Seit letztem Dezember können die Museumsbesucher in der Casa Filipescu–Cesianu eine neue Dauerausstellung unter dem Titel „Muzeul vârstelor – de la copilărie la senectute” besichtigen, die mit einem ungewöhnlichen Konzept zur Entwicklung der Alltagskultur der Stadt Bukarest in den letzten 300 Jahren aufwartet. Unter der Leitung von Dr. Adrian Majuru entwickelten Kuratoren und Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen Fragestellungen zu den Faktoren und Interdependenzen, die die Gesellschaft, die Stadt sowie den öffentlichen und privaten Raum im Laufe der Zeit prägten und veränderten. Ein durchaus theorielastiger Ansatz, der den Besucher intellektuell herausfordert. Die Geschichte des nun restaurierten ehemaligen Adels-Palais von Iancu Filipescu und Maria Ghica (1846-1850), der 1892 als Sitz der Familie Cesianu vom Architekten Leonida Negrescu umgebaut wurde, als auch der Familien selbst, wird innerhalb der Ausstellung immer wieder unter verschiedenen Blickwinkeln thematisiert.
Über zwei Stockwerke erstreckt sich der museale Rundgang, der mittels umfangreicher Texttafeln, Statistiken und wissenschaftlichen Informationen, begleitet von Illustrationen und Objekten des täglichen Gebrauchs, die Entwicklungen und Veränderungen sinnlich erfahrbar machen soll. Laut Adrian Majuru soll das Museum auch eine Geschichte erzählen, die dem Ablauf eines symbolischen Tages über mehrere Generationen bis in die Gegenwart folgt. Dabei geht es nicht um Nostalgie, sondern um eine Bewusstmachung, wie sich die Lebensalter abhängig von gesellschaftlichen Faktoren gewandelt haben. Kindheit gestaltete sich vor dreihundert Jahren im städtischen Umfeld anders, natürlich auch entsprechend den sozialen, religiösen oder auch geografischen Gegebenheiten. Daneben ist die Verbundenheit zu den vorherigen Generationen durch Traditionen und Erinnerungen von Bedeutung.
Schon lange postulieren Wissenschaftler, dass unsere physische und psychische Erscheinung einem Zusammenspiel von Genetik und Umwelteinflüssen unterliegt, das aber auch unsere „Kultur“ zurückwirkt auf unsere anthropologische Entwicklung. Unter dem Stichwort „urbane Anthropologie“ demonstrieren Tabellen und Statistiken, die aus dem Skelettmaterial Bu-karester Friedhöfe gewonnen wurden, die Veränderungen in der durchschnittlichen Wuchshöhe und dem Körpergewicht von Männern und Frauen über mehrere Jahrhunderte. Fotografien aus der „belle epoque“ werden heutigen Bildern gegenübergestellt, um nachzuweisen, wie sich Gesichtszüge und Körpersprache gewandelt haben.
In einer Wandvitrine sind Waffen der unterschiedlichsten Epochen ausgestellt, vom Säbel bis zur Duell-Pistole. Der zugehörige Text ist aber nicht dem Handwerk der Waffenherstellung gewidmet (für die einzelnen Objekte gibt es allerdings, ganz klassisch, eine Beschreibung auf einem modernen Display), sondern verfolgt die Frage, welche Rolle die Bewaffnung im täglichen Leben spielte. So waren Waffen jahrhundertelang ein normaler Bestandteil der männlichen Tracht. Bis es eben verboten wurde, Waffen privat zu tragen. Ganz beiläufig erwähnt der Text dabei das letzte Duell, das just zwischen dem ehemaligen Hausherrn Nicolae Filipescu mit Emanoil Lahovary ausgetragen wurde. In einer Nische wird unser Umgang mit Geld hinterfragt und zur Illustration werden die verschiedenen Aufbewahrungsmittel von der Geldkatze bis zur Scheckkarte gezeigt.
Die Ausstattung eines Bojarenwohnhauses zeigt nicht einfach nur die Möbel, Bilder und Trachten, sondern verweist auf die zunehmenden westlichen Einflüsse und Ideen. Opulent wird es in einem schmalen Zwischengang, der rechts und links von hohen Vitrinen voller Porzellan, Gläser, Geschirr und Silberwaren flankiert wird. Orientalische oder auch osteuropäische Sitten und Gebräuche erfordern anderes Mobiliar und Geschirr. – „Tea time“ oder Tee vom Samowar, Wiener oder Türkische Kaffeekultur, das sind die Pole, zwischen denen sich die Bukarester Gesellschaft bewegt. Zum Spektrum der Möglichkeiten gehören aber auch ebenso Bierhumpen aus Deutschland oder ein Kaffee-Service im Bauhausstil, aber natürlich auch Geschirr aus Frankreich, das hier für die Liebe der Bukarester zur französischen Kultur steht.
Eine weitere Vitrinenwand steht im Zeichen der sich wandelnden Kommunikationsmöglichkeiten. Wie überwinden wir die Entfernungen, wie verändert sich die Art der Kommunikation durch die zur Verfügung stehenden Mittel? Damals mittels Briefpapier und Feder, gestern mit dem Telefon und heute mit dem Smartphone. Das Gleiche gilt für den Musikgenuss „Hausmusik – wie wir der Langeweile entflohen“ heißt das Motto und Pars pro Toto stehen hier eine Geige, ein Grammophon, Radio und I-Pod in den Vitrinen.
Im zweiten Stock stammt das Möbel- und Kostümensemble aus der Zeit von 1900 bis 1920. Die Moderne verändert die Stadt, die Menschen und ihr Verhältnis zu ihr, der öffentliche Raum wird anders genutzt und von anderen Personen. Frauen und Kinder gehören in der Moderne ins Straßenbild, das war nicht immer so. Technische und medizinische Entwicklungen werden bedeutsamer. Die Medizin bestimmt bereits die ersten Schritte ins Leben. Alte verblichene Fotografien von Schwesternschülerinnen und Objekte der ehemaligen und heutigen Medizintechnik fordern zur Auseinandersetzung mit der Art und Weise auf, wie wir dem werdenden Leben, aber auch dem Alter und dem Tod gegenübertreten. Eine Überraschung wartet zum Schluss auf den Besucher: Sozusagen ein Blick in eine moderne Glaskugel. Das eigene Altern wird hier ganz konkret erlebbar. Man muss nicht alle Denkansätze teilen, um sich mit den Exponaten hier eingehend zu befassen. Eine gelungene Anregung, um über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Lebens in Bukarest nachzudenken, stellt diese neue Ausstellung allemal dar.