Das Geschäft mit der Suche und dem Wunsch nach einem langen Leben

Wissenschaft, Kommerz und Regulierung in der Langlebigkeitsbranche

In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Start-ups die Erforschung der Langlebigkeit des Menschen zur Aufgabe gemacht. Foto: Louis Reed, www.unsplash.com

Viele Menschen wünschen sich ein möglichst langes und lebenswürdiges Leben. Foto: Ignat Kushnarev, www.unsplash.com

Auch die Nahrungsergänzungsindustrie verspricht sich ein gutes Geschäft mit dem Streben nach einem möglichst langen Leben. Foto: Natali Hordiuk, www.unsplash.com

Die Hoffnung auf ein längeres, gesünderes Leben hat in den vergangenen Jahren eine regelrechte Industrie hervorgebracht: Start-ups, Pharmaunternehmen, prominente Forscher und milliardenschwere Investitionen treffen auf unscharfe Regulierung, kontroverse Wissenschaft und eine wachsende Verbraucher- und Mediennachfrage. Was als akademische Neugier begann – die Suche nach molekularen Schaltern, die Alterungsprozesse beeinflussen –, ist längst ein kommerzielles Projekt mit enormen ökonomischen Interessen geworden. Doch die wissenschaftliche Basis bleibt zum Teil umstritten, und die Grenze zwischen seriöser Forschung und Marketing ist oft schwer zu ziehen.

Branchendaten und Jahresberichte zeigen einen rasanten Kapitalzufluss: Nach einem schwächeren Jahr 2023 erholte sich die Finanzierung 2024 deutlich; die Langlebigkeitsbranche verzeichnete Milliarden an Neuinvestitionen in biotechnologische Start-ups und Produktfirmen, begleitet von einigen großvolumigen Finanzierungsrunden. Dieser Finanzstrom befeuert Forschung, klinische Studien und eine Fülle von Produkten – von Nahrungsergänzungsmitteln bis zu investorengetriebenen Therapiekandidaten. Die ökonomische Aussicht hat die Debatte über Prioritäten in Forschung und Regulierung verschärft.

Theorie gegen Evidenz

Im Zentrum vieler Auseinandersetzungen stehen molekulare Hypothesen wie die Rolle der Sirtuine (eine Genfamilie) und des Moleküls NAD (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid). Befürworter argumentieren, dass das Aktivieren bestimmter Signalwege oder das Wiederherstellen jugendlicher NAD-Spiegel Zellen widerstandsfähiger machen und altersassoziierte Schäden verringern könne. Kritiker – darunter aktive Forscher und ehemalige Mitarbeitende prominenter Labore – halten die Datenlage für unzureichend: Tiermodelle liefern Hinweise, doch Übertragbarkeit auf Menschen, Wirkdauer, Dosis-Wirkungs-Beziehungen und mögliche Nebenwirkungen sind noch weitgehend offen. Die Folge ist ein pluralistisches Feld, in dem unterschiedliche „Lieblingstheorien“ (z. B. Sirtuine, Rapamycin-Wirkungen, Zell-Reprogrammierung) um Aufmerksamkeit, Fördermittel und Marktanteile konkurrieren.

Supplements und klinische Evidenz

Ein besonders sichtbares Spannungsfeld entsteht, wenn akademische Erkenntnisse als Nahrungsergänzungsmittel an Verbraucher verkauft werden. Firmen, die NAD-Vorstufen (z.B. NR, NMN) anbieten, verweisen auf Kurzzeitstudien, die biomarkerbasierte Effekte zeigen – etwa erhöhte Blutwerte von NAD nach Einnahme. Doch solche Studien sind oft klein, zeitlich begrenzt und messen Surrogatmarker, keine harten klinischen Endpunkte wie Lebenszeit oder funktionserhaltende Gesundheit im Alter. Langfristige, randomisierte Studien mit relevanten Endpunkten fehlen größtenteils; folglich bleibt offen, ob die regelmäßige Einnahme über Jahre tatsächlich Risiko und Verlauf altersbedingter Erkrankungen verändert – und ob sie sicher ist. Verbraucher sehen sich deshalb einem Informationsgefälle gegenüber: wissenschaftliche Nuancen gegen aggressive Produktkommunikation.

Wann ist etwas ein Medikament?

Die juristische Einordnung von Substanzen ist ein Kernproblem: In vielen Rechtsräumen werden Stoffe, die als Arzneimittel geprüft werden, vom freien Verkauf als Supplement ausgeschlossen. Ein besonders aufgeladenes Beispiel ist Nicotinamid-Mononukleotid (NMN). Während Unternehmen klinische Entwicklungsprogramme förmlich als Arzneimittel verfolgen, haben andere Hersteller NMN als Nahrungsergänzung auf den Markt gebracht. Regulatorische Entscheidungen und Rechtsstreitigkeiten – einschließlich Petitionen und Klagen von Branchenverbänden – bestimmen, welche Produkte legal verkauft werden dürfen. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass Behörden ihre Positionen über die Zeit ändern können; das schafft Unsicherheit für Hersteller und Käufer und beeinflusst Geschäftsmodelle und Investitionsentscheidungen.

