Im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die sich dem Fronterlebnis rumänischer Künstler während der Zeit des Ersten Weltkriegs widmet. Über 120 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen sind im Erdgeschoss des ehemaligen Königspalastes an der Bukarester Calea Victoriei zu betrachten, die allesamt von rumänischen Malern und Bildhauern stammen, welche als aktive Kriegsteilnehmer ihre Erlebnisse und ihre Erfahrungen im Ersten Weltkrieg künstlerisch verarbeitet haben. Darunter finden sich so bekannte Maler wie Nicolae Tonitza, Ion Theodorescu-Sion, Camil Ressu oder Ştefan Dimitrescu, so bekannte Bildhauer wie Oscar Han, Dimitrie Paciurea, Ion Jalea oder Cornel Medrea, aber auch eine Fülle weniger bekannter rumänischer bildender Künstler, die allesamt ihre Kriegserfahrungen auf Leinwand, Karton, Papier festgehalten oder in Bronze gestaltet und so der Nachwelt überliefert haben.
Die zahlreichen Exponate dieser Bukarester Ausstellung wurden aus mehreren rumänischen Museen zusammengetragen: aus dem die Ausstellung beherbergenden Nationalen Kunstmuseum, aus dem Nationalen Geschichtsmuseum Rumäniens in Bukarest, aus dem Nationalen Militärmuseum „König Ferdinand I.“ in Bukarest, aus dem Nationalen Museumskomplex „Moldau“ in Jassy/Iaşi sowie aus dem Kunstmuseum „Ion Ionescu Quintus“ des rumänischen Landkreises Prahova in Ploieşti.
Bereits beim Betreten der Bukarester Ausstellung im Parterre des Nationalen Kunstmuseums wird der Besucher unmittelbar in die Welt des Krieges mit hineingezogen. Hohe graue Wände aus Holz, die den Raum zu schmalen Trittpfaden verengen, evozieren tiefe Schützengräben, suggerieren Unterschlüpfe in Bretterverschlägen und rufen die beängstigende Atmosphäre des Stellungskrieges wach, der im Ersten Weltkrieg seinen militärischen Höhepunkt erreichte.
Ist man die schmale Rampe zum sämtliche Exponate beherbergenden großen Ausstellungssaal hinabgegangen, so wiederholt sich dort derselbe beengende Raumeindruck. Die ausgestellten Zeichnungen und Gemälde hängen nicht etwa an den Saalwänden, sondern an hohen hölzernen Raumteilern, die selbst wiederum ein System von Schützengräben zu bilden scheinen. Auch die in der Ausstellung gezeigten Skulpturen stehen nicht etwa frei im Raum, sondern sind an Holz- und Bretterwände gelehnt oder kauern sich gleichsam vor den Augen der Betrachter in Gruppen zusammen.
Sämtliche Aspekte der Kriegserfahrung kommen in der Bukarester Ausstellung zum Tragen. So stößt man zunächst auf Bilder und Skulpturen, die Kriegsgefangene darstellen oder Lagererfahrungen thematisieren. Nicolae Tonitza malt Kriegsgefangene in einem Lager (1916/17), Ion Theodorescu-Sion verletzte Soldaten vor einem Haus (1918), Ignat Bednarik zeichnet das Entseuchen von Soldaten in einem Gefangenenlager (1917) und Cornel Medrea zeigt mit einer beeindruckenden Bronzegruppe, wie deutsche Kriegsgefangene von einem rumänischen Soldaten eskortiert werden (1918).
Eine dramatische Skizze von Eustaţiu Stoenescu zeigt, wie ein Deserteur standrechtlich erschossen wird (1917), während eine andere Zeichnung von Alexandru Severin aus demselben Jahre die Gestalt eines schwer mit Decken behängten bärtigen rumänischen Soldaten mit den an den Rand geschriebenen Worten kommentiert: „Ei mureau de foame în vreme ce alţii petreceau“ (Sie starben vor Hunger, während andere feierten).
