Deportationsgedenken als Mahnung zur Wachsamkeit

Zentrale Gedenkveranstaltung 80 Jahre seit Beginn der Russlanddeportation in Reschitza

Kranzniederlegung am Denkmal der Opfer der Russlandverschleppung (v.r.n.l.): Dr. Klaus Fabritius, Christian Töpfer, B. J. Gaida, P. J. Porr, B. Józsa, Konsolin Regina Lochner, Botschafterin Ulla Krauss-Nussbaumer, DFBB-Vizepräsident Dr. C. P. Chioncel und Elfrieda Chwoika, eine der vier noch in Reschitza lebenden Russlandgeborenen Fotos: Werner Kremm

Beim von Prof. Dr. Hans Stendl, ein Sohn Russlanddeportierter, geschaffenen Denkmal in der Stadtmitte von Reschitza fand eineGedenkandacht statt, die von Geistlichen der griechisch-katholischen, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche A.B. gestaltet und von E.J. Țigla moderiert wurde.

Beim von Prof. Dr. Hans Stendl, ein Sohn Russlanddeportierter, geschaffenen Denkmal in der Stadtmitte von Reschitza fand eineGedenkandacht statt, die von Geistlichen der griechisch-katholischen, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche A.B. gestaltet und von E.J. }igla moderiert wurde.

Prof.Dr. Rudolf Gräf warnte vor der Gefahr, dass Diktatorenvorhaben zielbewusst umgesetzt werden, so rechts- und menschenverachtend sie auch seien.

Gedenkrede von DFDR-Vorsitzendem Dr. Paul-Jürgen Porr

In Reschitza war am vergangenen Samstag der Vorstand des Landesforums des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) fast vollzählig versammelt. Er beteiligte sich an der Zentralen Gedenkveranstaltung über den Beginn der Verschleppung von über 70.000 Rumäniendeutschen im Januar 1945 zur „Wiederaufbauarbeit“ (im zeitgenössischen Sprech auch: „Reparationsarbeit“) in die Sowjetunion, hauptsächlich in die Kohlen- und Erzgruben des Donbass und in die Erzgruben und metallverarbeitenden Werke östlich des Ural-Gebirges, aufgrund einer von Stalin dekretierten und von dessen westlichen Alliierten – allen voran Churchill – wohlwollend akzeptierten „Kollektivschuld“.

Der Landesvorstand, an der Spitze mit Dr. Paul-Jürgen Porr, und der Hauptorganisator der Zentralen Gedenkveranstaltung von Reschitza, Erwin Josef Țigla (in seiner Eigenschaft als langjähriger Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen – DFBB) hatten als Gäste die Botschafterin der Republik Österreich in Rumänien, Ulla Krauss-Nussbaumer, die Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Temeswar, Regina Lochner und den Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten im Rahmen der Föderalistischen Union Europäischer Minderheiten (FUEN), Bernard Jozef Gaida, der bis 2022 den Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen geleitet hatte. Per Video zugeschaltet hatte sich der Botschafter Deutschlands in Bukarest, Dr. Peer Gebauer. Die Gedenkrede hielt der Historiker Prof. Dr. Rudolf Gräf, ein geborener Reschitzaer, dessen Familie von der Russlandverschleppung prägend betroffen war.

Zentrale Gedenkveranstaltungen an die im Sprachgebrauch der Rumäniendeutschen als „Russlandverschleppung“ eingebürgerte Deportation zur Wiederaufbauarbeit in die damalige Sowjetunion gibt es seit 1995. Den Anfang machte Kronstadt/Bra{ov vom 12. bis 14. Januar 1995, anlässlich der 50. Wiederkehr des Verschleppungsbeginns. Fünf Jahre später gedachte man zentral in Temeswar dieses „Urtraumas“, der „Urkatastrophe“ (beide Begriffe benutzte treffend die Konsulin Deutschlands in Temeswar, Regina Lochner), es folgten Reschitza (2005), Sathmar (2010), Bukarest (2015 – aus der Hauptstadt waren die ersten Transporte bereits am 10. Januar 1945 losgeschickt worden, fünf Tage früher als im restlichen Rumänien), aber im selben Jahr auch Temeswar (auch, da sich hier der Zentrale Sitz des von Ignaz Bernhard Fischer gegründeten und geleiteten Vereins der Ehemaligen Russlanddeportierten befindet, der viel für das allgemeine öffentliche Bewusstmachen der Deportation und ihrer Folgen, aber auch für Wiedergutmachungsinitiativen des rumänischen Staates gegenüber den Überlebenden der Verschleppung getan hat, und Hermannstadt/Sibiu (Sitz des DFDR), nicht zuletzt die jüngsten beiden Gedenkveranstaltungen, die in Reschitza 2021 und nun 2025 stattfanden.

