Bei den meisten Klöstern oder Stiften bestand ein meist kleiner Vorgängerbau, der in späteren Jahrhunderten erweitert oder sukzessive ausgebaut wurde. Dass ein ganzes gotisches Kloster nicht verschwunden ist, sondern zugeschüttet, durch den eigenen Schutt konserviert und ein barockes neu draufgebaut wurde, ist schon etwas ungewöhnlich. So passiert in Altenburg im Waldviertel.
Vor tausend Jahren…
Um das Jahr 1000 kolonialisierte das bairische Adelsgeschlecht der Grafen von Poigen das Gebiet um Horn, einen großen Teil des niederösterreichischen Waldviertels. Auf einem steilen Felsplateau gegen den Kamp zu errichteten sie die alte Burg. Nach dem plötzlichen Tod des Grafen Gebhard von Poigen 1144 gründete seine Witwe Hildburg von Poigen auf den Fundamenten der alten Poigen-Burg, wo sie mit ihm gelebt hatte, das kleine Kloster Altenburg. Sie stattete es mit Ländereien und Rechten aus und übergab es dem Bistum Passau unter Bischof Reginbert. Durch weitere gräfliche Zuwendungen und Zubauten vergrößerte sich im Lauf der Jahrhunderte das Stift mit seinen Besitzungen.
Noch im Gründungsjahr 1144 kamen zwölf Benediktinermönche aus der steirischen Abtei Sankt Lam-brecht, die für 24 Jahre unter ihrem ersten Abt Gottfried in der Einsamkeit des Nordwaldes ihr benediktinisch-christliches Leben antraten. Von Anbeginn waren in Erinnerung daran fast immer zwölf Mönche in der Abtei (gegenwärtig sind es neun). Hildburg zog sich auf den Witwensitz nach Groß-Burgstall zurück. Andere Quellen berichten von ihrem Rückzug in den süddeutschen Raum, in ihre ursprüngliche Heimat. Wie auch immer, begraben ist sie jedenfalls neben dem Hochaltar in der Stiftskirche Altenburg.
Zwölf Jahre nach der Klostergründung starben die Grafen Poigen im Mannesstamm aus. Als Lehen des Bistums Passau fiel Altenburg an die Babenberger, die es als Lehen weiter neu vergaben. Die Abtei hatte im Laufe der Jahrhunderte große Herausforderungen zu bewältigen; Kriege, Invasionen, fast immer mit großen Zerstörungen verbunden: um 1300 die Einfälle der Kumanen, 1427 drei Jahre Hussitenkriege, 1480 Invasionen aus Böhmen, Mähren, Ungarn. 1552 waren wegen der Türkenkriege riesige Summen an den Kaiser zu zahlen, der große Bauernaufstand war zu bewältigen, ab 1618 war der Dreißigjährige Krieg, und zuletzt war im Zweiten Weltkrieg 1941 die Vertreibung durch die Nazis und die zweijährige Einquartierung von 2000 russischen Soldaten zu überstehen; die teils existenzbedrohenden Schäden an der Bausubstanz wurden von den Äbten unermüdlich immer wieder behoben.
Aus Gotik wird Barock
Zu den ersten und wichtigsten Teilen einer Burg gehörte immer eine Kapelle oder eine Kirche. Die dem hl. Stephan geweihte Eigenkirche der Grafen von Poigen, die zur ersten Klosterkirche wurde, hatte – den Resten nach zu ersehen – ein Ausmaß von 16 auf 8 Meter. Fast 150 Jahre genügte dieser Bau, bis 60 Jahre nach einem Brand und durch die Zerstörung der Hussiten weitere 50 Jahre später der Wiederaufbau einem Neubau gleichkam, der sich 70 Jahre hinzog. 150 Jahre herrschte danach Frieden, dann taten Brände und die Schweden ein weiteres Zerstörungswerk.
