„Ich bin Fürst über Völker, nicht über Gewissen“ (Rex sum populorum, non conscientiarum) – mit diesem Zitat von István Báthory, dem humanistisch geprägten Fürsten, der seine Herrschaft 1572 über Siebenbürgen antrat und somit einen Wesenszug religiöser Toleranz auf höchster politischer Ebene formulierte, leitete Dr. Ulrich A. Wien seinen Vortag mit dem Titel „Exportgut Reformation“ im Bukarester Schillerhaus ein. Das zuvor auf dem Thorenburger Landtag 1568 erfolgte Toleranzedikt gilt als frühestes Beispiel einer multikonfessionellen Verfassung, in der den Nationen Siebenbürgens, den ungarischen Adligen, Szeklern und Siebenbürger Sachsen Religionsfreiheit zugebilligte wurde. Die Konfessionen der Calvinisten, Unitarier, Lutheraner und Katholiken waren ausdrücklich zugelassen und obwohl die Rumänen im Landtag nicht vertreten waren, wurde ihr orthodoxer Glaube immerhin geduldet. Wegen dieser frühen Beschlüsse nennt Dr. Ulrich A. Wien Siebenbürgen auch eine einzigartige Pionierregion in Europa, in der trotz Schwankungen und Rückschlägen Religionsfreiheit verfassungsmäßig geschützt wurde.
Zwar räumt er später noch ein, dass es auch andere Gebiete gab, in denen ähnliche Ansätze verfolgt wurden, so in Polen, den Niederlanden oder auch der Schweiz, aber nirgends konnte sich über Jahrhunderte dieser Gedanke so behaupten wie ausgerechnet in Siebenbürgen. Aber wie kam es dazu, dass sich diese reformatorische Idee bis in die kleinsten siebenbürgischen Dörfer durchsetzen konnte und selbst im Herzen der Walachei, in Bukarest, bereits im 16. Jahrhundert eine lutherische Kirche entstehen ließ? Wie es zur Spaltung der lateinischen Westkirche kam, was die politischen und theologischen Voraussetzungen waren und wie sich reformatorische Vorstellungen in ganz Europa verbreiteten, führte Wien eindrücklich vor. Bei diesem Vortrag handelt es sich um einen kleinen Vorgeschmack auf das im Mai dieses Jahres erscheinende Buch mit dem Titel „Exportgut Reformation: Ihr Transfer in Kontaktzonen des 16. Jahrhunderts und die Gegenwart evangelischer Kirchen in Europa“
Ein ungewöhnliches Thema für Bukarest, bemerkte Dr. Daniel Zikeli, Bischofsvikar und Stadtpfarrer der evangelischen Kirchengemeinde A. B. Bukarest, der einleitend die Gäste, unter ihnen Repräsentanten der deutschen und rumänischen Institutionen begrüßt hatte, weil das Wissen über die Reformation und ihre Ursachen nicht nur in Bukarest heute wenig vorhanden ist. Wie Dr. Wien später bedauernd anmerkte, bekennen sich selbst in Wittenberg, der Stadt der Reformation, heute kaum mehr 15 Prozent zum evangelischen Glauben. Da scheint es angebracht, wieder über die Grundlagen der Reformation zu sprechen
Voraussetzungen und Hintergründe
Die Ausgangssituation am Anfang des 16. Jahrhunderts war dabei der heutigen gar nicht so unähnlich: Medienrevolution, Globalisierung, Bedrohung durch äußere Feinde, insbesondere aus dem Osten, dazu soziale Unruhen, ein Stadt-Landgefälle – sogar das Klima spielte damals verrückt, denn die Ausläufer der „kleinen Eiszeit“ sorgten für Missernten. Die „Medienrevolution“ bestand seinerzeit in der Erfindung des Buchdrucks, ohne den die Reformation sicher nicht möglich gewesen wäre, betont Wien. Der christlich geprägte Humanismus bereitete bereits vor Luther den Boden für theologische Veränderungen in ganz Europa von Schottland bis Neapel und eben auch bis in die Städte Siebenbürgens. Das Bürgertum in den Städten, aber auch Teile des Adels, hörten bereits vor Luther Predigten in ihrer Muttersprache, und die Kirchenkritik eines Erasmus von Rotterdam fand in ganz Europa ihre Verbreitung. Um nur ein Beispiel für die damaligen Transformationsprozesse zu nennen, sei auf das Motto des Kaisers Karl V. „plus ultra“, schlicht „immer weiter“ verwiesen. Dies stellt eine Anspielung auf die „Säulen des Herakles“ – sprich Gibraltar dar, hinter denen die Welt, in der damaligen Vorstellung eine Scheibe, eben endete – „non plus ultra“ – hier ging es nicht mehr weiter. Durch die Entdeckung Amerikas, das anfangs ja Bestandteil des spanischen Königreichs war, galt diese Grenze nicht mehr. Die Horizonte verschoben sich, weltumspannende Handelsbeziehungen wurden möglich, die ökonomischen Parameter galten nicht mehr.
