Ungarische Volkslieder des Karpatenbeckens für rumänische Leser

Eine Buchvorstellung in Klausenburg bekennt Differenz-Sensibilität

Klausenburg – Für Dr. Ioan Haplea, Folklore-Professor an der Gheorghe-Dima-Musikadademie Klausenburg/Cluj-Napoca, geht Dienstagnachmittag, am 7. November, um 17 Uhr im Altbau unter Hausnummer 9 auf der zentralen Republicii-Straße, Ecke Avram-Iancu-Straße, endlich ein Traum in Erfüllung: der 1950 geborene Dozent volksmusikgeschichtlicher Vorlesungen, der im Hörsaal gerne weit ausschweifend über die Suche nach ruhigem Alltag in unsteter Welt spricht und Studenten genau dadurch zu begeistern vermag, hat im 1995 gegründeten Klausenburger Risoprint-Verlag die rumänische Übersetzung des Bands „Das ungarische Volkslied“ von Béla Bartók herausgegeben und stellt sie in der Mansarde des regionalen Stammlokals der Rumänischen Akademie öffentlich vor. „A magyar népdal“ lautet die Überschrift des Traktats in original ungarischer Sprache, das Bartók 1922/23 nach sehr ausdauernden Forschungen im Terrain geschrieben und 1924 veröffentlicht hatte. Bereits 1925 gelangte die deutsche Fassung auf den Markt, und seit 1980 ist das Handbuch, das den Schatz von bis zu 3000 ungarischen Volksliedern aus dem Karpatenbecken für die Nachwelt aufbereitet und in vorbildlicher Wissenschaftlichkeit erfasst, auch auf Englisch verfügbar.

Großsanktnikolaus/Nagy-szentmiklos/Sânnicolau Mare im Banat ist die Kleinstadt, in der Béla Bartók 1881 geboren wurde, und die damals zu Österreich-Ungarn zählte. Die Kindheit nach dem Tod seines Vaters 1888 verbrachte Bartók zunächst in Wynohradiw in der Theiß-Ebene, heute westukrainischer Oblast, und später in Bistritz, ehe er als Zwölfjähriger mit seiner Mutter und Schwester nach Bratislava/Pressburg und 1899 schließlich zum Studium nach Budapest übersiedelte. 

Die rumänische Staatsbürgerschaft hat Béla Bartók nie besessen. Mit George Enescu hingegen war er persönlich bekannt, und seine Liebe auch zur rumänischen Volksmusik ist bis heute legendär. Die Ausblendung nicht-magyarischer Kulturen, der er sich während der jungen Jahre seiner Karriere nicht verschlossen hatte, legte er bald endgültig ab und emi-grierte 1940 als dezidierter Kritiker des Nationalsozialismus und des Ungarn unter der Macht von Miklós Horthy in die USA, wo er wenige Tage vor Jahresende 1945 starb.

„Cântecul țărănesc maghiar“ hat Dr. Ioan Haplea als Überschrift für die rumänische Fassung des Volksmusik-Registers von Béla Bartók gewählt. In die rein philologische Übersetzungsarbeit eingeschaltet hat er sich jedoch nicht und sie stattdessen Zsófia Ambrus-Gyurka, Csala Orbán, Timea-Stefania Ördög, Tünde Paula Sur und Boglárka Sikó überlassen. Die redaktionelle Eigenheit jedoch, bei Angabe des Namens von Bartók auf dem Cover seinen Vornamen entsprechend ungarischer Gewohnheit an erst zweite Stelle zu setzen, geht sicher auch auf das Einverständnis und den Rat von Herausgeber Dr. Ioan Haplea zurück, der sich das Vortragspult der Buch-Präsentation im Klausenburger Hauptquartier der Rumänischen Akademie mit den Volksmusik-Forschern Theodor Constantiniu und Zoltán Gergely teilt. Sie kommt zwar recht spät, die rumänische Übersetzung des ungarischen Folklore-Traktats von Bartók, doch pünktlich im 100. Jahr nach Drucklegung des original magyarischen Standardwerks.