Im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens ist derzeit eine umfangreiche Ausstellung zu sehen, die sich der Kunst des Sozialistischen Realismus aus der Zeit der Rumänischen Volksrepublik widmet. Im Erdgeschoss des ehemaligen Königspalastes an der Bukarester Calea Victoriei sind Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Grafiken rumänischer Künstler versammelt, die in chronologischer Folge in fünf reich bestückten Sälen dargeboten werden. Es handelt sich dabei ausschließlich um Werke, die seinerzeit im Rahmen von offiziellen Ausstellungen gezeigt wurden, sei es bei Kunstschauen von nationaler oder von regionaler Bedeutung, sei es bei Jubiläums- oder Gedenkausstellungen.
Die von Monica Enache kuratierte Bukarester Ausstellung folgt dabei der Erkenntnis, dass die Kunst des Sozialistischen Realismus immer schon und per se in einer wie auch immer gearteten Beziehung zur offiziellen Parteilinie und zur herrschenden Staatsideologie steht, sei sie nun von derselben Überzeugung getragen, vom Willen zum Kompromiss durchdrungen, von subversiven Absichten bestimmt oder von den Versuchen neutraler Distanzierung geprägt. Aus diesem Grunde können Thematik und Stilistik der damaligen bildenden Kunst nur im Rahmen der politischen Entwicklung im Rumänien der Jahre 1948 bis 1965 angemessen verstanden werden, die als eine Entwicklung weg vom internationalen Sowjetkommunismus hin zum rumänischen Nationalkommunismus beschrieben werden kann.
Dabei sind, um einen Begriff des marxistischen Philosophen Ernst Bloch zu gebrauchen, durchaus Ungleichzeitigkeiten zwischen der Ideologie der KPdSU und der Ideologie der Rumänischen Arbeiterpartei zu bemerken, die sich auch und gerade auf den Bereich der Kunst wie auf einen sensiblen ästhetischen Seismometer übertrugen. So verlangsamte beispielsweise der Chef der Rumänischen Arbeiterpartei, Gheorghe Gheorghiu-Dej, die von ihm selbst eingeleitete Sowjetisierung Rumäniens, indem er die sogenannten SovRoms, gemischte sowjetisch-rumänische Gesellschaften, endgültig auflöste. Und als Nikita Chruschtschow die Tauwetterperiode im Sowjetkommunismus einläutete und den Personenkult des wenige Jahre zuvor verstorbenen Diktators Stalin kritisierte, straffte Gheorghiu-Dej die ideologischen Zügel und stärkte den Stalinismus nationaler Prägung in Rumänien.
In der Bukarester Ausstellung lassen sich diese ideologischen und politischen Entwicklungen an den einzelnen Exponaten minutiös ablesen, zumal die museografische Beschilderung jeweils nicht nur den Namen des Künstlers, den Titel des Werkes und seine Entstehungszeit festhält, sondern oft auch das Datum seiner Präsentation im Rahmen offizieller Ausstellungen. Bereits an den Skulpturen des ersten Ausstellungssaals zeigt sich der Charakter der Kunst des Sozialistischen Realismus, seine Wuchtigkeit und zum Teil bis ins Plumpe gehende Grobheit, seine bombastische Monumentalität und seine statuarische Gewalt. Zwei Gipsplastiken Iosif Feketes erheben jeweils einen Postboten sowie einen Arbeiter, der seine rechte Faust ballt und in der Linken ein Buch von Marx an die Brust drückt, zu überlebensgroßen Heroen einer glorios anbrechenden neuen Zeit. Da ist die kleinere, aber feinere Bronzeskulptur von Constantin Lucaci im selben Saal, die einen zum Sprung bereiten Schwimmer auf einem Startblock zeigt, künstlerisch doch von ganz anderem Kaliber.
