Sina ist alles andere als dick. Bloß in die coole weiße Hose, die ihre Freundin Melli ihr geschenkt hat, passt sie seit Kurzem nicht mehr rein. Ausgerechnet die weiße Lieblingsjeans mit der aufgenähten rosa Spinne – ja, Spinnenbeine wollen sie heutzutage alle haben, die jungen Mädchen! Mit Gewalt zwingt Sina den Reißverschluss zu. Was da so unschön über den Hosenbund quillt, muss halt der Pulli verdecken. Off, wie unbequem! Doch ein anderes Kleidungsstück kommt nicht infrage, wenn sie schon auf diese doofe Alteleuteparty mit muss.
Man hat es nicht leicht mit 15: Die Mama empört sich, wenn Sina zu viel Haut zeigt, niemals würde sie erlauben, dass sie sich ein Top nach ihrem Geschmack kauft. Dabei will sie doch gar nicht provozieren. Aber als der schleimige Onkel Erich ihr auf Opas Geburstagsfeier angesäuselt auf den Busen tapscht und ihre Rundungen „bewundert“ – wie hat sich doch das kleine Mädchen, das früher auf seinem Schoß gesessen hat, „entwickelt“ – ist Sina total geschockt. Dann die Bemerkung der Tanten: Naja, richtig dick ist sie nicht, „unsere Sina“, aber schon ziemlich gut beinander, mehr darf es wirklich nicht werden, und mein Gott, wie schlank waren unsere Fesseln doch in diesem Alter…
Irgendetwas legt in Sina plötzlich den Schalter um. Auf einmal wehrt sich alles in ihr gegen die bisherigen, recht üppigen Essgepflogenheiten ihrer Familie, denen sie vorher gedankenlos, lustgesteuert, immer allzugerne nachgegeben hatte. Wer kann schon widerstehen, wenn alle mampfen? Auf der Fahrt zum Fest: „Käsebrötchen, Sina?“ flötet die Mama – und sie langt zu. „Meine Zunge schmeckt den überbackenen Käse, bei dem man gleich an Pizza denkt, den weichgebackenen Brotteig unter der frischen goldbraunen Kruste, die Salzbutter und den doppelt gelegten Emmentaler dazwischen.“ „Nachher gibts für alle noch ein Eis“, verspricht Mama. Und auf der Party: eine Sahnetorte nach der anderen!
Damit muss Schluss sein, beschließt Sina. Abnehmen ist angesagt. Selbstkontrolle, Tapfersein, Kalorienzählen und – Sport. Eigentlich hasst Sina Sport.
Langsam purzeln die Kilos. Freilich, Hunger ist schlimm. Und auch die Mutter zu überlisten, die ständig auf ihrer Vision von Ernährung besteht, ist ein schwieriges Unterfangen. Mal gibt sie vor, gerade mit Melli beim Pizzaessen gewesen zu sein. Mal muss sie zu dringend lernen, um mit der Familie beim Abendbrot zu sitzen. Damit die Nachmittage schneller vergehen und sie wenigstens ein paar Kalorien verbrennt, bis sie schon wieder essen muss, geht Sina täglich ins Schwimmbad. Längst ist sie ein Meister in Selbstkontrolle: Fasten, Sport, und ihre immer dünnere Figur vor denen verstecken, die sie zum Essen zwingen könnten. Als Freunde und Familie merken, dass mit Sina etwas nicht stimmt, ist sie schon viel zu sehr abgemagert. Magersucht, lebensgefährlich! Im Schwimmbad bricht sie zusammen.
Sina muss wieder zunehmen lernen. Doch so einfach ist das nicht. Kalorien machen ihr jetzt Angst! Will man sie zwingen, wieder fett zu werden? War all die Mühe umsonst? Sina ist nicht bereit, das schwer Erkämpfte so leicht aufzugeben.
Es folgen: Moralpredigten, Drohungen, Zwang, die geschlossene Anstalt. Die Gegenreaktion: faule Kompromisse, der Versuch, die Therapeuten auszutricksen, ein gequältes Auf- und Ab. Ob das der richtige Weg ist? Oder muss Sina einfach wieder lernen, jenseits von Gewicht und Äußerlichkeiten Lebensfreude zu spüren?
Autorin Christine Feher verweist auf einen gangbaren Weg und liefert am Ende auch Anlaufstellen für Betroffene (allerdings nur in Deutschland).
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.