Nicht nur Bilder des Darbens, Leidens und Gefangenseins werden von den in dieser Ausstellung vertretenen rumänischen Künstlern beschworen, sondern auch Momente der Ruhe und der Einkehr. Ein Ölgemälde von Arthur Verona zeigt einen Wachsoldaten, der eine weite Flusslandschaft überblickt (1918-1920), ein anderes Ölgemälde von Ion Bărbulescu einen Soldaten, der in einem Unterstand bei Mărăşeşti einen Brief liest, zwei Conté-Zeichnungen von Mihai Onofrei geben ruhende Soldaten wieder (1917) und eine Tuschezeichnung von Nicolae Tonitza porträtiert den Frontkameraden und Maler Ştefan Dimitrescu (1919-1922).
Auch das Leben der Zivilbevölkerung gerät in der Bukarester Ausstellung in den Blick, etwa in Edmond van Saanen-Algis Tuschzeichnung von Bukarest während der Besatzungszeit (1918) oder in Ignat Bednariks Bleistiftzeichnung von Schaulustigen, die wegen eines Zeppelins am Himmel von Bukarest zusammengelaufen sind (1916), ebenso wie in Nicolae Tonitzas und Ion Bărbulescus Zeichnungen von Brotschlangen oder in einer Kohlezeichnung des letzteren, die drei Typhuskranke zeigt, die sitzend, in dicke Mäntel gehüllt an einer Mauer lehnen und eine Mütze zum Betteln auf den Gehsteig gelegt haben.
Eine Frontszene von Paul Molda-Popescu zeigt einen Angriff der rumänischen Kavallerie bei Robăneşti (1916), ein Flachrelief von Spiridon Georgescu aus dem Jahre 1918 erzählt von der Rückkehr von der Front: grüßende Soldaten auf Pferden und jubelnde Bürger, die an den Rändern der Straße ein Spalier bilden. Mythisch überhöht ist die Bronzeplastik von Dimitrie Paciurea, die den „Gott des Krieges“ (1916) zeigt: das Haupt eines langhaarigen, finster entschlossenen Mannes, der als Helmersatz einen Totenschädel auf seinem Kopf trägt.
Zahlreiche Bilder transponieren die Kriegserfahrung ins Allegorische und Visionäre. Ein Ölgemälde von Ignat Bednarik zeigt einen „Geopferten“ (1919), der auf der Erde von zwei Gestalten beweint wird und dessen Seele zugleich im barocken Himmel von Engelschören in Empfang genommen wird. Und in einem visionären Ölgemälde von Ion Stoica-Dumitrescu aus dem Jahre 1917 erscheint gar Jesus selbst an den Gräbern der Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Besonders beeindruckend ist ein „Soldatenmutter“ (1919) betiteltes Ölgemälde von Nicolae Tonitza, das eine Mutter zeigt, die mit ihren dürren Armen das Grabkreuz ihres toten Sohnes umarmt, wie sie ihrerseits selbst von den dürren Ästen eines sie überwölbenden kahlen Baumes umfangen wird, zum Zeichen einer gemeinsam mit der Kreatur leidenden Natur.
Begräbnisse toter Soldaten, Kriegsversehrte und Invalide, Flüchtlinge, leidende Mütter, Waisenkinder, bombardierte Landschaften – das gesamte Personal und Arsenal des Ersten Weltkrieges breitet sich in dieser Bukarester Ausstellung lebhaft vor den Augen der Betrachter aus. Ergänzt werden die Exponate noch durch Videoprojektionen von Zeichnungen und Skizzen sowie von dokumentarischen Aufnahmen, nicht zuletzt auch durch eine Vielzahl von Fotografien und historischen Urkunden, die die künstlerischen Zeugnisse geschichtlich verorten. Die sehenswerte Bukarester Ausstellung kann noch bis zum 28. Januar im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens besucht werden.