Auch die durchweg großformatigen Gemälde der Bukarester Schau – nur im dritten Ausstellungssaal finden sich kleinformatigere Bilder – atmen einen nach Repräsentativität und stolzer Größe strebenden Geist. Das größte Bild der Ausstellung, das „13. Dezember 1918“ betitelte Gemälde von Tiberiu Krausz, das auch das Plakat zur Ausstellung schmückt, präsentiert die Masse des rumänischen Volkes, das Brot und Frieden will und dabei die Russische Revolution hochleben lässt. Bilder mit Minenarbeitern im Stollen, Holzschnitte mit auf dem Dach arbeitenden Handwerkern und Mechanikern, Gemälde von Volksfesten und ländlichen Szenen, die politisch vereinnahmt werden, indem sie – wie auf einem Gemälde von Gavril Miklossy – die Kulisse zur Unterzeichnung der Gründungsakte einer landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaft abgeben, finden sich in diesem ersten Ausstellungssaal ebenso wie mehrere Verhörszenen: Corneliu Babas Zeichnung, eine Illustration zu Mihail Sadoveanus sozialistisch-realistischem Roman „Mitrea Cocor“, ist hier zu erwähnen wie auch ein Gemälde von Mimi [araga Maxy, das eine dem Betrachter zugewandte Mutter zeigt, die ihren blutbeschmiert mit zerfetztem Hemd im Wohnzimmer stehenden Sohn – gemäß dem Titel des Bildes – niemals an die Handlanger der Macht verraten wird, die ihn mit Knüppeln und Revolvern bedrohen.
Und dann reiht sich in diesem ersten Saal Porträt an Porträt: Josef Wissarionowitsch Stalin, Wladimir Iljitsch Lenin, Ana Pauker, Alexandru Moghioroş, Josef Kischinewski, Gheorghe Gheorghiu-Dej, Vasile Luca, zu denen Alexandru Ciucurencu noch das überlebensgroße Porträt einer Revolutionärin aus dem 19. Jahrhundert beisteuert: der Achtundvierziger-Heroine Ana Ip˛tescu mit wallendem Haupthaar und geladener Pistole. Künstlerisch bemerkenswert ist in diesem Saal auch das Gemälde „Die Flößer“ von [tefan Szönyi, das mit seinem nach links oben aus dem Gemälde hinausgerückten Fluchtpunkt höchste, gleichsam futuristische Dynamik künstlerisch in Szene setzt. Kaum ist es möglich, die Überfülle der Eindrücke dieser sehenswerten Bukarester Ausstellung zu verarbeiten. Vom Porträt eines Heizers führt die hier temporär errichtete Galerie des Sozialistischen Realismus weiter zu einem Bauernaufstand und einem Kulaken-Schauprozess, dann zum Fabrikbesuch eines Stachanowisten und zur Zementfabrik bei Bicaz bis zum Porträt einer Schweißerin auf einer Baustelle in China, wobei der Schweißhelm in diesem Gemälde von Ligia Macovei in einen bemerkenswerten Kontrast tritt zu den Reishüten der Wasserträger im Hintergrund.
Gegenwart und Vergangenheit Rumäniens mischen sich im zweiten Ausstellungssaal. Ein Fabrikbild, in dem gegen die imperialistische Aggression in Korea agitiert wird, hängt unweit des Gemäldes mit Ioan Vod˛ dem Schrecklichen in Cahul und des Bildes mit Peter dem Großen und Dimitrie Cantemir in Jassy. Corneliu Babas Porträt von Mihail Sadoveanu befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Oscar Hans Skulptur des moldauischen Woiwoden Vasile Lupu, und neben Iosif Isers Porträt des, mit einem Band von Lenin vor sich, in die Ferne sinnenden Gheorghiu-Dej findet man hier Constantin Baraschis Bronzeskulptur von Stefan dem Großen oder [tefan Szönyis Bild der motzenländischen Heroine Ecaterina Varga.
Wer diese noch bis zum 2. April dauernde Bukarester Ausstellung besuchen möchte, muss viel Kraft und Zeit mitbringen, um noch drei weitere mit Werken des Sozialistischen Realismus angefüllte Säle aufmerksam zu durchwandeln und dann vielleicht sogar noch im sechsten und letzten Dokumentationssaal der Ausstellung zu verweilen. Er wird dabei viel erfahren über die Herausbildung nationalkommunistischer Themen auch und gerade im Bereich der bildenden Künste in Rumänien, von den künstlerischen Leitfiguren der Jahre 1948 bis 1965 wie Corneliu Baba, Alexandru Ciucurencu oder Jules Perahim, von den Neobyzantinern und den Deviationisten, von der Rehabilitierung Constantin Brâncu{is, von Ion }uculescu und von der allmählichen Transformation der lange als subversiv erachteten Kunstströmungen zum an die malerischen Traditionen des Westens wieder anknüpfenden künstlerischen Mainstream.