Es war wie eine Mär aus uralten Zeiten:
„Da wird ein Haus gebaut.
Da wird ein Feld gebaut.
Da legt man Straßen.
Und da pflanzt man Bäume.
Da baut man einen Sozialismus.
Was baut man da?“
Dieses Märchen vom „Modernen Menschen“, dem Menschen also, der eine neue Welt erbaut und gleichzeitig auch sich neu erschafft, steht geschrieben als „Lobgesang“ von Anemone Latzina im Kindheitsbuch „Der Wunschring“, herausgegeben von Heidi Hauser im Kriterion Verlag, Bukarest. Mit einer Gesamtauflage von 115.000 Exemplaren war jene künstlerisch bebilderte Anthologie auch eine Vorbereitung auf das Unausweichliche: ein Leben, das ohne Parteibuch quasi keines ist.
Kein Märchen, sondern eher Ironie der Geschichte ist, dass die verdiente Lyrikerin und Übersetzerin Anemone Latzina auch Gedichte verfasst hat, die ihr als Gegenteil eines Lobgesangs auf die Kommunistische Partei ausgelegt worden sind, obwohl gar nicht veröffentlicht, auch nicht bei einem Verlag eingereicht, sondern im Freundeskreis vorgetragen – auf Deutsch. Der inoffizielle Mitarbeiter der Securitate „Walter“ verwechselte seine kommunistische Gesinnung mit Parteiloyalität und denunzierte jene Germanistin in Klausenburg/Cluj-Napoca - und nicht nur sie. Er durfte im kommunistischen Rumänien publizieren – auf Deutsch. Den Preis seines Parteibuches beglichen andere. Wer seine Gedichte – zuletzt in der Anthologie „Schartige Lieder“ erschienen – liest, erkennt leicht, dass Deutsch seine wahre Heimat war, und nicht die Partei.
Doch „jeder schreibt für sich alleine“ konstatierte Anatol Regniér in Anlehnung an Hans Falladas Roman über das Schriftstellerleben im Deutschland der Nationalsozialistischen Partei. Sich anstecken lassen vom (damaligen) Elend der Welt war für Autoren in der Ein-Parteien-Diktatur mehrfach schwer: verkappte Kritik in den Texten unterbringen, Lobgesänge verfassen, für „danach“ schreiben? Der Begriff der „inneren Migration“ machte später die Runde; ein Begriff, den jeder auf seine persönliche Weise begriff. Anemone Latzina legte jene innere Migration und „Parteitreue“ anders aus als Werner Söllner. Das Parteibuch besaßen viele, in manchen Berufen war es sogar Voraussetzung. Raunte man zudem unter vorgehaltener Hand „er hat ein Parteibuch!“, so war Vorsicht geboten in dem, was man in dessen Anwesenheit sagte. Wer sein Parteibuch politisch aktiv nutzte, der wurde sowohl gemieden, als auch wurde dessen Gunst gesucht, um Mangelware „zu organisieren“, zu der Parteiaktivisten leichter Zugang hatten als passive Parteigänger.
Auch nach der Dezemberrevolution blieben deutschsprachige Bücher geschätzt und das Parteibuch verpönt. Die Deutschen in Rumänien organisierten ihr Gesellschaftsleben wieder in Vereinen. Um ihre Rechte als ethnische Minderheit wahrnehmen zu können, mussten sie ihren Dachverband auch als Partei registrieren – leider, wie es damals hieß. Auch die Ausgewanderten schätzten in der neuen deutschen Heimat eher Fachbücher. Wer ein Parteibuch besaß, wurde befremdlich beäugt: „Musste das denn wirklich sein?“ Es klang, als ob der Fachkompetenz mit dem Parteibuch nachgeholfen werden musste, um beruflich erfolgreich zu sein.
In Rumänien, wie auch in Deutschland, sind nationalistische Populisten auf dem Vormarsch. Sie alle trumpfen mit ihrem Parteibuch auf und sprechen arrogant von einem „Wir“, häufig mit alternativen Fakten bar jeder Vernunft. Ein promovierter Volkswirt der rechten AfD-Partei befürwortet allen Ernstes den Austritt Deutschlands aus der EU, ohne sich der enormen ökonomischen Nachteile für sein Land wirklich bewusst zu sein. In Rumänien punkten prorussische Nationalisten zum Nachteil der eigenen Sicherheit. Will man wieder solchen Individuen die Geschicke des Landes überlassen?
Das Parteibuch als ein Überrest vergangener Wirklichkeit ist längst einer Parteimitgliedskarte gewichen – z.T. mit Barcode zur automatisierten Auszählung von Abstimmungen. Aktive Politik ist nicht jedermanns Sache, klar, jedoch heutzutage von wesentlicher Natur für uns alle. Die politischen Frontleute sind - kommunal oder überregional - aktiv im Sinne der Gemeinschaft und verdienen unsere Aufmerksamkeit sowie im Erfolgsfalle unsere Wertschätzung. Politiker sind in unserer Bewertung nicht entweder durch makelloses Weiß oder lückenloses Schwarz zu kennzeichnen, so wie wir alle selbst nicht ohne Makel sind. Erhält jemand mal nicht das ausreichende Quorum oder tritt jemand nach Jahrzehnten von der politischen Bühne ab, so ist er nach wie vor einer von uns – egal welches Parteibuch der demokratischen Mitte er auch hat.