„Die Krankheit ist das Beste, was mir je passiert ist“

„Woman Scars“ – Frauen zeigen Narben, die ihr Leben verändert haben

„Woman Scars“ ist Eliza Zdrus (im Bild) erstes fotografisches Projekt. Es wurde in einigen Räumlichkeiten in Bukarest gezeigt und soll in Zukunft in einem onkologischen Krankenhaus präsentiert werden.

Karin Ungureanu: „Zuerst hat diese Narbe irgendwie den Sieg des Lebens über einen möglichen frühzeitigen Tod markiert. Nun markiert sie ein Leben, das erschienen ist und mich wieder völlig verändert hat. Es ist eine Narbe, die ich sehr gern habe.“

„Mama, wird deine Narbe am Hals je verschwinden?” Auf die Frage ihres kleinen Sohnes, konnte Filmemacherin und Fotografin Eliza Zdru nur „Nein” sagen. Die Narbe wird sie für immer an die Operation erinnern, bei der ein Schilddrüsentumor entfernt wurde. Als sie die Diagnose erfuhr, kam große Angst vor dem Ungewissen auf. Sie dachte an ihre beiden Kinder, an die 39 Jahre, die sie bis dahin gelebt hatte. In der Zeit, in der sie krank war, hat Eliza Zdru Empathie und Halt vermisst, Wut gespürt, Einsamkeit erlebt. Sie fühlte den Bedarf, mit Frauen, die Ähnliches erlebt hatten, über das zu sprechen, was sie durchmacht. 

Einige Jahre später rief sie das Projekt „Woman Scars” (Frauen-Narben) ins Leben, das Bilder und Audio-Interviews von Frauen vereint, die schwere Krankheiten, Unfälle oder Misshandlungen erlitten haben und deswegen Narben auf ihrem Körper tragen. Über 30 Protagonistinnen haben Eliza über ihr Leid erzählt, aber auch über die Kraft, die sie vorantreibt. Eine Ausstellung, die bereits in mehreren Räumlichkeiten in Bukarest zu sehen war, fasst ihre kraftvollen Geschichten zusammen und zeigt, was diese Narben bewirkt haben.

Radikale Änderung

Bis zur Diagnose „hatte ich ein Leben wie im Nebel geführt, ich gehörte mir nicht, war mir nicht wichtig. Die Diagnose hat mein Leben grundlegend verändert!”, erklärt Eliza Zdru. „Die Krankheit hat mich gelehrt, auf mich selbst zu achten und mit mir selbst in Verbindung zu bleiben. Ich habe Änderungen in meinem Leben vorgenommen, toxische Beziehungen schrittweise aufgegeben und wähle aufmerksam die Leute aus, mit denen ich etwas zu tun haben möchte.“ Vor allem habe sich die Art und Weise grundlegend geändert, wie sie sich selbst und die Welt um sich herum betrachtet. Und dafür ist sie dankbar.

Ausgehend von ihrer persönlichen Geschichte ini-tiierte Eliza Zdru einen empathischen Dialog mit Frauen, die ebenfalls schwere Schicksalschläge erlitten. „Es ist, als wäre dieses Projekt notwendig gewesen. Als hätten die Frauen auf eine Gelegenheit gewartet, ihre Erfahrung zu teilen. Es kommen Frauen zu mir und wollen über ihre Narben erzählen, diese zeigen. Ich habe niemanden überzeugen müssen“, erklärt die Fotografin. 

Auf womanscars.ro sieht man Frauen aller Alterskategorien und hört, wie sie die gravierenden Ereignisse, die sie fast das Leben gekostet hätten, überwunden haben. Man erfährt, welche Transformationen sie in ihrem Leben ausgelöst haben. Manche Protagonistinnen sind noch sichtlich betroffen von ihrem Schicksalsschlag, andere scheinen sich damit abgefunden zu haben, wiederum andere strahlen. 

Narben sind die Zeichen eines Kämpfers

Dabei zeigen manche Bilder Frauen ohne Brüste, mit großen Narben am Bauch, mit zahlreichen Wundmalen an den Beinen. Und trotzdem lächeln manche von ihnen. Sie freuen sich, dass sie leben, dass sie sich selbst lieben gelernt haben, sich selbstbewusster und stärker fühlen. „Es geht viel um Akzeptanz. Die Frauen, die ihre Erfahrung öffentlich teilen, haben die Situation akzeptiert und gelernt, damit zu leben“, bemerkt Eliza Zdru. Es gehört zur Transformation, darüber zu sprechen, um sich nicht mehr mit dem Ereignis zu identifizieren. Das Geständnis wirke befreiend. 

Cristina Zaharias Beine sind voller kleiner Narben. Sie ist mit fünf Monaten zur Welt gekommen, hat sich sehr schwer und spät entwickelt und hat ab dem dritten Lebensjahr sehr viele Operationen erlitten, um überhaupt gehen zu können. Sie erzählt über ihr schreckliches körperliches, wie auch emotionales und psychisches Leid, über die vielen Tabletten, die sie schlucken musste und den Fixator am Bein. Doch eines Tages bekam sie ein Abo für ein Pilates-Training. Ihr haben die Übungen so gut getan, dass sie sie täglich macht und zur Pilateslehrerin wurde. 