In die Kritik gerieten von jeher, aber nun umso mehr, die christlichen Handelsherren, denn „Geldverleih, Zinsen waren verboten, deshalb hatten Händler oft ein schlechtes Gewissen“, erläutert Wien. Sie versuchten durch gute Werke, also Almosen, aber auch den Kauf von Ablassbriefen, ihre Sündenstrafen zu verringern. Wegen der vereinfachenden Propaganda verwechselten sie die theologische Unterscheidung zwischen Sündenstrafen und Schuld. „Die Schuld muss bei Gott vergeben werden, aber die Strafen erlegte die Kirche auf, und die musste man büßen. Aber Gott vergab aus Barmherzigkeit die Schuld. Die Frage war: Warum musste man dann die Strafen büßen?“
Der Ablass und die 95 Thesen
„Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ Den Satz des Johann Tetzel, der für Bischof Albrecht von Brandenburg Ablassbriefe verkaufte, veranschaulicht Wien durch eine Grafik. Danach konnte durch die Vermittlung der Kirche der „Schatz der guten Werke“, die durch Jesus und die Heiligen erworben wurden, mobilisiert werden. So erhielt man ein Guthaben für die Sündenschuld und verkürzte die Zeit im Fegefeuer. Als „Strategie des kommerzialisierten Handelns“ bezeichnet Wien diese Praxis, die in der Folge zu allerlei Auswüchsen führte, da die Sünden nicht bereut werden mussten. Im Gegenteil: Man konnte sich, solange man zahlte, recht undiszipliniert verhalten.
Gegen diese Ablasspraxis waren die 95 Thesen Martin Luthers von 1517 gerichtet, von denen Wien nur einige herausgreift, um Luthers Standpunkt zu veranschaulichen. So die erste: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht, tut Buße, hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.“ In der folgenden These 36 wird deutlich, dass „Jeder Christ, der wahre Reue empfindet, hat vollkommen Nachlass von Strafe und Schuld auch ohne Ablassbrief.“ Es geht um die innere Haltung, nicht darum, Geld zu bezahlen. Denn der „wahre Schatz der Kirche sei das Evangelium und die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus“. Die als Debattenbeitrag verstandenen Thesen haben auf Luther selbst befreiend gewirkt, denn genau seit dem 31. Oktober 1517 nennt er sich nicht mehr mit seinem Geburtsnamen „Luder“, sondern nimmt den nach humanistischer Manier gräzisierten Nachnamen „Luther“ an, nach dem griechischen „Eleutherios“ (der Freie).