Abt Benedikt Leiß begann 1645 mit dem Wiederaufbau, fasste aber auch den ersten Entschluss, die alten Gebäude aufzugeben. 1670 wurden die Gewölbe des Kreuzgangs abgebrochen, aber erst 1730 erfolgte unter Abt Placidus Much der Umbau zur großartigen Barockkirche und der Neubau des Klosters.
Die romanische Veitskapelle als ältester Teil des Klosters verschwand unter der Planierung der Altane. Die Gänge und Räume wurden mit Schutt aufgefüllt. Der berühmte Baumeister Joseph Munggenast und sein Bauleiter Leopold Wissgrill begannen zunächst unter Einbeziehung verschiedener Bauteile mit der Kirche und dem Prälatenhof. Anstelle der gotischen Anlagen wurde der 208 Meter lange hochbarocke Neubau erstellt. Nach den neuen Plänen Munggenasts wurde die Kaiserstiege als das Prunktreppenhaus der feierliche Haupteingang zum Stift, der Kaisertrakt, der Marmor-saal als Festsaal und Höhepunkt der Wohnräume des Abtes, die Bibliothek (der harmonischste Raum, der heute auch für Konzerte verwendet wird) und die darunterliegende Krypta mit ihren einzigartigen Groteskmalereien zum Thema Tod sowie die Sala Terrena errichtet.
Abt Placidus Much war einer der bedeutendsten Äbte Altenburgs. Er war eines der zehn Kinder einer Weinbauernfamilie, wurde mit 30 Jahren im ersten Wahlgang einstimmig zum Abt gewählt. In den 41 Jahren seiner Regentschaft wurde Altenburg ein geistiges Zentrum und großartig umgestaltet. Auch den Bau der Wallfahrtskirche Maria Dreieichen, wenige Kilometer entfernt, nahm Abt Placidus in Angriff. Die riesigen Kosten wurden durch den Verkauf der Abtei Tihany in Ungarn gedeckt, durch den Erbverzicht adeliger Patres in Altenburg, ferner durch die Stiftung von Philipp Joseph Graf Hoyos und Horner Bürgern.
Für die Innenausgestaltung engagierte Abt Placidus namhafte Künstler wie die Steinmetzmeister Franz Leopold Farmacher und Schletterer, Franz Josef Holzinger für die hochwertigen Stuckarbeiten und den Stuckmarmor der Altäre. Paul Troger übernahm die Wandmalereien der zehn Kuppeln, der Kirche, der Bibliothek und auf der Kaiserstiege. Altenburg wurde damit zum „Trogerstift“.
Paul Trogers Wandfresken bergen zwei Geheimnisse: einerseits ist immer wieder von der apokalyptischen Frau die Rede, die in der Offenbarung des Johannes Kap.12,1–9 beschriebene sternenbekränzte Frau. Der sie bedrohende Drache wird vom Erzengel Michael in die Tiefe gestürzt. Sie ist auch im Kuppelfresko der Kirche dargestellt. Paul Tro-ger hat sich mit seinem Auftraggeber Abt Placidus theo-logisch und malerisch immer wieder intensiv damit beschäftigt. Wer und was darunter zu verstehen ist, sorgt unter Theologen noch immer für Diskussionen. Trogers zweites Geheimnis war lange Jahre technischer Natur: wie sein berühmtes strahlendes „Trogerblau“ wohl entstanden ist. Der Mythos des Trogerblau wurde erst im 20. Jahrhundert geklärt: Das Pigment Smalte, das in Mitteleuropa um 1600 den bisherigen Farbstoff Azurit ersetzte, ist ein pulverisiertes Kaliglas mit dem Bestandteil Kobalt, ein besonders leuchtendes Blau. Für Wandtechniken kann es sehr gut verwendet werden, Ölfarben werden jedoch refüsiert.
Was war vorher?
