Hermannstadt – Ein vierzig Jahre alter orthodoxer Theologe aus Rumänien, der nebst seinem vor fünfzehn Jahren an der Universität Bukarest abgeschlossenen Studium auch Forschungsaufenthalte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Universität Regensburg im Curriculum führt und seit 2020 auch Habilitand der Universität Zürich ist, sollte als Dozent an der Universität der Hauptstadt Rumäniens nicht bloß als Assistenzlehrkraft eingestuft werden. Dr. Cosmin Pricop hätte allen Grund, sich offen über seine akademische Benachteiligung im heimatlichen Bukarest zu beschweren, tut es aber nicht. Stattdessen nimmt er jede sich bietende Einladung zu Konferenzen, Symposien und Gastvorträgen wahr, um frei sprechen zu können. So geschehen auch am frühen Donnerstagnachmittag, dem 24. März, im Kultur- und Begegnungszentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) in Hermannstadt. Der kleine Kreis des Ökumene-Gastsemesters an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS) dankte es dem fließend auf Deutsch referierenden Kleriker aus Bukarest mit lautloser Aufmerksamkeit und einer Reihe Fragen zu Ende seiner auch für Nicht-Theologen verständlichen Vorlesung „Einleitende Aspekte der orthodoxen Bibelauslegung“ Dort in der Ökumenischen Bibliothek des Hauses kommt man gut miteinander ins Gespräch.
„Es ist nicht einfach, als Rumäne ein Gleichgewicht zwischen den Polen Konstantinopel und Moskau zu finden“, räumte Dr. Cosmin Pricop gleich zu Beginn seines Gastvortrages ungefragt ein. „Sie ist schwierig, die Suche nach der eigenen Identität.“ Völlige Annahme des Westens sei genauso irreführend wie völlige Ablehnung. Einzig zielführend könne nur ehrliche Auseinandersetzung mit der Bibel und noch mehr ihrer Auslegung wirken. Wobei die Unterschiede zwischen dem heutigen Griechenland als ursprüngliche Stifterin der Orthodoxie und den Ländern des ehemaligen „Ostblocks“ in Europa zu beachten wären.
Obschon er im Auftrag einer Kirche steht, in der die Dogmatik als „die Königin aller theologischen Fächer“ gilt, betonte der orthodoxe Gastvortragende in Hermannstadt, dass „ein Mönch im Kloster die Bibel anders als ein Priester in der Innenstadt versteht“. Es gebe sie einfach nicht, die eine und nur eine orthodoxe Auslegung der Bibel. Orthodox dafür sei die Gewohnheit, „die Bibel zu lesen, um an dem ursprünglichen Leben teilzunehmen“. Und anders als zum Beispiel evangelische Pfarrer nähmen orthodoxe Priester sich für die Predigt nicht viel Vorbereitungszeit. Manchmal über-haupt gar keine. Doch Dr. Cosmin Pricop weigert sich, diesen Vergleich verallgemeinernd kritisch anzuführen. „Ich habe in Bukarest schrecklich predigende Priester und am Dorf nicht selten Geistliche gehört, die wirklich gut predigen.“
Gegen Ende seines Gastvortrages dafür kam er auf seine Tätigkeit als Assistent für das Neue Testament an der Fakultät für Orthodoxe Theologie der Universität Bukarest zu sprechen. „Meiner Meinung nach sind die Studierenden heute viel konservativer gestimmt als früher“, bedauerte Dr. Cosmin Pricop vor kleinem Publikum in Hermannstadt. „Als Theologe und Mensch kann ich nicht sagen, dass allein unsere Erfahrung zählt. Ich bin dagegen, zu behaupten, es gebe sie ´nur bei uns und anderen nicht!´“ Auch die orthodoxe Welt lebt bisweilen pluralistischer, als es ihren schwer erbitterten Klerikern recht sein mag.