Die Türen stehen weit offen, auf den Bänken liegen bunte Sitzkissen. Lilienduft durchdringt das noch kühle Kirchenschiff. Zwei frische Blumengebinde flankieren den kostbaren, spätgotischen Marienaltar. Dahinter fallen gleißende Sonnenstrahlen durch schmale Fenster ein. Draußen dröhnt ein kleiner Traktor, es riecht nach frisch gemähtem Gras. Vereinzelt strecken Besucher ihren Kopf in die Kirche, in der alles für den Nachmittag vorbereitet ist. Wie lange fand hier wohl kein Gottesdienst mehr statt? Erwartung liegt in der Luft...
„Was macht man denn in Bogeschdorf?“ Mit dieser Frage muss man rechnen, wenn man seine Absicht, dort hin zu reisen in der Hauptstadt kundtut. Einmal angekommen, stellt sie sich nicht mehr: Allein die landschaftlichen Reize auf dem Weg von Mediasch/Mediaș nach Bogeschdorf/Băgaciu öffnen einem Herz und Seele! Wie eine Perle liegt das Dorf mit der trutzigen Kirchenburg in einem lichtgrünen Kessel in der sanften Umarmung der Weinberge. Wie kommt es, fragt man sich vielmehr, dass in dieser bäuerlichen Idylle Meisterwerke von europäischen Künstlern von Rang und Namen Eingang in die Dorfkirchen fanden? Etwa der 500-jährige Altar von Bogeschdorf, datiert auf 1518, der Johannes Stoß aus Schäßburg/Sighișoara zugeschrieben wird, dem Sohn des bekannteren Nürnberger Meisters Veit Stoß. „Das Zwischenkokelgebiet ist reich an spätgotischen Altären, von deren Existenz nur wenige wissen“, klärt Pfarrer Rolf Binder in der Festschrift „500 Jahre Bogeschdorfer Altar“ auf.
Jubiläumsfeier mit Buchvorstellung
Das 500-jährige Altarjubiläum am 26. Mai ist Grund für das erste Treffen der HOG Bogesch-dorf in der alten Heimat. An die hundert ausgewanderte Siebenbürger Sachsen sind mit ihren Familien angereist, auch der ehemalige Bogeschdorfer Pfarrer, Heinz Pieldner, der am Sonntag den Gottesdienst hält. Gäste sind der deutsche Vizekonsul aus Hermannstadt/Sibiu, Harald Fratczak, der Vorsitzende des Siebenbürgenforums Martin Bottesch, der Bogeschdorfer Bürgermeister Ioan Aldea, Rolf Binder und Caroline Fernolend als Festredner, Vertreter des Landeskonsistoriums und der Bezirkskonsistorien von Schäßburg, Mediasch und Mühlbach/Sebeț, die Pfarrer, Kuratoren und Burghüter im Zwischenkokelgebiet. Zur Feier wird die Festschrift „500 Jahre Bogeschdorfer Altar“ vorgestellt, die auf 40 Seiten den kostbaren Flügelaltar beschreibt: Geöffnet zeigt er den Schrein mit der Jungfrau Maria, flankiert von Maria Magdalena und der hl. Katharina, geschlossen sind auf acht Bildern 16 Heilige dargestellt, die sich paarweise zu unterhalten scheinen, auch wenn einige gar keine Zeitgenossen sind: Florian und Georg, Papst Urban, der Schutzheilige der Winzer, und Bischof Nikolaus, Petrus und Paulus, Christophorus und Valentinus, Johannes und Bartholomäus, Antonius und Leonhard, Stephanus und Laurentius, und – ungewöhnlich, weil eher aus der orthodoxen Kirche bekannt – Kosmas und Damian, „Ärzte ohne Silber“, weil sie kein Geld für ihre Hilfe verlangten. Was es mit dem „Antoniusschwein“ oder der Mondsichel auf sich hat, auf der die hl. Maria steht? Diese und andere charmante Geschichten verrät Rolf Binder in der Festschrift.
