Griechenland bewegt sich keinen Zentimeter. Seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten werden Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ignoriert, die Klagen der türkischen Minderheit in Westthrakien (Nordostgriechenland) stattgegeben hatten. Dank der Kontrollmechanismen des Europarats geraten diese Vorgänge aber nicht in Vergessenheit. Anfang Dezember setzte sich das Ministerkomitee erneut mit zahlreichen offenen Vorgängen auseinander und bekräftigte, dass diese Urteile umgesetzt werden müssen. Im Juni 2025 will das Ministerkomitee erneut prüfen, ob es Fortschritte gegeben hat.
Bei dem die türkische Minderheit betreffenden Vorgang handelt es sich um einen Verstoß Griechenlands gegen die Vereinigungsfreiheit. In der Fallgruppe Bekir-Ousta geht es um Verbote und Auflösung von Vereinen in Westthrakien, die die Bezeichnung „türkisch“ im Namen trugen. Das Verbot wurde 1969 unter der griechischen Militärdiktatur verhängt, ist aber bis heute wirksam. 2005 traf es beispielsweise die 1927 gegründete und zuvor nie wegen ihres Namens beanstandete Türkische Union Xanthi, betroffen sind aber auch der Kulturverein türkischer Frauen der Präfektur Rodopi und der Jugendverband der türkischen Minderheit in der Präfektur Evros.
Die Minderheit klagte durch alle Instanzen griechischer Gerichte, unterlag aber ausnahmslos. Dann wandte sie sich an den Menschenrechtsgerichtshof und bekam Recht. Nur nutzte das nichts: Bis heute ist der Status der genannten Vereine nicht wieder hergestellt worden. „Wie wir den Urteilen des griechischen Kassationsgerichts entnehmen können, hat Griechenland nicht die Absicht, die Urteile in dieser Fallgruppe in irgendeiner Weise umzusetzen, und spielt ständig auf Zeit“, sagt dazu Halit Habip Oglu, der Präsident der Föderation der Westthrakien-Türken in Europa (ABTTF).
Griechenland hält an der überkommenen, aus dem Lausanner Vertrag von 1923 stammenden Definition der Minderheit als religiöser, nicht als ethnischer Gemeinschaft fest. Damit wird das Recht der türkischen Minderheit auf das Ausleben ihrer Identität verletzt, und zugleich werden andere Gruppen der muslimischen Minderheit wie Roma und Pomaken von der Anerkennung als eigene ethnische Gruppe ausgeschlossen. Bis heute ist das Wort „türkisch“ verboten.
Griechenland verletzt sämtliche Bestimmungen des Lausanner Vertrages zur Selbstverwaltung der türkischen Minderheit in Schule, Religion und sozialen Institutionen, ebenso das Recht auf den Gebrauch der Sprache. Es gibt keine zweisprachigen Kindergärten in Westthrakien, nur staatliche in griechischer Sprache. Ohne Besuch eines Kindergartens wird aber die Einschreibung der Kinder in die Grundschule verweigert.
Mit eigenen Gesetzen versucht die Regierung die religiösen Institutionen und die Ernennung der Prediger und Würdenträger der Muslime unter staatliche Kontrolle zu bringen. Wie in einem bilateralen Vertrag vorgesehen, wählen die Muslime seit jeher ihre religiösen Oberhäupter (Muftis) auf Ebene der früheren Provinzen selbst. Doch vor einigen Jahren begann der Staat neue Regeln zu erlassen und selbst Muftis zu ernennen – ohne die Muslime damit zu befassen. Die gewählten Muftis wurden mit Klagen überzogen und bis in die oberste Instanz mit Haft- und Geldstrafen belegt. Alle diese Urteile hob jedoch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof auf, ohne dass Griechenland darauf reagiert hätte.
Die muslimische Minderheit geht auf das einstige Osmanische Reich zurück. Sie besteht aus etwa 54.000 Türken, rund 35.000 Pomaken (eine Gemeinschaft, die eine südslawische, dem Bulgarischen nahe Sprache spricht), und circa 20.000 muslimischen Roma. Nach 1918 blieb dem Osmanischen Reich auf europäischem Gebiet nur ein Brückenkopf mit Edirne übrig. Die Türken in Westthrakien, die Griechen in Istanbul und auf zwei Inseln vor der türkischen Hauptstadt wurden von dem Bevölkerungsaustausch ausgenommen, der in den Lausanner Verträgen 1923 besiegelt wurde. In diesen Verträgen, die vor 101 Jahren unterzeichnet wurden, ist nur von einer muslimischen Minderheit die Rede.
Westthrakien ist eine von neun geografischen Regionen Griechenlands. Das Gebiet ist seit jeher wirtschaftlich schwach, es gehört zu den ärmsten und rückständigsten Griechenlands. 80 Prozent der Türken leben von der Landwirtschaft. 75 Prozent der Wirtschaft liegen in den Händen von Griechen.
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