Die Übersetzung der Bibel
Gewissermaßen leitet dies zu dem zweiten großen Komplex der Wirkmächtigkeit Luthers über, dem der Bibelübersetzung. Als Universitätsprofessor las er das Alte Testament in Hebräischer Sprache und das Neue Testament in der gerade erst 1516 von Erasmus von Rotterdam herausgebrachten griechischen Übersetzung. Luther war der Überzeugung, „die Heilige Schrift legt sich selbst aus“. Die Originalsprache spielte daher eine herausragende Rolle, um den ursprünglichen Sinn der Bibel zu erfassen, denn jetzt, nach einer tausendjährigen Zwischenzeit, war „die Strahlkraft des Evangeliums wieder neu ans Licht gekommen.“ Die Bibellektüre besaß somit für Luther eine zentrale Bedeutung für die Bewältigung des Lebens, denn erstens „schärft Gottes Wort das Gewissen“ und zweitens „das durch die Bibel gebildete Gewissen macht den Menschen mündig.“
Diese mündigen Menschen konnten somit ohne die Vermittlung der Priester ihre eigenen Entscheidungen zur Auslegung der Bibel treffen und taten das auch. Ohne die Autorität des Papstes kam es so zu abweichenden Auffassungen. Ein Umstand, der natürlich die kirchlichen Autoritäten auf den Plan rief, die, nachdem Luther sich weigerte zu widerrufen, ihn mit dem Bann belegten und ihn zwangen, sich vor dem Kaiser auf dem Reichstag zu Worms am 18. April 1521 zu verantworten. Seine Rechtfertigung schloss er nicht, wie kolportiert, mit dem Satz, „hier stehe ich, ich kann nicht anders“, sondern mit: „ Ich bin im Gewissen gefangen, im Wort Gottes.“ Er handelte also als mündiger Christ, wie er es sich aus der Bibel erschlossen hatte. Seine innere Stärke beruhte auf seiner Gewissheit, nach dem göttlichen Willen zu handeln. Eben darum war es ihm im Folgenden auch so wichtig, mit der Unterstützung seines Mitstreiters Philipp Melanchthon die Bibel zu übersetzen, so „dass die Mutter im Hause und der Mann auf der Straße die Bibel tatsächlich so gut verstehen kann, dass sie merkten, dass man Deutsch mit ihnen redet.“ Damit die Menschen durch die Lektüre „ getröstet, mündig und hilfsbereit werden.“
Verbreitung der Reformation nach Siebenbürgen
Bereits 1522 lag das Neue Testament gedruckt vor, bis 1534 war die ganze Bibel übersetzt und verbreitete sich rasch in alle Landesteile und darüber hinaus bis nach Kronstadt in Siebenbürgen. Der Übersetzungsprozess war jedoch für Luther Zeit seines Lebens nicht abgeschlossen, wie Wien hier an einem Beispiel belegt, bei dem die roten Korrekturen Luthers in den ansonsten schwarz gedruckten Text eingefügt erscheinen. Jede neue Auflage wurde überarbeitet und weiter korrigiert.
Die Bibelübersetzung schuf aber auch die Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache. Dies wirkte in anderen Ländern ebenfalls sprachbildend. In Klausenburg gab es bald eine Übersetzung ins Ungarische, und die rumänisch-orthodoxe Kirche folgte, wenn auch wesentlich später, diesem Beispiel, als in Weißenburg/Alba Julia 1648 eine Übersetzung der Bibel ins Rumänische erfolgte, die 1687/88 in die „Bukarester Bibel“ eingebunden wurde. Bereits 1544 wurde in Hermannstadt ein Katechismus in rumänischer Sprache gedruckt – der leider verloren ging. Der Drucker Coresi – heute noch ein berühmter Name für Druckerzeugnisse – hat 1560/61 in Kronstadt die vier Evangelien gedruckt.