Die Feier lieferte auch den passenden Rahmen für eine lang erwartete Buchpräsentation: der Bildband „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“ mit Texten von Martin Rill und Luftaufnahmen von Georg Gerster. Auf 324 Seiten mit 800 Farbabbildungen und 36 Ortsgrundrissen wird darin ein umfassendes Bild des Kulturraums zwischen der Kleinen und Großen Kokel gezeichnet. Drei Jahre dauerte die Vorbereitung, die dem Historiker Rill etliche Dokumentationsreisen abverlangte (siehe ADZ 18.3.2017: „Verluste, aber auch ein Aufbruch“). Dieser motiviert: „Das Zwischenkokelgebiet ist eine Kulturlandschaft von besonderer Art. Geprägt von dem jahrhundertelangen Zusammenleben der deutschen, rumänischen und ungarischen Bevölkerung und deren wechselseitigen Beziehungen, bewahrt es ein vielfältiges kulturelles Erbe, das in Europa wenig bekannt ist, obwohl es historisch zu Mitteleuropa gehört. Der Bildband zeigt die Orte des deutschen Siedlungsgebietes mit ihren hervorragenden Denkmälern, die im Kontext ihrer regionalen und ethnischen Umwelt untersucht und dargestellt wurden.“
Weinbau – Schlüssel zum Wohlstand
Nach 1300 siedelten die Sachsen nördlich der Großen Kokel vor allem auf Komitatsboden. Im Zwischenkokelgebiet gründeten sie ca. 40 Ortschaften, die meisten in adeligen Grundherrschaften. Nur acht Orte lagen auf Königsboden, wie Bogeschdorf, wird im Kapitel „Geschichtliche Entwicklung“ verraten. Schon ein Jahrhundert später wurde das Zwischenkokelgebiet zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort: „Fässer voller Wein nahmen den Weg nach Westen und wurden auf den süddeutschen Märkten versteigert“, schreibt Rill. Einen wirtschaftlichen Höhepunkt erlebte die Region im 15. und 16. Jahrhundert: Stattliche Kirchenburgen entstanden und so manche Gemeinde leistete sich Kunsthandwerker von Rang und Namen. Auf die Bedeutung des Weinbaus verweisen unzählige Stilelemente: In Bogeschdorf zieren Weinblätter Konsolen und Eingangsbögen der Kirche, in Baaßen überwuchern Reberanken die Sakramentsnische, die Felldorfer Sonnenuhr ist von üppigen Trauben umrahmt, die auch den spätmittelalterlichen Taufstein zieren.
Die Chance, durch Weinbau zu Wohlstand zu gelangen, scheint man heute wieder zu suchen, schreibt Hans Gärtner im Vorwort: „Viele, seit Jahren brachliegende Hänge wurden neu bepflanzt, sodass man der Verkehrsroute den touristischen Zunamen ‘Weinstraße’ zugesprochen hat.“ In Bogeschdorf kann man sich von der hervorragenden Qualität des Kokelweißweins überzeugen: Im Weingut Terra Regis, 2006 vom ehemaligen Bogeschdorfer Helmuth Gaber gegründet, werden neben internationalen Sorten auch traditionelle Trauben wie Königsast (Fetească Regală) und Riesling wieder angebaut.
Kulturerbe im Detail und im Kontext
Baaßen/Bazna, Belleschdorf/Idiciu, Bonnesdorf/Boian, Bogeschdorf, Bulkesch/Bălcaciu, Durles/Dârlos, Elisabethstadt/Dumbrâveni, Felldorf/Filitelnic, Großalisch/Seleușul Mare, Großprobstdorf/Târnava, Halwelagen/Hoghilag, Hohndorf/Viișoara, Irmesch/Ormeniș, Johannisdorf/Sântioana, Kirtsch/Curciu, Kleinalisch/Seleușul Mic, Kleinblasendorf/Blăjel, Kleinlasseln/Laslău Mic, Kleinprobstdorf/Târnăvioara, Langenthal/Valea Lungă, Maldorf/Domald, Maniersch/Măgheruș, Marienburg/Hetiur, Michelsdorf/Veseuș, Nadesch/Nadeș, Pruden/Prod, Puschendorf/Păucea, Reußdorf/Cund, Rode, Schmiegen/Șmig, Schönau/Șona, Seiden/Jidvei, Wölz/Velț, Taterloch/Tătârlaua, Zendersch/Senereuș und Zuckmantel/Țigmandru – die 36 beschriebenen Gemeinden erschließen sich nicht nur über ihre Kirchenburgen, das Bild ergänzen Dorfhäuser, Rathäuser, Schulen und Pfarrhäuser, Gemeindebauten, Schlösser und Kirchen anderer Konfessionen. In den sächsischen Kirchen wird auf architektonische Details, Fresken, Inventar und bewegliches Kulturerbe großes Augenmerk gelegt – Gebetsteppiche, Glocken, Abendmahlskelche, Uhrwerke, Sonnenuhren... Dabei steht nicht die künstlerische Darstellung im Vordergrund, sondern das sachliche Erfassen und Beschreiben, im Detail sowie im Kontext. Luftaufnahmen erschließen interessante Zusammenhänge: In Halwelagen „blicken“ alle Häuser in Richtung Kirchenburg; in Bogeschdorf verbindet ein überdachter Gang das Pfarrhaus mit dem Bering. „Damit es den Pfarrer nicht verregnet, wenn er in die Kirche geht“, schmunzelt Martin Rill.
