Hermannstadt – „Die Zeiten exklusiver Deutungshoheiten sind vorbei, die gibt es nicht mehr“, bestätigte Dominikanermönch Dr. Dietmar Schon (Jahrgang 1959) aus dem römisch-katholischen und bayerischen Regensburg am frühen Dienstagnachmittag, dem 22. März, in der Ökumenischen Bibliothek des Begegnungs- und Kulturzentrums „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) in Hermannstadt. Seit der 2016 beschlossenen Gründung des Ostkircheninstituts der Diözese Regensburg an der sechzig Jahre alten Universität derselben Stadt an der Donau steht er ihm als Direktor voran. Sein Gastvortrag für das nur kleine, aber sehr gespannt zuhörende Publikum des Ökumene-Semesters an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu (ULBS) schloss nach zwei intensiven Stunden mit einer Runde Fragen und Antworten. Auch für Laien war „Die Hinführung aus katholischer Perspektive“ von Referent Dr. Dietmar Schon auf das Dokument „For the Life of the World – Toward a Social Ethos of the Orthodox Church“ gut verständlich anzuhören.
Der offene statt zu einer ängstlichen Abkehr von der postmodernen Welt mahnende Text, um den es dabei ging, war 2020 noch vor dem Ausbruch der Pandemie von der griechisch-orthodoxen Erzdiözese in den USA vorgestellt worden. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel teilte ihn kurze Zeit später. „Für das Leben der Welt – In Richtung eines Sozialethos der Orthodoxen Kirche“ würde der Titel einer Übertragung in die deutsche Sprache lauten, wie sie das globale Netz nicht verfügbar hat. Dr. Dietmar Schon hingegen weiß sehr genau vom englischen Wortlaut Bescheid und erklärte ihn auf Deutsch in Hermannstadt.
Dr. Dietmar Schon ist nicht nur Mönch, Priester und Dozierender, sondern auch studierter Rechtswissenschaftler. Ihm ist der „rapide wachsende Anteil an Orthodoxen“ in Westeuropa bewusst – was ihn zur Prognose drängt, dass „für alle autokephalen Kirchen die relative Rolle der Diaspora immer größer werden wird“. Das von ihm besprochene Dokument „nimmt grundsätzlich Abschied vom Einfrieren und Verhindern-Wollen des Auftauens aus dem Stadium des Byzantinischen Reiches“ und „überschreitet nationale Grenzen, um Fragen überhaupt beantworten zu können“. Die international hin und wieder zu vernehmende Aufforderung, derzufolge „das Problem gelöst wäre, wenn die Katholiken byzantinisch werden würden“, sei hinfällig. Außerdem versichert Dominikanermönch und Regensburger Dr. Dietmar Schon, bereits bemerkt zu haben, dass „auch die, die ihn eigentlich nicht gut finden, den Weg des Ökumenischen Patriarchats gehen.“
Der Konflikt zwischen Moskau und Konstantinopel, aktuell durch den Krieg in der Ukraine verstärkt, macht die Sache dagegen nicht einfach. Das Dokument „For the Life of the World“ verwirft jegliche Form von Gewalt als unvereinbar mit dem Evangelium und ist so auch mit „der Lehre der russisch-orthodoxen Kirche vom gerechten Krieg“ nicht in Einklang zu bringen. Dr. Dietmar Schon aber führt an, dass es auch in der Katholischen Kirche eine starke Abneigung gegenüber der Möglichkeit gebe, Gläubigen eine Entscheidung zu überlassen. Wofür Papst Franziskus als Gegenbeispiel stünde. Auch auf das orthodoxe Rumänien ist Dr. Schon sehr gut zu sprechen: Erzbischof Andrei von Klausenburg/Cluj-Napoca habe ihn längst um eine akademische Zusammenarbeit mit dem Ostkircheninstitut Regensburg gebeten, und Brücken in das bulgarische Sofia wurden ebenfalls gebaut.
Prof. Dr. Stefan Tobler, protestantischer Theologe und Professor an der ULBS, berichtete dem Gastvortragenden nuancierend skeptisch, dass Erzbischof Andrei von Klausenburg unter Rumäniens hohen orthodoxen Klerikern eine Ausnahme sei. Ähnlich kritisch betonte Dr. Alexandru Ioniță, orthodoxer Priester im Raum Hermannstadt, dass die Verbreitung des Dokuments „For the Life of the World“ in den Reihen der Mehrheitskirche Rumäniens deutlich zu wünschen übrig lasse. Die Frage danach stellt sich gesellschaftlich, das weiß auch Dr. Dietmar Schon. „Es hängt von den Gläubigen ab, wie sie Fragen artikulieren, auf die sie von den Kirchen keine Antworten erhalten. Irgendwann kann die Kirche nicht mehr anders, als das ernst zu nehmen“, schloss der Gast aus Regensburg. Denn gemäß der Bibel „ist es nicht gut, wenn die Hirten ohne Herde und die Herde ohne Hirten bleibt“.