Die nahen Südkolonien

Oder die Beziehung zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsstaaten

Hic sunt dracones. Foto: Wikimedia Commons

„Diese balkanische Staaten sind doch alle gleich“, dachte wahrscheinlich der Redakteur der deutschsprachigen Yahoo-Homepage. Wörtlich stand in der Zusammenfassung eines Artikels: „Ein Schüler unter den Erstklässlern in einem rumänischen Dorf fiel doch ziemlich aus der Reihe.“ Gespannt klickte ich den Titel an und musste staunen. Nicht so sehr darüber, dass ein 78-jähriger Bulgare die „Grundschule startete“, sondern viel mehr darüber, dass der betreffende Redakteur anscheinend keinen Unterschied zwischen den beiden EU-Staaten sehen kann. Ob Rumänien oder Bulgarien scheint ihm eben alles eins zu sein.

Wer soll sich schon in diesen unterentwickelten balkanischen Ländern darüber beschweren, dass man sie nicht auseinanderhalten kann? In Transilvanien liest man sowieso keine Zeitungen, da die Bevölkerung nur damit beschäftigt ist, sich gegen die Angriffe von Vlad Dracula zu schützen und die Bären von ihren Häusern fernzuhalten.

In Südrumänien, wo auch die Landeshauptstadt Budapest (oder so ähnlich) liegt, klauen sie nur und, sollte man den Franzosen glauben, entlausen sich gegenseitig. Und die Bulgaren haben gar eine andere Schrift, die fast kein „zivilisierter“ Europäer lesen kann.

Wie sollen sie denn das in lateinischer Schrift Geschriebene verstehen? Folglich spielt es keine Rolle, ob man Bulgarien oder Rumänien schreibt.
Für viele EU-Bürger scheint die Europäische Union auch fast fünf Jahre  seit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens zu diesem Staatenverbund irgendwo an der ungarischen Grenze aufzuhören.

Für manche sogar an der österreichisch-ungarischen Grenze. Vorausgesetzt, man weiß, dass dieselbe inzwischen zwei unabhängige Staaten trennt. Denn da, wo die Autobahn aufhört, hört für viele Westeuropäer, die gerne mit dem Auto reisen, auch die Zivilisation auf.

Wenn man in Westeuropa von Rumänien noch etwas weiß – Nadia Comăneci, Vlad Dracula, Hagi, Tschautschetschku (so klingt der Name des gewesenen rumänischen Staatspräsidenten in der Interpretation vieler Rumänien-Reisenden), Bettler, Korruption etc. –,  so stellt das slawische Land jenseits der Donau für viele ein noch größeres Geheimnis dar.

Die neuen europäischen Bürger haben hingegen das „alte Europa“ spätestens seit der Öffnung der Grenzen für sich entdeckt und genießen in vielen EU-Ländern besondere „Gastfreundschaft“ mit regelmäßigen freiwilligen oder erzwungenen „Ausflügen“ in die alte Heimat. Die Bereitschaft der Rumänen oder Bulgaren – welchen Unterschied macht es schon – die Arbeit zu erledigen, auf die ein Westeuropäer wegen der geringen Bezahlung keine Lust hat, macht diese „barbarischen“ Völker für den reichen Westen von großem Nutzen, aber das sieht man gewöhnlich nicht.

Um weiterhin die Verwechslung dieser beiden Staaten zu vermeiden, könnte man sich zum Beispiel auf die Bezeichnung „die nahen Südkolonien“ einigen.