Über all den barocken Herrlichkeiten gerieten die gotischen Vorgängerbauten in Vergessenheit. Man wusste zwar, dass da vorher etwas war – aber was genau, wusste man nicht. Mit der ersten Baugeschichte des mittelalterlichen Klosters hat sich 1890 Pater Michael Endl beschäftigt. Die ersten Ausgrabungen im Ostflügel des Kreuzgangs wurden unter ihm 1931/32 vorgenommen. Kleinere Ausgrabungen folgten 1954 unter Pater Gregor Schweighofer. Der Kunsthistoriker Gerhard Seebach entdeckte 1970 Reste früherer Räume, z. B. des Refektoriums und der Kapitelkapelle. Dies war nun mit ein Anlass dafür, dass 1983 auf das Betreiben Abt Bernhard Nabers hin systematische Ausgrabungen getätigt und ein Restaurierungskonzept erstellt wurden. Damit übernahmen auch die folgenden Äbte Christian Heizinger und Thomas Renner eine schier überwältigende Aufgabe.
Vom Fußboden des alten Kreuzganges bis zum barocken Niveau war etwa vier Meter hoch Schutt zu entfernen. Man entdeckte alte Bau-teile, zugemauerte Türen, Freskenreste an den Wänden, im Schutt Kacheln, Tongefäße, Kreuzrippen, die wieder an die richtige Stelle versetzt wurden. Die Funde und Fakten dienten dem Kunsthistoriker Seebach für seine Dissertation, die sich auch – davon ausgehend – mit der Frage der Baukunst der Benediktiner im 13. Und 14. Jahrhundert beschäftigte.
Immer wieder traten Überraschungen zutage, etwa eine ausgetüftelte gotische Bodenheizung, 1994/95 wurden die goldglitzernden Kacheln des Goldenen Ofens von 1480 gefunden. Es wurden romanische Kapitelle freigelegt und Grabstätten, die sogar von romanischen Mauern überdeckt, also noch älter waren. Die Veitskapelle wurde von der Überschüttung befreit und innen unten als Gruft des Konvents verwendet, der abgeteilte obere Teil wurde zum Kapellenraum mit dem Altar der Kreuzabnahme von Johann Michael Flor.
Den Äbten des 21. Jahrhunderts fiel die Aufgabe zu, mithilfe der modernen Bautechnik sowohl die gotischen wie auch die barocken Kostbarkeiten zu erhalten, alles zu überdachen, zu sichern und zugänglich zu machen. Das allein ist ein Geniestreich: die verschiedenen Ebenen mit Treppen und Stegen miteinander zu verbinden und mittels Glasgeländern hell und übersichtlich zu gestalten. Durch die vielen Schritte der Ausgrabungen kam langsam das umfassende Bild des gesamten gotischen Klosters zurück; es gleichzeitig zu sehen mit dem Kloster 600 Jahre später – und belebt von Menschen der Gegenwart – ist ein faszinierendes Erlebnis.
Heute: so viel Altes-Neues
Zu den vielen großartigen Kunstwerken gesellten sich in jüngster Zeit die Bilder der Sammlung Arnold. Abt Thomas durfte da einen kostbaren Schatz von 215 Gemälden der mitteleuropäischen Barockmalerei des 18. Jahrhunderts entgegennehmen. Prof. Dr. Konrad Arnold und seine Frau Dr. Herta hatten lebenslang gesammelt – ein wahrhaft unschätzbares Geschenk! Auch das Ehepaar Erwin und Renate Sainitzer aus Holla-brunn hat seine Sammlung dem Stift zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um 300 kleine Andachtsbilder, oft in Handarbeit, mit Spitzen und Handmalerei ausgeführt. Durch das Geschenk von Dr. med. Karl Irsigler von zwei Kremser-Schmidt-Madonnen (1718–1801) kann das Stift zusammen mit dem vorigen Schmidt-Bestand sogar stolz auf eine kleine Kremser-Schmidt-Sammlung verweisen.