Allgemeiner Tenor der Stellungnahmen im Rahmen der Reschitzaer Gedenkveranstaltung war das „NIE WIEDER“. Der Wunsch und Ächtungsfluch, dass sich erstens Kriege („gerechte Kriege“ gibt es nicht!), zweitens Willkür und Verachtung des Menschen dem Menschen gegenüber, primitive Rache, Erniedrigungshandlungen von „Siegern“ gegenüber „Besiegten“ („Der Sieger hat immer recht!“), wer immer die einen oder anderen auch sind, für immer aus dem Denken und Handeln der Menschen ausgeschlossen werden müssen, klang direkt oder auch mal indirekt aus allen Ansprachen durch.

Festredner Rudolf Gräf setzte noch eine Warnung und einen ermahnenden Aufruf drauf, die gerade in diesen Tagen und Wochen akute Aktualität haben, wo der Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine im ehemaligen Verschleppungsgebiet der Rumäniendeutschen besonders folgenreiche Wendungen anzunehmen droht, wo ein demokratisch gewählter Ultrarechter und Wirtschafts-Nationalist ganze Bevölkerungsgruppen eines ihm fremden Landes zum Übersiedeln zwingen will und wo ebenfalls aus Übersee seit Tagen menschheitsbedrohende „Ideen“ einer imperialistisch gesinnten Milliardärsclique am Fliessband wie Bluthunde auf die ganze Welt losgelassen werden. Gräf sprach und warnte eindringlich davor, Aussagen von Diktatoren auf die leichte Schulter zu nehmen, Ansagen, die in den Ohren humanistischer Intellektueller einfach als abstrus abgetan werden (man denke z.B. dran, dass Putin keinen Hehl aus seinen Absichten bezüglich der Krim gemacht hat, aber man denke auch an jüngste Aussagen Trumps bezüglich Kanada, Grönland, Panama oder den Gaza-Streifen…). Die akute Gefahr solcher Aus- und Ansagen von Diktatoren (das galt genauso für sämtliche Diktatoren des 20. Jh.) liegt darin, dass sie Realität werden. Deswegen möge jeder Einzelne, so wenig Kraft und Macht er sich in seiner ungerechtfertigten Bescheidenheit zumutet, entschlossen dagegen Stellung nehmen, so der besorgte Aufruf Gräfs.

Die Prägungen der Russlandverschleppung 1945-1949 des „Selbst-Verständnisses“ und die „Befindlichkeiten“ der deutschen Volksgruppe wirken über Generationen fort. Das bewiesen die Herausgeber des Sammelbands von Erzählberichten der Kinder Russlanddeportierter, der inzwischen in mehreren Auflagen deutsch und rumänisch vorliegt. Jozef Gaida, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten e.V. betonte zurecht, dass die Geschehnisse rund um Flucht, Vertreibung und Verschleppung im Bewusstsein der Politiker in Deutschland und Österreich immer noch beschränkt sind auf ein paar „auserwählte“ Gruppen Auslandsdeutscher (etwa Danzig, Königsberg, Schlesien, Pommern, um nur einige zu nennen), dass aber sämtliche Splittergruppen europäischer Deutscher – Gaida nannte die Zahl 18 – vergleichbare Kalvarienwege zu gehen hatten. Dass alle dasselbe Leid, dieselben Tragödien erlebten, dieselben Opfer zu beklagen hatten.

Ein weiterer Tenor der Ansprachen war die Tatsache, dass es heute kaum noch Überlebende der Erlebnisgeneration, ja sogar kaum noch Überlebende der Gruppe der während der Verschleppung in Russland Geborenen gibt. Im Banater Bergland lebt kein Russlandeportierter mehr, aber auch nur noch sieben in Russland zur Welt Gekommene, davon vier in Reschitza. Inzwischen ging das (Ur-)Trauma der Deportation aber bereits auf die Enkel, die dritte Generation über… Das Ur-Trauma droht, ein Jahrhunderttrauma zu werden.

Österreichs Botschafterin Ulla Krauss-Nussbaumer wies noch auf einen nicht zu übersehenden Aspekt solcher in Rumänien inzwischen zur Regel gewordenen Gedenkveranstaltungen hin: „Dass wir heute dieser Ereignisse gemeinsam gedenken können, ist auch im Mitteleuropa dieser Tage nicht selbstverständlich. Wir verdanken diese Möglichkeit nicht zuletzt der traditionell offenen und liberalen Politik Rumäniens gegenüber seinen historischen ethnischen Minderheiten. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag dafür, dass Europa sein wichtigstes Motto weiterhin überzeugend leben kann: die Einheit in der Vielfalt. Ein diesem Motto, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtetes Europa ist der beste Garant dafür, dass wir auch die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft bewältigen können.“