Hermannstadt - Ein gutes Jahrzehnt schon forschen Wissenschaftler und Studenten aus dem niedersächsischen Hildesheim an den Stollentruhen aus der Kirchenburg in Henndorf/Brădeni. Die teilweise spektakulären Ergebnisse dieser intensiven Forschungsarbeit wurden im vergangenen Jahr im ersten Band der Hildesheimer Beiträge zur Erforschung und Erhaltung von Kulturgut veröffentlicht. „Der Henndorfer Truhenfund. Dokumentation und Datierung von 127 gefassten siebenbürgischen Truhen des 15. bis 18. Jahrhunderts“ beinhaltet die wesentlichen Aussagen der Master-Thesis von Mirja Harms (2009) und der Diplomarbeit von Franziska Franke (2006) sowie weitergehende Forschungsergebnisse von Franke und Peter Klein.
In ihrem Vorwort resümiert Herausgeberin Prof. Gerdi Maierbacher-Legl von der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim (HAWK) die Geschichte des von 2003 bis 2008 dauernden Forschungsprojektes. Deren prekären Zustand entdeckte Ende der 1990-er Jahre die ungarische Ethnologin Klára Csilléry und richtete einen Appell an das Germanische Nationalmuseum in Nürnburg. Nach einer ersten Exkursion unter Leitung von Prof. Konrad Gündisch, stellvertretender Direktor Geschichte am Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, nahm sich schließlich die HAWK der Truhen an.
Schnell sei klar geworden, dass es sich bei den 127 Truhen um einen in Europa einzigartigen Fund von archaischen Stollentruhen mit unverwechselbarer Eigenart handelte, schreibt Maierbacher-Legl. Differenzieren lassen sich zwei Bauarten, etwa 70 Truhen mit asymmetrischem Giebelquerschnitt und 30 mit symmetrischem, dazu komme die europaweit ebenso einmalige Tatsache, dass alle Truhen polychrome, professionell aufgetragene Malereireste aufwiesen. Dies sei insofern ungewöhnlich, als dass die Truhen aus bäuerlich-einfacher Herstellung stammen und nicht von städtischen Meistern.
Harms ordnet in ihrem Beitrag die Truhen historisch ein und untersucht Bau- und Gestaltungsformen. Ursprünglich hätten die zwei Wehrgeschossen der Henndorfer Wehrkirche rund 300 Truhen beherbergt, zitiert sie Augenzeugen. Eine große Zahl von Truhen verschwand zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den 1970-er Jahren und landete beispielsweise in ungarischen Museen oder dem Astra-Museum und dem Landeskirchlichen Museum im Teutsch-Haus – beide in Hermannstadt/Sibiu. Im Zuge des Projektes wurden auch solche „ausgelagerten“ Truhen erfasst und dokumentiert. Um die vor Ort verbliebenen Truhen für die Zukunft zu bewahren, wurden in den Hildesheimer Werkstätten wurde anhand zweier Truhen beispielhafte Restaurierungsverfahren entwickelt, die in Henndorf durchführbar sind.
Spektakulär ist nach Aussage der Herausgeberin die von Franke erreichte jahrgenaue Datierung von 60 Truhen aufgrund einer nach 10 Forschungsjahren erstellten Jahrringchronologie. Die älteste Truhe stammt demzufolge aus dem Jahr 1466, die jüngste datiert von 1799. Die Datierung ließ den Schluss zu, dass asymmetrische und symmetrische Truhen nicht gleichzeitig existierten, sondern das sich um 1600 ablösten – mit 20-jähriger Unterbrechung des Truhenbaus und ohne das Auftreten von Übergangsformen. Bevölkerungsrückgänge im Zuge von Türkenüberfällen sorgen ab 1645 für eine weitere Unterbrechung. Dargestellt wird im Band auch die Bemalung der Truhen: das Motivprogramm der älteren asymmetrischen Truhen ist geprägt von Tierdarstellungen in Medaillons, die symmetrisch Truhen weisen dagegen Blumen- und Rankenmotive auf. Eine gesicherte Erklärung für diese Unterschiede ist jedoch noch nicht gefunden.
Ergänzt werden die Ausführungen durch zahlreiche Fotos, Konstruktionsskizzen, einen Katalog ausgewählter Truhen mit Foto und Standort sowie einen Exkurs zur Konservierung solcher Truhen. Im Anhang findet der Leser ein umfangreiches Literaturverzeichnis nebst Angabe von noch unveröffentlichten Quellen aus den Forschungen der Hildesheimer.
Erschienen ist der 150 Seiten zählende Band (ISBN: 978-3935643542) im Münchener Siegl-Verlag. Er ist in deutschsprachigen Buchhandlungen für 133 Lei erhältlich.