Hermannstadt – Verschiedene Themenstränge rund um die Arbeitsmigration zusammenzufügen, war Ziel der Hermannstädter Gespräche, die am Mittwoch, dem 2. April, zum Thema „Alles in Bewegung? Globale Arbeitsmigration im lokalen Kontext“ stattfanden: Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Wirtschaft, Kirche, Kultur und Politik waren eingeladen, um die Problematik aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten: Mal werde Arbeitsmigration als Bereicherung definiert, mal werde sie als problematisch oder als Bedrohung eingestuft – als Antwort auf Fachkräftemangel oder als Ursache für Integrationsprobleme, so ifa-Kulturmanagerin Christiane Böhm eingangs.
Kerstin Ursula Jahn, Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, sprach ein Grußwort: Kontrastierende Schlagworte seien ihr zum Thema in den Sinn gekommen: „Fachkräftemangel“, „Brain-Drain“, „Fluchtursachenbekämpfung“, „Streben nach besserem Lebensstandard“ stünden dem Leben in WGs und Sammelunterkünften im Aufnahmeland gegenüber, so Jahn. „Millionen Rumänen und Rumäninnen arbeiten und leben in Deutschland, in Italien, in Spanien und in anderen Ländern, die nicht ihre Heimatländer sind, hinterlassen Lücken in Rumänien, die dann versucht werden zu füllen mit Menschen aus Bangladesch, aus Nepal, Indien und aus anderen Ländern dieser Welt. Konsulin Jahn ermunterte zum Gespräch, indem sie die Frage stellte: „Zu wessen Wohl? Wer ist glücklich?“
Auf dem Podium diskutierten diesmal Laura Căpățână Juller (Filmemacherin und Journalistin, Kronstadt/Brașov), Roxana Dobrilă (Exekutivdirektorin Sobis Solutions und Rechtsanwältin in der Bukarester Anwaltskammer, Hermannstadt/Sibiu), Ruxandra Empen (Referentin für Arbeitsmarkt und Soziales an der Deutschen Botschaft Bukarest), Erika Klemm (Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Hermannstadt) und Dr. Thomas Pitters (Theologe und Diakoniewissenschaftler, Linz/Österreich). Durch den Abend führte Mihai Hașegan.
Den Auftakt der Diskussion bildete die Frage nach der Migration nach Rumänien: Denn in den letzten Jahren erfährt Rumänien verstärkten Zuzug aus Ländern in Asien: „Seit 2020 werden jährlich 100.000 Arbeitsvisa für Arbeitnehmer aus nichteuropäischen Ländern genehmigt“, so Mihai Hașegan. Im Stadtbild von Hermannstadt seien Menschen aus Nepal, Sri Lanka, Bangladesch oder Pakistan zu sehen. Für Roxana Dobrilă war klar, dass nur mit Hilfe dieser Zuwanderung bestimmte Wirtschaftssektoren aufrechterhalten werden konnten, das betreffe vor allem die Gastronomie, aber auch die Landwirtschaft. Der Prozess, diese Arbeitskräfte anzuwerben, ist kompliziert und dauert ungefähr zwei Jahre. Denn es seien viele Behörden involviert, so Dobril²: „Die Behörden aus Nepal, die Behörden aus Indien, die aus Bukarest und die Migrationsbehörde hier in Hermannstadt.“
Wie sieht Arbeitsmigration aus, wenn man sie aus der Perspektive der vielen zurückgelassenen Eurowaisen erzählt, die es auch in Rumänien zu Hunderttausenden gibt? Die Journalistin und Filmemacherin Laura Căpățână Juller hat fünf Jahre an dem Film „Aici…adică acolo“/ Hier…ich meine dort“ gearbeitet, um diese Perspektive zu zeigen. Der Film, 2012 in der Maramuresch gedreht, begleitet die beiden heranwachsenden Mädchen Ani und Sanda. Sie wachsen bei ihren Großeltern auf; denn die Eltern haben das Land verlassen, um in Spanien Geld zu verdienen. Die Familie plant, damit ein Haus zu bauen, in dem alle gemeinsam glücklich werden sollen. Aber die Kinder werden in Abwesenheit der Eltern erwachsen: Das Thema berühre viel mehr als nur ein paar Tränen, die bei einem Interview oder beim Abfassen einer Zeitungsreportage vergossen würden, sagte Căpățână Juller. Die Kluft zwischen den Generationen sei während ihrer Arbeit am Film sichtbar geworden.
