Wenn Kindheitsträume erwachsen werden

Eine kleine Zahnarztpraxis, irgendwo in einer ruhigen Straße. Ein Kind sitzt auf dem Drehhocker, die Beine baumeln, die Augen leuchten. Es stellt Fragen, viele Fragen – und hört gebannt zu, wie der Zahnarzt von seinem Alltag erzählt.

Jahre später sitzt dieses Kind wieder auf einem Drehhocker. Nur diesmal trägt es selbst einen weißen Kittel.

Solche Geschichten gibt es öfter, als man denkt. Manchmal beginnt unsere Berufswahl viel früher, als wir glauben – in Momenten, die wir längst vergessen haben. Kleine Interessen, Begegnungen oder Leidenschaften in der Kindheit können Spuren hinterlassen, die uns ein Leben lang begleiten.

Wenn Kindheitsträume den Weg weisen
Als Kinder entdecken wir die Welt spielerisch. Wir probieren Dinge aus, lassen uns begeistern und stellen unendlich viele Fragen. Psychologinnen und Psychologen sagen, dass diese frühen Interessen oft wie Fingerabdrücke sind: Sie verschwinden nicht, sondern bleiben als leise Spur in uns bestehen. Manche Menschen folgen diesem Pfad bewusst, andere unbewusst. Und manchmal erkennt man erst im Rückblick, wie sehr die eigene Kindheit den Lebensweg geprägt hat.
Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als die Mutter einer guten Freundin mir erzählte, wie stark deren Begeisterung für einen Beruf schon früh geweckt wurde.
Wie ein Zahnarztbesuch zum Traumjob wurde

Der Nachbar meiner Freundin war Zahnarzt. Für viele Kinder ist ein Zahnarztbesuch eine kleine Mutprobe – für sie war er ein Abenteuer. Schon als Grundschülerin wollte sie alles über seinen Beruf wissen: Wie behandelt man Karies? Warum haben manche Menschen Angst vor Spritzen? Und was passiert eigentlich, wenn man einen Zahn zieht?

Sie besuchte ihn oft, saß fasziniert in seiner Praxis und hörte sich Geschichten aus seinem Alltag an. Während andere Kinder Zahnarzttermine fürchteten, konnte sie es kaum erwarten, endlich wieder einen zu haben. Heute, viele Jahre später, studiert sie Zahmedizin. Sie sagt, wenn sie zukünftig in einem Behandlungsstuhl sitzen wird, wird sie sich manchmal wieder wie das neugierige Kind von damals fühlen – nur dass sie dann diejenige sein wird, die Fragen beantwortet.
Von Gedichten zu Germanistik – mein Weg zur Sprache

Auch bei mir selbst lässt sich dieser Zusammenhang beobachten. Schon als Kind habe ich es geliebt, Bücher zu verschlingen. Ich konnte stundenlang lesen, ohne auf die Uhr zu schauen. Gleichzeitig begann ich früh, eigene Geschichten und kleine Gedichte zu schreiben.

Später, in der Schule, entwickelte sich daraus eine Art „Mini-Redaktion“: Ich habe oft die Aufsätze meiner Mitschülerinnen und Mitschüler korrigiert, Grammatikfehler verbessert und alternative Formulierungen vorgeschlagen. Damals wusste ich es noch nicht, aber genau diese Leidenschaft hat meinen Studienweg bestimmt. Heute studiere ich Germanistik und beschäftige mich täglich mit Sprache, Texten und ihre Wirkung.

Die Freundin, die nie ohne Skizzenblock war
Eine andere Freundin verbrachte ihre Kindheit am liebsten mit Stiften, Papier und Fantasie. Während wir draußen spielten, saß sie oft am Tisch und zeichnete Häuser, Brücken und kleine Stadtlandschaften. Für sie war es selbstverständlich, Räume zu entwerfen und Ideen aufs Papier zu bringen.
Heute studiert sie Architektur. Wenn sie über ihre Arbeit spricht, hört man denselben Enthusiasmus wie damals, wenn sie ihre Zeichnungen gezeigt hat. Ihr heutiges Studium fühlt sich nicht wie eine Entscheidung an, sondern wie eine natürliche Fortsetzung dessen, was sie schon als Kind geliebt hat.

Warum diese Muster kein Zufall sind
Studien zeigen, dass unsere frühen Interessen und Erfahrungen eine entscheidende Rolle bei der Berufsauswahl spielen können. Zwar verändern sich Träume oft im Laufe der Jahre, aber emotionale Schlüsselerlebnisse – wie das erste Mal in einer Zahnpraxis, das Schreiben einer eigenen Geschichte oder das Zeichen eines Hauses – hinterlassen tiefe Spuren.

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele: Manchmal entfernen wir uns bewusst von unseren Kindheitsvorlieben oder entdecken ganz neue Leidenschaften. Aber oft tragen wir diese kleinen Funken von damals unbewusst weiter, bis sie irgendwann wieder aufflammen.

Zurückschauen, um die Zukunft zu verstehen
Nicht immer verläuft unser Berufsweg geradlinig. Manchmal führt er über Umwege, Irrwege und Neuanfänge. Doch wenn man genauer hinsieht, erkennt man oft Muster: frühe Interessen, kleine Leidenschaften, Begegnungen, die in uns nachhallen.

Vielleicht lohnt es sich also, einen Moment innezuhalten und zurückzublicken: Wofür hast du dich als Kind begeistert? Die Antwort darauf könnte Hinweise geben, wohin die eigene Reise noch führen kann.