Rund um das Stift Altenburg kommt auch die Natur nicht zu kurz. Auf den zehn Hektar Grund wurden – unter Einbeziehung des alten Baumbestandes – fünf Gärten angelegt. Der älteste besteht sicher seit dem Mittelalter, der sogenannte Apothekergarten. Dieser Heilpflanzengarten war in Ermangelung chemischer Mittel die Apotheke des Mittelalters. Auch der Kreuzganggarten in der Mitte des mittelalterlichen Kreuzganges, rund um den alten Brunnen, besteht schon, solange das Kloster existiert. Der Schöpfungsgarten, mit einem großen Nussbaum in der Mitte und einer Sitzbank darunter, spendet noch am heißesten Sommertag erfrischende Kühle. Der Garten der Stille ist der Übergang der gestalteten Anlagen zur gewachsenen Naturlandschaft, eine Zuflucht für Schmetterlinge, Insekten und sicher allerlei verstecktes Kleingetier. Der Garten der Religionen ist der größte und sozusagen der philosophische Garten. Um einen mittleren Brunnen gruppieren sich hier fünf Felder, symbolisch für die fünf großen Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus. Typische Bäume und Sträucher, kleine Steinskulpturen und Wasserläufe zeigen Gemeinsames und Trennendes und laden zum Meditieren ein.
Alles zu seiner Zeit
Der Lieblingsplatz von Abt Thomas ist, nach getaner Arbeit unter dem Nussbaum die Stille und Ruhe zu genießen. Bei der Fülle der Aufgaben ist das ohnedies nicht allzu oft der Fall, denn mit dem Erhalt der ausgedehnten Gebäudlichkeiten ist es ja nicht getan. Da gilt es auch noch die 700 Hektar Landwirtschaft – davon 400 Hektar von drei Mitarbeitern nach dem Prinzip des organisch-biologischen Landbaus – zu bearbeiten und mit insgesamt 50 Angestellten 2800 Hektar Wald nach Ökologie und Nachhaltigkeit zu bewirtschaften. Das Stift muss sich ja seine Lebensgrundlage selbst erwirtschaften.
Zu den wichtigen Aufgaben gehört seit dem Mittelalter die seelsorgerische Betreuung von sechs Stiftspfarren und vier Pfarreien der Diözese St. Pölten. Abt Thomas hat viele Jahre als Ka-plan, Pfarrer und Religionslehrer – von der Volksschule bis ins Gymnasium – gearbeitet und ist als solcher auch heute noch gern tätig. Die Mitarbeit in der Stiftung Opferschutz, um Betroffenen Gerechtigkeit zukommen zu lassen, ist ihm persönliches Anliegen. Auch Musik ist ihm lieb und wert, er hat Akkordeon gelernt und im Orchester gespielt. Dazu hat er vor wenigen Jahren in Altenburg eine Musikkapelle und einen Jugendchor ins Leben gerufen, und er unterstützt die Altenburger Sängerknaben unter ihrem Leiter Stiftsorganist und Kapellmeister Martin Wadsack; das Stift ist auch Musikerheim.
Wenn es zeitlich ausgeht, macht Abt Thomas gern eine Kulturreise, nach Schottland, nach Südafrika oder in sein Lieblingsland Frankreich. Am 13. Mai 1971 in Wien geboren und dort aufgewachsen, hat er schon als Vierjähriger ministriert und ist später anschließend in die französische Messe in der Innenstadt gegangen. Er liebt die französische Sprache. Mit Kärnten verbinden ihn familiäre Wurzeln, er hat aber eine starke Heimatverbundenheit zu ganz Österreich.
Das alles unter einen Hut zu bringen, ist ein wahres Kunststück, hat Abt Thomas aber nicht seine lebhafte, freundliche Ausgeglichenheit genommen. Unter solcher Leitung besteht die berechtigte Hoffnung, dass Stift Altenburg wie seit 880 Jahren seine christlichen, kulturellen und sozialen Aufgaben weiter wahrnehmen wird.