskonsistorium zur Bewilligung das Gesamtabkommens vorgelegt hat, klingt wie ein schlechtes Schmierenstück. Trotz der immer wieder betonten Unabhängigkeit der Kirche, wird schon im ersten Punkt des Abkommens, durch den der Kirche Freiheit für ihre religiösen Veranstaltungen und Einrichtungen zugesichert wird, was aber durch den Zusatz „soweit nicht – unter Missachtung dieser Freiheit – der Bestand der Volksgruppe gefährdet oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen wird“ eine reine Floskel bleibt, denn was die Volksgruppenführung unter Christentum verstand, war weit entfernt von echtem Christentum. (Wir erinnern an die Anwendung der Rassengesetze und „Entjudung“ des Christentums).
Ein weiterer Punkt, den die Volksgruppenführung nie eingehalten hat, war in Punkt 7 stipuliert: „Die Volksgruppenführung wird dafür sorgen, dass bei allen Veranstaltungen der Volksgruppe, bezw. der Partei und ihrer Formationen, Gliederungen und angeschlossenen Verbänden die Zeit des Hauptgottesdienstes grundsätzlich frei gehalten wird. In außergewöhnlichen Fällen ist eine Abweichung von dieser Regel immer vorher zu vereinbaren bezw. dem Pfarramt rechtzeitig bekanntzugeben. Diese Ausnahme gilt nicht für den ersten Tag der drei christlichen Hochfeste sowie für das Reformationsfest, die Totenfeier und den landeskirchlichen Bußtag.“ Auch dieser Punkt war reine Augenauswischerei, denn alle Organisationen der Volksgruppe wie DJ, BDM, DM usw., hielten ihre Übungen und Schulungen, wie sich vielleicht noch einige erinnern werden, vornehmlich am Sonntagvormittag ab.
Wenn man das „Gesamtabkommen“ aufmerksam liest, wird es immer klarer, dass es eine totale Kapitulation der Kirche vor der Volksgruppe war. Besonders krass tritt das dann in den „Bestimmungen zur Übergabe des der ev. Landeskirche A.B. in Rumänien unterstehenden Schul- und Erziehungswesens an die deutsche Volksgruppe in Rumänien“ hervor. Neben den vermögensrechtlichen Bestimmungen ist Punkt 7, Absatz b besonders interessant. Hier wird festgelegt, dass der Religionsunterricht in den Kompetenzbereich der Kirche gehört, aber die Religionslehrer und der Lehrplan müssen von dem Schulamt der Volksgruppe autorisiert werden.
Neben den tiefgreifenden Änderungen bezüglich der Jugendbetreuung, die der evangelischen Kirche praktisch entzogen wurde, ist ein anderes Gebiet wichtig: Die evangelischen Frauenvereine. In den Übergangs- und Schlussbestimmungen wird auf das Abkommen vom 5. Mai 1941 hingewiesen, das zur Folge hatte, dass das Landeskonsistorium die Weisung ausgab, die evangelischen Frauenvereine sollten sich sofort selbst auflösen und deren Vermögen der entsprechenden NS-Organisation zufallen. Besonders das Geschirr der Frauenvereine sollte, dieses Mal gegen Entschädigung, an das NS-Frauenwerk übergeben werden. Die restlichen Vermögenswerte gingen in die Verwaltung der Volksgruppe über. Bei der Übergabe der Vermögenswerte gab es aber noch ein Hindernis: Laut Kirchenordnung waren die Einzel- und Bezirksgemeinden alleinige Besitzer und nicht dem Verfügungsrecht des Landeskonsistoriums unterstellt. So konnten Kirchengemeinden, die mit dem Verlust ihres Vermögens nicht einverstanden waren, dieses, gegen alle Widerstände, behalten. So ist es zu erklären, warum zum Beispiel Kronstadt seinen gesamten Häuserbesitz auch nach der Wende vom 23. August 1944 behalten hat.
Nach dem 23. August wurde die Volksgruppe geächtet, im Oktober 1944 erließ König Mihai ein Dekret durch das das gesamte Nazivermögen enteignet wurde. Das hatte auch nach der Wende von 1989 für viele Gemeinden ein trauriges Nachspiel: Die Gesetzgebung nach 1989 bezüglich der Rückgabe von Immobilien galt nur für nach dem 6. März 1945 erfolgten Enteignungen. Erst nach langem Hin und Her, vor allem durch die schon 1940 enteigneten jüdischen Vermögen, wurde dieser Zustand geändert.
Über den innerkirchlichen Widerstand gegen diese Vereinnahmung der evangelischen Kirche in Rumänien vielleicht ein eigener Beitrag.