Empathie entwickelt

Nicoleta Șerban hat den Brand im Colectiv-Club in Bukarest überlebt. Mit 16 Jahren erlitt sie bei der Tragödie Brandwunden auf über 60 Prozent ihres Körpers. 64 Menschen kamen ums Leben. Nach einer Woche im Koma folgten unzählige Operationen, ihr Arm musste rekonstruiert, Haare am Kopf implantiert werden. „Nach zwei Monaten im Krankenhaus hat ein neues Leben begonnen. Ich musste lernen, die Gabel zu halten und zu schreiben”. Auch heute noch gehen ihr Leute wegen ihres Aussehens aus dem Weg. 

Der Unfall habe Nicoleta Șerban geholfen, Empathie zu entwickeln, eine Fähigkeit, die sie, wie manche andere Protagonistinnen am Projekt „Woman Scars“ als Patientin dringend vermisst hatte. Heute arbeitet sie als Krankenschwester im Krankenhaus, wo sie behandelt wurde, und versucht, das Leid von Menschen in Not zu lindern, Verständnis zu zeigen und ihnen so manches gute Wort zu sagen. Mit den Narben am Körper und in der Seele versucht die junge Frau zu leben.

Auch Cornelia Cojanus traumatische Erfahrung hat die Auswahl ihrer beruflichen Laufbahn beeinflusst. Mit fünfeinhalb Jahren erlitt sie einen Stromschlag. Nachdem sie aus dem Koma erwacht war, musste sie ein Jahr im Krankenhaus verbringen, bis ihre Finger wieder funktionsfähig waren. Dort hat sie sich um die kleinen Kinder gekümmert, ihnen Geschichten vorgelesen, sie gestreichelt, mit ihnen gespielt. Seither kümmert sich Cornelia Cojanu um Kinder. Sie arbeitet als Kindergärtnerin. Die Narben an den Fingern wollte sie nie vertuschen, wollte keine ästhetische Operation: „Das bin ich”, sagt sie. 

Der Wunsch zu leben

Der Optimismus und die Kraft, die mehrere Protagonistinnen zeigen, hat auch Cristina Gora. Mit erhobenem Kinn und einem zarten Lächeln sitzt sie auf einem Stuhl und blickt in die Kamera. Ihr Oberkörper ist unbekleidet. Ein Busen hatte Krebs und wurde wegoperiert, sie ließ aber auch den zweiten entfernen, um sicher zu gehen, dass nicht auch der erkrankt. „Der Wunsch zu leben war damals wie auch heute sehr stark”, erklärt sie schlicht. Das Aussehen ist ihr egal, solange sie sich am Leben freuen kann, sagt sie. Im Interview rät sie den Frauen, Routinekontrollen zu machen, sich immer wieder untersuchen zu lassen,  um mögliche Krankheiten frühzeitig zu entdecken. 

An der eigenen Heilung teilnehmen 

Erstaunlich ist auch Mela Mihais Geschichte. Sie hat das ganze Leben lang gefühlt, dass sie krank ist „und nun hatte endlich jemand bestätigt, dass ich krank bin”, sagt sie mit ihrem breiten Lächeln. „Ich war dankbar, weil ich wusste, dass ich endlich genesen kann, dass ich an meiner Genesung teilnehmen kann”. Acht Jahre lang hat sie mit einem Lungenkrebs gekämpft, hat die Transplantation von Stammzellen durchgemacht und ist nun kerngesund. Die Narbe auf der Brust erinnert an die schwere Zeit, die ihr die Genesung gebracht und sie Geduld und den Umgang mit ihrer Verletzlichkeit gelehrt hat. 

Ärger kann zu Krankheiten führen 

Mirona Radu glaubt, dass ein großer Kummer zur Entwicklung einer Krankheit beitragen kann. So wie in ihrem Fall: als kleines Kind haben sie die Eltern zur Oma gebracht, die sie großgezogen hat. Das Gefühl des Ausgesetztseins habe sie ihr Leben lang bedrückt und habe im Jugendalter schließlich zu einer harten Diagnose geführt: einem Tumor hinter dem Brustbein. Sie wurde operiert und musste ein Jahr lang Chemotherapie machen. Das Gefühl des Verlassenseins hat sie noch immer nicht überwunden, die Krankheit habe sie aber gelehrt, jeden Augenblick zu schätzen und möglichst nur das zu tun, was ihr Freude bereitet.

Eliza Zdru hat auch nach Erklärungen gesucht, warum ausgerechnet sie erkrankte und was der Auslöser dafür gewesen sein könnte. So kam sie auf Gabor Matés Buch „Wenn der Körper nein sagt - Wie chronischer Stress krank macht – und was Sie dagegen tun können“. Dort las sie über die Bedeutung der Einheit von Leib und Seele in Bezug auf Gesundheit und Krankheit sowie auch über die Rolle, die Stress, Stressbewältigung und die individuelle emotionale Verfassung bei vielen häufig vorkommenden Krankheiten spielen. „In diesem Buch war praktisch mein ganzes Leben zusammengefasst“, erkannte Zdru. Wie viele der Protagonistinnen macht auch sie psychologische Therapie. 

Die Fotografin will „Woman Scars“ fortsetzen, um auch anderen Frauen das Wort zu erteilen und ihnen das Gefühl von Solidarität zu schenken, das ihr persönlich diese Treffen brachten. „Alle Frauen, die bislang am Projekt teilgenommen haben, sind sehr stark”, schlussfolgert sie und lädt auch andere ein, sich dem Projekt anzuschließen. Details sind auf der Internetseite womanscars.ro oder auf der gleichnamigen Facebookseite zu finden.