Wissenschaftler, Gründer und Investoren

Dass einige Forscher beides sind – Wissenschaftler und Unternehmer –, verschärft Wahrnehmungskonflikte. Wenn führende Akademiker Start-ups gründen oder als Berater für Firmen agieren, entstehen Synergien, aber auch Interessenkonflikte. Auf der einen Seite ermöglichen solche Brücken den schnellen Transfer von Befunden in klinische Studien; auf der anderen Seite befeuern sie die Vermarktung von Produkten, bevor abschließende Beweise vorliegen. Die Diskussion um Reputation, Peer-Review und Transparenz gewinnt deshalb an Gewicht: Offenlegung von finanziellen Verbindungen, Replikation von Studien und strenge Zulassungsverfahren werden zu Schlüsselelementen für Vertrauen in Forschungsergebnisse. Was robuste Forschung bräuchte, um die Spreu vom Weizen zu trennen, sind drei zentrale Elemente: große, unabhängige, randomisierte Langzeitstudien mit klinisch relevanten Endpunkten; reproduzierbare mechanistische Studien, die Wirkmechanismen in humanrelevanten Systemen erklären; und transparente Finanzierung sowie Datenverfügbarkeit, damit Ergebnisse unabhängig validiert werden können. Solche Studien sind teuer und zeitaufwendig – deshalb stehen sie oft im Wettbewerb mit kurzfristigeren, marktgetriebenen Projekten. Eine stärkere Koordination zwischen staatlichen Fördergebern, unabhängigen Forschungseinrichtungen und verantwortungsvoll agierenden Unternehmen könnte die Qualität der Evidenz erhöhen.

Das Feld der Langlebigkeitsforschung hat in den letzten Jahren auch zunehmend Großinvestoren, Tech-Größen und spezialisierte Risikokapitalfonds angezogen. Viele dieser Akteure sind schon länger im Hintergrund aktiv – andere haben mit spektakulären Finanzierungsrunden Aufmerksamkeit erregt. Amazon-Gründer und Milliardär Jeff Bezos investierte in Altos Labs, eines der am höchsten kapitalisierten Start-ups im Langlebigkeitsbereich. Der Fokus liegt hier stark auf Zellreprogrammierung und dem Versuch, biologische Alterungsprozesse zumindest teilweise rückgängig zu machen.

Auch der OpenAI-Gründer und Tech-Investor Sam Altman war maßgeblich an der Finanzierung von Retro Biosciences beteiligt, einem Biotech-Unternehmen, das unter anderem an Wegen forscht, menschliche Zellen zu verjüngen. Altman setzt damit auf Visionen, die über kurzfristige Gewinne hinausgehen.

Mit Sitz in Deutschland, aber global operierend, ist Kizoo einer der Vorreiter in Europa im Bereich Langlebigkeitsbiotechnologie. Kizoo hat beträchtliche Summen (über 300 Mio. Euro) in Start-ups investiert, die an Zellregeneration, Rejuvenation (Verjüngung), Mitochondrienfunktion etc. arbeiten. Beispiele sind Firmen wie Cellvie, Elastrin, Lift Bio Sciences oder AgeX Therapeutics.

Ein weiterer Fonds mit Sitz in London/New York ist Juvenescence, mit einem Volumen von rund 200 Millionen US-Dollar. Die Gründer haben bereits früh in Firmen investiert, die Therapien und Technologien rund ums Altern erforschen.
Der Investor BioAge Ventures – ein in San Francisco ansässiger Fonds – investiert gezielt in therapeutische Altersstrategien und Diagnostik mit einem Fokus auf Biologie des Alterns. Bio Age hat unter anderem in Firmen mit senolytischen Wirkstoffen investiert, die alternde Zellen entfernen, oder in Plattformen zur Entdeckung von Wirkstoffen, die altersbedingte Prozesse adressieren.

Auch der deutsche Pharmakonzern Bayer investiert über das Projekt „LEAPS“ jährlich Milliardenbeträge in Biotech-Projekte – auch im Bereich Altern und damit zusammenhängender Krankheiten. Die Strategie: langfristige Partnerschaften und die Überbrückung von frühem Risikokapital bis zu späteren Entwicklungsphasen.

Ethik, Erwartungen und Marktlogik

Neben Wissenschaft und Regulierung hat das Thema ethische und soziale Dimensionen. Zugangsgerechtigkeit: Wer profitiert von teuren Therapien? Risiko-Nutzen-Kommunikation: Wie werden Erwartungen in der Öffentlichkeit gesteuert? Und Substitution von Prävention durch „Wundermittel“. Wenn Langlebigkeitsprodukte hohe Preise erzielen, ohne gesicherte Langzeitdaten, entstehen Marktmechanismen, die mehr belohnen als prüfen. Journalistisch und regulatorisch sind deshalb kritische Überprüfung, klarere Standards für Werbeaussagen und Aufklärung der Verbraucher von hoher Bedeutung.

Zwischen Hoffnung und Vorsicht

Die Langlebigkeitsbranche steht an einem Scheideweg: großes wissenschaftliches Potenzial trifft auf wirtschaftliche Dynamik und regulatorische Unwägbarkeiten. Forscher, Investoren und Regulierer müssen verlässlichere Beweise liefern und gleichzeitig die Erwartungen der Öffentlichkeit verantwortungsvoll managen. Für Konsumenten gilt: skeptisch prüfen, transparente Evidenz einfordern und Produkte kritisch hinterfragen. Die Aussicht auf ein längeres Leben ist verlockend – doch seriöser Fortschritt braucht Zeit, rigorose Methoden und transparente Kommunikation.