Was den Bildband auszeichnet, ist ein hoher Anspruch an Vollständigkeit, aber auch die Fülle an Details, die man, in dieser Konzentration zusammengetragen, wohl kaum irgendwo anders findet. Beispiel Durles: Wer kennt schon das Relief des thrakischen Reiters, das dort aus der Kirchenwand ragt? „Eine lokale Gottheit, die während der römischen Epoche auch in Siebenbürgen verehrt wurde“, erfährt man im Text darunter. Oder das Fragment einer römischen Minotaurus-Darstellung, oft als moldauisches Wappen fehlgedeutet? Erstaunlich auch die Wandmalerei, die wohl auf einen in der Moldau geschulten Meister zurückgeht: Die Kleider von Kaiser Konstantin erinnern an die eines moldauischen Fürsten. Einem „richtigen“ moldauischen Auerochsen kann man in Bonnesdorf begegnen. Die Erklärung? Um 1488 verlieh König Matthias I. Corvinus die Kokelburg samt Bonnesdorf dem Fürsten der Moldau, Stefan dem Großen. Kostproben für weitere Besonderheiten, wahllos herausgegriffen: die liebevoll ausgeführten Gewölbeschlusssteine in Kirtsch - Rosette, Jesusgesicht und Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um seine Jungen zu nähren; die hölzerne, bemalte Kassettendecke in Langenthal, wo es auch einen bemerkenswerten Doppelnischenteppich aus Westanatolien gab, der heute in Mediasch aufbewahrt wird. Großprobstdorf brilliert mit einem der schönsten Renaissance-Pokale Siebenbürgens - und einem der prächtigsten Flügelaltäre (1480), im Brukenthalmuseum zu sehen. Im Bukarester Nationalen Kunstmuseum kann man den vorreformatorischen Flügelaltar aus Schmiegen bewundern, der vor 1956 aus der dortigen Kirche entfernt und an Schäßburg verkauft wurde, um in der Bergkirche aufgestellt zu werden. Einen weiteren vorreformatorischen Flügelaltar (1508) gibt es noch in Taterloch, während sich Reußdorf mit einem ebensolchen Nikolaus-Altar (1520) von Johannes Stoß rühmen darf.
„Es ist ein großer Schatz, den wir hier in Siebenbürgen noch haben“, begeistert sich Caroline Fernolend, Vorsitzende des Kronstädter Kreisforums (DFDKK), in ihrer Rede vor der Bogeschdorfer Gemeinschaft. „Doch unsere Kirchenburgen brauchen Leben, um zu überleben!“, plädiert sie flammend. Die Herausforderung sei, einen Nutzen zu finden für diese einmaligen Baudenkmäler. „Martin Rill hat mit diesem Buch den ersten Schritt getan“, den nächsten Schritt müsse die Dorfgemeinschaft tun, die Kirche, die Kuratoren, um den Bildband unter den Besuchern, in der Familie und auch unter Touristen zu verbreiten, fordert sie. Denn die Kirchenburgen müssen sich öffnen, sich zeigen, ihre Schätze stolz präsentieren, um weiterhin bestehen zu können.