Hermannstadt – Die zweite Premiere, die die deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters in diesem Jahr feierte, war ausverkauft, die Ränge voll besetzt. Nach der theatralen Sommerpause kam mit „Union Place“ von Elise Wilk in der Regie von Cristian Ban ein Stück zur Aufführung, das zum einen um die Themen „Entwurzelung“, „Identität“ und „Zugehörigkeit“ kreist, zum anderen europäische Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitet. Auch der Titel des Stücks ist daran angelehnt: Er beruht auf der Idee, dass in jeder europäischen Stadt ein „Platz der Einheit“ existiert, an dem die Handlung spielen könnte.
Entstanden ist „Union Place“ 2022 auf Einladung des Schauspielhauses Salzburg, wo es vor zwei Jahren in der Regie von Alexandru Weinberger-Bara Premiere feierte. Die europäischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede arbeitet Elise Wilk anhand von Beziehungen heraus: Zwischen Mann und Frau, innerhalb der Familie, zum Land, in dem man geboren ist, zum Land, in dem man jetzt lebt. Auf Rumänisch, Deutsch und Englisch begibt sich Wilk auf die Suche nach dem, was Menschen trennt, und dem, was sie verbindet, diesseits und jenseits von Landesgrenzen.
Drei Geschichten und sieben Figuren nahmen die Zuschauer bei der Hermannstädter Premiere mit auf eine Reise zwischen den Welten. Ost- und Westeuropa begegneten sich anhand dreier Erzählebenen, dreier Orte – oszillierend zwischen Vergangenheit und Gegenwart: Sophie und Darius begegnen sich am Flughafen in Wien, ein kurzer Flirt, eine Affäre, ein Geheimnis, das im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg steht und das schnell zur Herausforderung für die junge Liebe wird.
Zweiter Schauplatz: Luxemburg. Der biedere Deutsche Walter und seine rumänische Frau Daniela, eine Sängerin, die aus Rumänien ausgewandert ist, und sich im Westen mühsam ein neues Leben aufgebaut hat, sitzen in einem Wohnzimmer. Sie warten auf Danielas Sohn Alex. Auch er trägt ein Geheimnis mit sich herum, das sich nur mit Geld auflösen lässt. Mit Mariana und Rudi wiederum reist das Publikum in die achtziger Jahre nach Hermannstadt/Sibiu. Auch dieses Paar hat eine schmerzhafte Geschichte hinter sich: Während Rudi sich zur Ausreise aus Rumänien entschließt, bleibt Mariana entgegen des ursprünglich gefassten Plans in Rumänien zurück. Gemeinsam blicken sie im Jetzt auf die Entscheidungen von damals und die von ihnen getrennt gewählten Leben.
Daniel Plier (Walter), Gyan Ros Zimmermann (Darius), Olga Török (Sophie), Viorel Ra]˛ (Rudi), Emöke Boldizsár, (Daniela), Serenela Mure{an (Mariana) und Patrick Imbrescu (Alex) laden ein zum Ringelreihen der Gefühle, beziehen fast unmerklich das Publikum mit ein, über Ansprachen, fast nebenbei, und ziehen so den Zuschauer direkt ins Bühnengeschehen hinein: Luxemburg – Hermannstadt – Wien, Luxemburg – Hermannstadt – Wien. Irgendwann laufen die Handlungsstränge ineinander, die Figuren und ihre Lebensgeschichten verbinden sich. Immer wieder lässt Elise Wilk auch die Zerrissenheit der Frauen in verschiedenen Kontexten und Zeitebenen aufblitzen.
Tragisch und komisch zugleich kommt das Stück daher: So sitzt man da, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Was braucht es heute anderes als solche Geschichten? Solche, die Brüche sichtbar werden lassen, die Empathie fördern, die wieder Annäherung zwischen Menschen schaffen. Die reparieren, ohne zu meckern, die heilen, ohne sich zu empören.
Beziehungen können nur wachsen und sich entwickeln, wenn die Vergangenheit bekannt, wenn sie verstanden und laut erzählt wurde. Menschen, die sich zwischen Ländern bewegen, deren Familiengeschichte in welcher Form auch immer in Ost und West wurzeln, werden sich in Elise Wilks Bühnen-Geschichten erkennen. Es sind Erinnerungsfetzen, die die eigene Biografie, vielleicht auch die der Eltern, die der Großeltern, herausmeißeln.
Theater bedeutet immer auch, sich selbst erkennen, das eigene Leben sich in der Vergangenheit spiegeln lassen – und das ist gelungen: Mal schmerzhaft – mal tragisch-komisch. Aber vor allem mit einem Hoffnungsschimmer: Eben echt Heute. Eben echt Europa. Und eben echt „Union Place“.