Hermannstadt - Die 79 freundlich lächelnden Gesichter auf dem Plakat des „Wartburg Choir“ (Bundesstaat Iowa, USA) sind nicht jenes Grinsen unbedarfter Amateure, sondern bildlicher Ausdruck absoluter musikalischer Souveranität. Das Konzert am 26. April in der römisch-katholischen Stadtpfarrkirche am Großen Ring/Piaţa Mare in Hermannstadt lieferte der professionellen Werbekampagne eine entsprechende klangliche Aussage nach, ein Chorkonzert der Extraklasse. Seit genanntem Datum ist der „Wartburg Choir“, gebildet aus Studierenden des „Wartburg“-College, auf Europa-Tournee unterwegs, um in 14 verschiedenen Städten (u. a: Mediasch, Budapest, Venedig, Mailand, Stuttgart, Eisenach und Istanbul) 18 Konzerte zu geben.
Unter der Leitung von Dirigent Dr. Lee Nelson sangen Studierende aller Fachrichtungen des „Wartburg“-College ein ausdauerndes Programm mit Werken alter und neuer Meister. Dem Publikum mag es außergewöhnlich vorgekommen sein, aber für die Sängerinnen und Sänger des Chores war es offensichtlich nicht anstrengend, ausnahmslos auswendig zu singen, unabhängig vom hohen Schwierigkeitsgrad einzelner Stücke. „Raua needmine“ von Veljo Tormis (*1930), in originaler Sprache vorgetragen, schilderte in zeitgenössischer Tonsprache Auszüge aus dem finnischen Heldengedicht „Kalevala“ des 19. Jahrhunderts und stellte diesem gedankliche Einwürfe von Paul-Eerik Rummo (*1942) und Jaan Kaplinski (*1941) gegenüber. Eisen als Waffenbau-Rohstoff der Vergangenheit, Stahl, Titan und Atomenergie als Kriegsstrategien der Gegenwart. Ernüchternder zeitlicher Fortschritt in eine menschenfeindliche Richtung, vom „Wartburg Choir“ musikalisch und choreografisch mahnend zugleich vorgetragen. Trotz aller „kriegerischen“ Töne erweckte das Werk des Finnen Veljo Tormis doch auch die positive Aufmerksamkeit des Publikums.
Wunderschön war auch „O Salutaris Hostia“ von Eriks Ešenvalds (*1977), für zwei, man möchte sagen: himmlische Sopran-Soli mit Chor-Begleitung, unmittelbar nach „Raua needmine“. Der Innenraum der römisch-katholischen Stadtpfarrkirche setzte dem Klang einen Heiligenschein auf. Die Motetten eines Giovanni Gabrieli („Jubilate deo“) oder Heinrich Schütz („Ich bin die Auferstehung und das Leben“) zu Beginn des Konzertes nutzte der Chor nicht, um seine stimmliche Kraft zu beweisen, er besaß ohnehin mehr als genug davon. Auch in den extrem lauten Augenblicken war im großen Ensemble immer noch sehr gute Stimmführung vorhanden, von der jederzeit lupenreinen Intonation einmal abgesehen. Letzte Programmpunkte am Abend waren natürlich Spirituals, wie etwa „Elijah Rock“ von Moses Hogan, oder „Amazing grace“, das die Hermannstädter Evangelische Kirchengemeinde am Tag darauf im Gottesdienst noch einmal erleben durfte, ganz ohne gestellte Stimm-Maske.
Chorsänger und Chorsängerinnen versuchen meist, ihre eigene Stimme so gut beherrschen zu lernen wie Orchestermusiker und Orechestermusikerinnen ihr Instrument spielen gelernt haben. Hingegen hat der „Wartburg Choir“ der Hermannstädter Staatsphilharmonie und vielleicht auch dem ein oder anderen siebenbürgischen Berufsorchester eine musikalische Einsatzbereitschaft vorgelegt, die sich nachzuahmen lohnt, auch wenn sie nur von Nicht-Berufs-Sängerinnen und -Sängern gezeigt wurde.