„Bukarest atmet in diesen Tagen im Festival-Rhythmus“ – so fasste der Geiger Nicolas Dautricourt nach seinem Konzert am vergangenen Wochenende die Stimmung im Zentrum der Hauptstadt zusammen. In der Tat trifft man ständig Instrumentalisten, die sich zielgerichtet zwischen Hotels und Spielstätten bewegen, man hört die unterschiedlichsten Fremdsprachen, und auch das Publikum eilt, umhüllt von Parfümwolken, von einem Konzertsaal zum anderen. Nicht wenige Gruppen ausländischer Klassik-Freunde sind dabei, denn mittlerweile bieten einige Tourismusunternehmen Festivalreisen nach Bukarest an. Bei dem herrlichen Wetter lernt man die Stadt gewiss von ihrer besten Seite kennen. Und abgesehen von kleinen Pannen erlebt man ein gut organisiertes Festival, das selbst ohne seine Webseite zurechtkommt, die kurz vor Festspielbeginn Opfer von Hackern wurde.
Zudem bietet das hochkarätige Programm die seltene Gelegenheit, in knapper Zeit viele Größen der klassischen Musik aus nächster Nähe zu erleben – wofür sich das Publikum stets mit begeistertem Applaus bedankt. Allerdings bleibt auch die Handy-Plage im Konzertsaal nach wie vor bestehen, die pfiffigsten Klingeltöne erschallen fröhlich gerade bei wunderbaren Pianissimo-Stellen, und immer mal wieder ist eine gewisse Unruhe vorhanden, es raschelt, schnauft, hustet, flüstert, knirscht und kramt. Ein schönes Beispiel, das von Multitasking zeugt, war bei der Matinee am Sonntag die junge Frau, die mit der linken Hand das Aufnahmegerät auf die Bühne gerichtet hielt und das Konzert aufzeichnete, und währenddessen mit der rechten Hand Whatsapp-Nachrichten ins Handy tippte; oder die betagte Dame, die das Ensemble mit dem Tablet fotografierte, aber es nicht schaffte, das klingelnde Telefon leise zu stellen.
Gerade dieses Konzert war hervorragend. Die Musiker Nicolas Dautricourt (Geige), Gary Hoffman (Cello) und Florent Boffard (Klavier), der kurzfristig für Nelson Goerner eingesprungen war, spielten erstklassige Kammermusik, etwa die Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 von Fauré und das Trio in a-Moll von Ravel. Insbesondere letzteres ist eine Feuerprobe für jeden Instrumentalisten und für jedes Ensemble, wurde aber sehr professionell und ausdrucksstark gemeistert. An manchen Stellen hätte die extravertierte Geige etwas zurückhaltender sein können, um mit dem kammermusikalisch-vornehmen Klavier ausgeglichener zu kommunizieren, doch abgesehen davon war die Matinee eine wahre Freude. Auch die Suite für Cello solo von Cassadó erntete zu Recht Begeisterung und Bravo-Rufe. Eine weitere gelungene Matinee war jene mit dem London Chamber Orchestra unter Christopher Warren-Green am Samstagvormittag. Hier erklangen ein samtiges, schlankes Dixtuor für Blasinstrumente von Enescu, dann energisch und mitreißend das Stück „Servant“ (1992) von Graham Fitkin und zum Schluss Mozarts Sinfonie Nr. 41, voller Spannung und bereits beethovenscher Unruhe, mit atemberaubenden Pausen, sehr bewusst gestalteter musikalischer Architektur und einem gepflegten Zusammenspiel, bei dem jeder auf jeden achtet.
Neben der Enttäuschung, dass der Tenor Jonas Kaufmann kurzfristig abgesagt hatte, war auch der Auftritt der vielgelobten Pianistin Khatia Buniatishvili ernüchternd. Am Samstagabend gelangen ihr zwar äußerst subtile, sensible Momente und technisch verblüffende Passagen im Klavierkonzert von Schumann, doch war die Interpretation derart persönlich, dass sie nur noch wenig mit der Partitur zu tun hatte. Dort heißt es im ersten Satz „Allegro affetuoso“ und eben nicht „Largo malinconico“, im dritten Satz „Allegro vivace“ und nicht „Presto collerico“. Zum Glück waren das Israel Philharmonic Orchestra und Zubin Mehta sehr zuverlässige Begleiter und sorgten dafür, dass die Musik stilistisch immer wieder zu Schumann (und somit zur Normalität) zurückfand. Die Zugabe, Liszts „Ungarische Rhapsodie“ Nr. 2, war feinfühlig und virtuos, aber das wahnsinnige Tempo sprengte auch hier den von Liszt gewünschten rhapsodischen und ungarischen Charakter des Stücks. Ganz anders war der Soloabend des Pianisten Kirill Gerstein am Freitagabend im Athenäum, ein Klaviermarathon von bezaubernd, geschmackvoll und formbewusst gespielten Stücken von Bach, Enescu, Schumann und Brahms.
Ein exotischer Farbtupfer im Rahmen der Festspiele war das Mitternachtskonzert mit den „Musikalischen Reisen des Marco Polo“ im Athenäum am Samstag. Die Ensembles „En Chordais“ und „Constantinople“ und der Chor „Anton Pann“ unter der Leitung des Komponisten Kyriakos Kalaitzidis begleiteten das Publikum auf einer Reise in den tiefen Orient. Die griechischen, persischen, arabischen und mongolischen Klänge, gespielt auf authentischen Instrumenten, riefen eine überraschende, fremde musikalische Welt ins Leben und erfreuten Ohren und Herzen.
Von den sinfonischen Konzerten war jenes der Filarmonica della Scala vom Freitagabend ein Genuss. Unter Riccardo Chailly boten die Musiker die sinfonischen Dichtungen „Fontane di Roma“ und „Pini di Roma“ von Ottorino Respighi in einer Fassung, die mit Opulenz und Farbenreichtum, aber auch äußerster Aufmerksamkeit für Details und für den sinfonischen Aufbau entzückte. Die Krönung des Wochenendes war dann das Konzert des Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta am Sonntag-abend, wo alles noch viel schöner und besser klang, als man es ohnehin erwartet hatte. Jede Einzelheit stimmte, jede Phrase war durchdacht, charaktervoll und faszinierend, während Zubin Mehta dem Ganzen – wie immer – Größe und Eleganz verlieh. Gerade in Schuberts Sinfonie Nr. 9 glänzte das Ensemble mit einer exzellenten Darbietung. Zudem spielte der Geiger Leonidas Kavakos technisch makellos und gleichzeitig introvertiert, vollkommen ohne Star-Allüren, das Violinkonzert von Brahms, dem er die Wärme einer Liebeserklärung gab. Wer dabei war, darf sich glücklich schätzen.