Dass die Reformation in Siebenbürgen nicht nur in einer Form angenommen wurde, lag an der in dieser Hinsicht günstigen politischen Konstellation, denn seit der Zerschlagung des Ungarischen Reiches durch die Osmanen u. a. durch die Schlacht bei Mohács 1526 verloren die Habsburger Könige ihren Einfluss auf Siebenbürgen und die Verbote der Reformation von 1523 und 1526 fruchteten hier nicht. Die Sachsen besaßen von alters her das Privileg, ihre Pfarrer selbst zu wählen. Unter diesen Prämissen konnte die Reformation relativ problemlos in Siebenbürgen eingeführt werden.
Da Siebenbürgen zwar über Lateinschulen, aber nicht über eine Universität verfügte, mussten die meisten Siebenbürger an den Universitäten des Deutschen Reiches oder der Schweiz studieren. Krakau, Basel oder Nürnberg waren die Städte, in denen Ungarn oder Sachsen studierten und von dort die Lehren der Reformation nach Hause mitbrachten. Im Sinne dieser neuen Ideen verfasste Johannes Honterus aus Kronstadt seine Kirchenordnung 1543, und nachdem er 1544 Stadtpfarrer geworden war, folgte 1547 die "Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen". Schließlich wurde der evangelische Glaube nach Wittenberg 1550 von der Nationsuniversität offiziell anerkannt.
Andere ungarische Studenten folgten mehr den Lehren Johannes Calvinus (Jean Cauvin) in Genf, das heißt, sie brachten die Konfession der Reformierten nach Siebenbürgen. Vor allem in Klausenburg/Cluj wurde sie von dem dortigen Stadtpfarrer Caspar Held, zusammen mit Franz Davidis und Giorgio Biandrata, dem Leibarzt des Fürsten Johann Sigismund Zápolya, aufgegriffen und umgeformt zur Unitarischen Kirche, die auf antitrinitarischen Ideen beruhte. Anhänger anderer Glaubensrichtungen fanden unter diesen Voraussetzungen in Siebenbürgen Aufnahme, so die Anabaptisten, die im England Heinrichs VIII. wegen ihrer Religionszugehörigkeit verbrannt wurden. Damit besaß nun jede Nation ihre vordringliche Konfession, die eben in dem besagten Edikt von Thorenburg anerkannt wurde. „Verfassungswirklichkeit war nicht deckungsgleich mit der Verfassung. Aber selbst die Habsburger mussten später diese Grundrechte anerkennen, und das haben sie mit Einschränkungen auch respektiert.“
Allerdings räumt Wien auf eine Nachfrage aus dem Publikum ein, dass die reformierten Fürsten Anfang des 17. Jahrhunderts die Unitarier fast vernichtet hätten und orthodoxe Priester sich den calvinistischen Bischöfen hierarchisch unterordnen mussten. Die Formel „Cuius regio, eius religio - wessen Gebiet, dessen Religion“ zeigte sich auch im Kleinen, da z. B. die Nationsuniversität für ihren Rechtsraum für alle Sachsen den Lutherischen Glauben vorschrieb, und 1572 gibt es vom Fürsten einen Auftrag an die Synode, dass die „confessio augustana“ beschlossen werden musste. Allerdings fand man Kompromissformen. Letztendlich konnte jeder Graf für sein Gebiet selbst bestimmen, welche Konfession dort geduldet wurde. Ans Ende seines Vortrags setzt Wien ein Zitat aus den Predigttexten des siebenbürgisch-sächsischen Pfarrers Damasus Dürr aus Kleinpold/Apoldu de Jos, der zur Reformationszeit, sozusagen im Kleinen, das umsetzte, was in der großen Welt vorgegeben wurde:
„Solchen Hader soll man nicht mit Feuer, nicht mit Strick oder Schwert schlichten, sondern mit der Schrift. Ist jemand ein Ketzer, dann muss man es mit der Schrift beweisen, den Henker aber soll man daheim lassen, denn er gehört nicht zur Disputation.“ Letztlich ein Zeugnis, wie mit Andersgläubigen umzugehen war, ganz aus dem Geiste von Luthers auf die Bibel konzentrierter Frömmigkeit.