Als Migrationsbeauftragte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien konnte Erika Klemm über ihre Arbeit berichten: Ihre Tätigkeit umfasst auch mit Präventivmaßnahmen, die verhindern sollen, dass Arbeitsmigranten ausgebeutet werden; unter anderem betreibt sie dazu Aufklärungsarbeit in Schulen. Es habe sie sehr getroffen, dass Rumänien europaweit die Nummer eins im Bereich Menschenhandel sei, so Klemm. So sei der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit zustande gekommen. Die normale Arbeitsmigration zwischen Deutschland und Rumänien verlaufe oft unproblematisch: „Die größte Schnittmenge zwischen Deutschland und Rumänien sind die rumänischen Arbeitsmigranten – und meistens geht es gut.“
Dr. Thomas Pitters berichtete aus seinem Erfahrungen als Mitarbeiter des Diakoniewerks in Österreich und als Gefängnisseelsorger. Wegen seiner Sprachkenntnisse hat er im Laufe seiner Berufslaufbahn viele rumänische Häftlinge betreut. Er habe die Erfahrung gemacht, dass es auch Kontexte gegeben habe, wo Arbeitsmigration nicht gelungen sei – damit seien oft sehr tragische Schicksale verbunden: „Ich habe erlebt, in welche menschenunwürdigen Zustände Menschen geraten, wenn sie nicht aufpassen.“ Seiner Erfahrung nach geschieht Migration nie aus freiem Willen: „Es ist immer eine Verlockung auf der einen Seite und ein Druck auf der anderen. Man befindet sich immer in gewissen Zwängen – natürlich ökonomischer, politischer oder wirtschaftspolitischer Art.“ Die Bedürfnisse nach Freundschaft, Anerkennung, Selbstverwirklichung und das Bedürfnis, Mensch zu sein, seien durch die Arbeitsmigration nicht befriedigt.
Im Jahr 2020 wurde zwischen Deutschland und Rumänien ein Abkommen zur Verbesserung der Bedingungen von Arbeitsmigrantinnen und -migranten geschlossen. Die beiden Arbeitsministerien arbeiten seitdem intensiver zusammen. Anlass waren damals Skandale in der Saisonarbeit und in der Fleischindustrie, wie in Schlachtbetrieben wie Tönnies oder Westfleisch in Deutschland. Ruxandra Empen, Referentin für Arbeitsmarkt und Soziales an der Deutschen Botschaft Bukarest, berichtete, dass seitdem versucht werde, sogenannte „mobile Beschäftigte“ sozial effektiver zu schützen, den Arbeitsschutz zu verbessern und eine zuverlässigere Informationsgrundlage für ihre Situation zu gewährleisten. Seitdem sind in der Fleischindustrie keine Subunternehmen und keine Leiharbeit mehr erlaubt. Auch in Rumänien hat sich etwas getan: Denn Menschen in Rumänien, die Arbeitskräfte ins Ausland vermitteln, müssen den rumänischen Arbeitsinspektionen bestimmte Informationen melden, damit transparent ist, wohin diese Arbeitssuchenden geschickt werden.
Die Diskussion zeigte: Arbeitsmigration bleibt ein komplexes Thema. Vielleicht sind mit Gesetzesänderungen die ersten Schritte in eine gute Richtung getan. Aber die Herausforderungen für Herkunftsländer wie Rumänien, deren Arbeitskräfte in großem Stil abwandern, bleiben vorerst bestehen.