Hermannstadt – Für Dr. Zdenko Sirka steht fest, dass Tradition der Ökumene nicht nur förderlich ist, sondern sie auch erschweren kann. Vor allem dann, wenn man sie als den „Raum zwischen dem, was war, und dem was ist“ mit dem Bild einer kollektiven Identität überfrachtet, dem Dritte sich ohne Gegenfragen einordnen müssen. Der junge Hermeneutiker und Dozent von der Karls-Universität Prag hielt Samstag, am 2. Juli, in der hellen Aula des Departements für Geschichte, Kulturerbe und Protestantische Theologie an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu (ULBS) mit seiner „provokanten“ Sichtweise nicht hinter dem Berg. „Wir dürfen nicht bei der Gruppenidentität stehen bleiben, sondern sollten sogar noch weiter gehen: Wir sollten die absolute Fragmentierung akzeptieren; die Gruppenidentität leugnen und akzeptieren, dass jeder Einzelne in seinem eigenen Kontext lebt, in dem seine theologischen und nicht-theologischen Faktoren zusammenspielen.“ Eine sehr mutige Stellungnahme aus dem Mund eines Theologen, der konfessionell, kulturell und sprachlich der Kirche einer Minderheit angehört – im Fall von Dr. Zdenko Sirka die Slowakisch-Evangelische Kirche A.B. in Serbien. Dem „Dies Academicus“ zu Ende des Studienjahres für Protestantische Theologie an der ULBS steuerte er nach einer vollen Stunde Vortragszeit ein visionäres Fazit bei: „Heutzutage sollte die Ökumene den Versuch aufgeben, Einheit zu erreichen. Vielfalt ist kein Feind der Einheit, sondern bietet einen Ausgangspunkt, von dem aus wir beginnen können, nach gemeinsamen Perspektiven zu suchen.“ Unmissverständlich ergänzend, dass immer und überall damit zu rechnen sei, dass „der andere Recht hat“ und man selbst „falsch liegen“ kann.
Prof. Dr. Jennifer Wasmuth, Lehrstuhl-Inhaberin an der Göttinger Georg-August-Universität und Expertin für das Dialogieren mit der Orthodoxie, konnte aus Krankheitsgründen leider nicht persönlich vor das Publikum des „Dies Academicus“ in Hermannstadt treten, schaltete sich aber online in den Vortrags- und Gesprächsvormittag ein. Unter den Zitaten, mit denen sie ihre Ausführungen markierte, fand sich auch eines vom orthodoxen Priester britischer Herkunft John Anthony McGuckin (Jahrgang 1952). „Wenn die Medien der Welt ihre Aufmerksamkeit heute auf die Kirche richten, beginnen sie damit, sich die christliche Welt gewöhnlich in einem von nur zwei Gewändern vorzustellen: dem römisch-katholischen oder dem protestantischen. Dies ist fast zur Standarddenkweise über das Christentum geworden.“ Der Ukraine-Krieg, so Prof. Dr. Wasmuth, habe das Interesse der westlichen Welt an der Orthodoxie deutlich angehoben und die bisher geduldete Vernachlässigung des Ostens aufgezeigt. Auch wenn der Krieg Russlands in der Ukraine durch nichts zu entschuldigen sei, wäre es wichtig, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sich um eine Wiederaufnahme des „aktuell nicht stattfindenden“ und „ganz offenen“ Dialogs mit dem Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche bemüht. Auf die Frage von Angelika Beer, Pfarrerin der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR), „wie wir mit Macht umgehen?“, wusste dagegen selbst Prof. Dr. Wasmuth aus Göttingen keine Antwort. „Ich bin selber auch ratlos“, räumte sie nicht nur als eine evangelische Theologin, sondern auch als studierte Philologin für Slawistik ein.
Die Moderation des abschließenden Podiumsgesprächs von leider etwas kurzer Dauer, aber mit optimistischem Zukunftsblick, bestritt Prof. Dr. Stefan Tobler, Professor für Systematische Theologie am gastgebenden Departement der ULBS. Edith Toth, Kantorin der EKR in Mediasch, führte zurecht ins Feld, dass „die Chöre unserer Landeskirche ohne Menschen anderer Kirchen nicht funktionieren könnten“. Von ihr wanderte das Mikrofon weiter zu Thomas Kraus, Mitglied der Hermannstädter Pfingstgemeinde und des Kreisrates (PNL-Fraktion), demzufolge „die Kraft in den Fragen und nicht im Reden steckt“. Dritter Gast des Podiumsgesprächs war Alexandru Ioni]˛, Priester der Orthodoxen Kirche Rumäniens (BOR), der die EKR trotzdem ermutigte, im Ergreifen ihrer ökumenischen Initiative „nicht nachzulassen“. Ganz im Sinne des Impulsvortrages von Pfarrer und Seelsorger Dr. Thomas Pitters aus Österreich, der in den Versen 19 bis 21 des Briefes von Paulus an die Epheser nicht das dogmatische, sondern das diakonische Element als Eckstein gedeutet hatte. „Es kommt, wie es kommen muss, und siehe, es war gut“, resümierte vor dem Mittagessen Gerhard Servatius-Depner aus Mediasch, Direktor des Zentrums für Evangelische Theologie Ost (ZETO) und Pfarrer der EKR in Mediasch.