Hermannstadt – Schürfen in Schließfächern menschlichen Bewusstseins an den Schnittstellen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist die neue Hauptnote auf dem Spielplan der Deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater Hermannstadt/Sibiu (TNRS), deren Kurs seit Jahresanfang 2019 von Hunor Horvath bestimmt wird. Keine zwei Monate nach der jüngst herausfordernden Premiere des französischen Kammerspiels „Der Gott des Gemetzels“ („Le Dieu du carnage“ in Originalsprache, „Zeul carnagiului“ auf Rumänisch) von Autorin Yasmina Reza am Samstag, dem 25. Januar, stehen die öffentliche Generalprobe und lokale Erstvorstellung des Zweipersonenstückes „Quartett“ von Heiner Müller (1929-1995) an, das 1982 am Schauspielhaus Bochum uraufgeführt worden war.
Die Synopsis beansprucht eineinhalb Stunden Spieldauer und lässt den fiktiven Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ (1782) von Schriftsteller und Offizier Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos (1741-1803) nicht allein zu gespielter, sondern auch greifbarer Wirklichkeit werden. Im „Salon vor der Französischen Revolution“, den Heiner Müller mit einem „Bunker nach dem Dritten Weltkrieg“ gleichsetzt, treffen die Marquise de Merteuil und ihr ehemaliger Geliebter Vicomte de Valmont aufeinander, um sich unter Abschirmung der Öffentlichkeit einem belastbarem Vergnügen hinzugeben. Sexualität gerät augenblicklich zu einem Machtmittel, Moral und Verstand weichen zerstörerischer Neugierde, und schließlich dringen beide Protagonisten auf der Suche nach bodenloser Leidenschaft in ein frei erfundenes Rollenspiel vor, das auf die jungfräuliche Nichte des einen und die gottesfürchtige Tante des anderen Partners zielt. Im „Quartett“ der Deutschen Abteilung am TNRS werden Körper und Geist einer Zerreißprobe nach Maß unterworfen. Hunor Horvath, der November 2019 während der zweiten Auflage der Jahrestagung der Diplomaten und Geschäftsleute im Rathaus Hermannstadt erklärt hatte, „den Minderheiten-Diskurs auf eine neue Stufe heben“ zu wollen (die ADZ berichtete), stellt es dem Publikum frei, zu urteilen, ob der apokalyptische Horizont einer existentiellen Enttäuschung oder doch eher grenzenloser Hoffnung förderlich ist. Wie steht es heute um Menschen einer Welt, die schon viele Niedergänge erlebt hat?
Emöke Boldizsár, Valentin Späth und Daniel Plier interpretieren drei Personenbilder der vielversprechenden Inszenierung. Schauspielerische Mitarbeit von außerhalb als Gast leistet Olga Török (Jahrgang 1985), Ensemblemitglied des Deutschen Staatstheaters Temeswar (DSTT). Für die Regieassistenz zeichnet Paula Breuer verantwortlich. Als Dramaturgin wirkt Genia Enzelberger mit, deren Handschrift auch die Hermannstädter Inszenierung des Repertoire-Stückes „Einige Nachrichten an das All“ von Autor Wolfram Lotz und Gastregisseur Josef Maria Krasanovsky (Premiere am 14. November 2019) begleitet. Die öffentliche Generalprobe des „Quartetts“ von Heiner Müller in Besetzung der Deutschen Abteilung am TNRS findet Donnerstag, am 12. März, statt, gefolgt von der Premiere am Freitag, dem 13. März. Beide Vorstellungen beginnen um 19 Uhr im Studiosaal auf der Gebäuderückseite des Ion-Besoiu-Kulturzentrums. Hunor Horvath führt Regie.