Ein Modellprojekt für berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung

Gespräch mit Herbert Paulischin, Leiter des Zentrums für Weiterbildung und Kompetenzevaluierung im Bereich Sozialhilfe

Herbert Paulischin ist zuversichtlich, dass das Modellprojekt landesweit bekannt und umgesetzt wird. Foto: Ralf Sudrigian

Am 6. September wurde in Kronstadt/Braşov die Landeskonferenz  zur beruflichen Eingliederung von behinderten Personen abgehalten. Dabei stellten zwei österreichische Experten, Herbert Paulischin und Tomislav Zuljevic-Salamon, ein integriertes Modellprojekt zu diesem Thema vor, das vorläufig in Bukarest und im Kreis Suceava angewandt wird. Partner dieses mit EU-Mitteln geförderten Projektes waren das Ministerium für Arbeit, Familie und Sozialschutz, die österreichische Gruppe Berufliches Bildungs- und Rehabilitationszentrum PRO MENTE Österreich,  der Österreichische Berufsverband der Sozialarbeiterinnen, der  AHAVA-Verein Rumänien, das Zentrum für Weiterbildung und Kompetenzevaluierung im Bereich Sozialhilfe (CFCECAS). Im Anschluss an ein von Ana Rădulescu moderiertes Pressegespräch am Vortag der Konferenz beantwortete CFCECAS-Leiter Herbert Paulischin ADZ-Redakteur Ralf Sudrigian einige Fragen in Zusammenhang mit diesem Projekt.

Was beinhaltet das Modell-Projekt betreffend Evaluierung, berufliche Ausbildung und Einstellung von Menschen mit Behinderung?

Wir haben vor mehr als drei Jahren mit der Vorbereitung begonnen. Es war uns sehr wichtig, dass wir eine Idee transportieren: Nämlich bei Menschen mit Behinderung uns nicht auf Defizite zu konzentrieren, sondern auf die Potenziale, die diese Menschen haben. Eine erste These in diesem Zusammenhang ist: Wenn wir jemanden zu einem selbst bestimmten Leben unterstützen, dann müssen wir ihm die Chance geben, auch ein eigenes Einkommen zu haben, um für sein Leben sorgen zu können. Das passiert in der Regel über Arbeit, das heißt, wir müssen diese Menschen dabei fördern, Arbeit zu finden, die sie auch bewältigen können und die für ihre Situation auch passt.

Wenn wir uns um einen Job bemühen, auch als nicht behinderte Menschen, dann konzentrieren wir uns auf: Was kann ich gut? Was interessiert mich? Die gleichen Fragen stellen sich auch Menschen mit Behinderung. Sie können in der Regel etwas –  manches sogar überdurchschnittlich gut – und sie haben Interessen. Bei diesem Projekt haben wir uns bemüht, in einem ersten Schritt diese Möglichkeiten, diese Fähigkeiten zu identifizieren, auch die Interessen zu klären. In einem zweiten Schritt wird die Realisierbarkeit dieser Fähigkeiten und Interessen am Arbeitsmarkt überprüft.

Das Projekt selbst startete auch im eigenen Bereich: Formen zu gestalten, die man als Übungsfirmen oder -werkstätte bezeichnen könnte, wo mit den behinderten Menschen gearbeitet wird. Über  mehrere Wochen haben wir diese Personen bei uns gehabt, sie waren in verschiedenen Bereichen tätig und sie konnten Verschiedenes ausprobieren. Ein ganz wichtiger Punkt war dabei, dass das in einer Gruppe passiert ist und nicht einzeln. In der Gruppe konnte eine Situation simuliert werden, wie sie auch in der Arbeitswelt existiert, nämlich dass man Kollegen, Partner aber auch Vorgesetzte und Mitarbeiter hat, und mit denen muss man auskommen. Arbeit ist nicht etwas Isoliertes, sondern findet in einem sozialen Kontext statt. Menschen mit Behinderungen haben hier sehr häufig einen Nachteil – sie sind lange Zeit von dieser Arbeitswelt fern geblieben oder sie haben sie noch nie erlebt. Sie müssen deshalb lernen und Erfahrungen sammeln im Umgang mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation, im Umgang mit einem Vorgesetzten oder mit einem unerwünschten Auftrag, den sie erhalten und bewältigen müssen.

Diese Aspekte konnten wir bei den Übungsszenarien mit ihnen proben und reflektieren. Sozialarbeiter haben anschließend diese Erfahrungen mit ihnen besprochen und ausgewertet oder das Verhalten thematisiert und alternatives Verhalten mit ihnen entwickelt. Nachher waren diese Leute bereit, das auch in der Praxis auszuprobieren.

Ist der rumänische Arbeitsmarkt offen für solche Personen?

Es gibt einige Firmen, von ganz kleinen Privatunternehmen bis zu großen, auch internationalen Konzernen, die eine hohe Bereitschaft hatten, Menschen mit Behinderung aufzunehmen.  Die Hilfe, die dabei oft notwendig ist, ist Kreativität anzuwenden, das heißt, eine Idee zu gestalten, welche Form von Arbeit oder für welche Arbeitsbereiche diese Menschen genutzt werden können.

Es wurde von sogenannten Nischen gesprochen.

Das ist ein weiterer Schwerpunkt. Wir haben versucht, mit Beispielen das aufzuzeigen, was wir unter Job-Creation (Entwicklung von Beschäftigungen) verstehen. Manch-mal ist es eine Lösung, dass man nicht auf einem standardisierten Job besteht, sondern dass man einen für die jeweilige Situation passenden Job maßschneidert. Ich möchte das mit einem Beispiel aus Österreich veranschaulichen: Eine Klientin hatte nur einen Arm. Sie war aber fasziniert von der Idee, als Friseurin zu arbeiten. Mit einem Arm kann man aber nicht Haare schneiden. Sie wollte es trotzdem versuchen. So haben wir eine Situation ausgedacht, in der sie in einem Friseurladen tätig sein konnte: Sie hat dort den Empfang abgedeckt, sie hat Termine vereinbart, die Kunden begrüßt, zu dem Sessel gebracht, sie hat die Friseurin vorgestellt, den Kaffee serviert. Und sie war dabei absolut glücklich. Es ging gar nicht mehr darum, Haare zu schneiden, sondern ihr war das Ambiente, der Geruch, die Tätigkeit, die dort passierte, wichtig. Das war für sie der Traumjob; Empfang im Friseurladen wurde für sie gleichwertig mit Friseurin zu sein.

Ein anderes Beispiel: Eine geistig behinderte Frau wollte unbedingt in einem Restaurant Köchin werden. Das war nicht möglich, dafür war die intellektuelle Kapazität nicht gut genug. Aber es war möglich, ihr einen Job zu vermitteln als Frühstücksköchin in einem kleinen Hotel. Sie war verantwortlich für das Kochen von Eiern, für das Herrichten von Tabletts und Ähnliches. Das Ganze war nur für eine befristete Zeit notwendig (einige Stunden am Morgen). Das konnte sie schaffen. Für sie war es wichtig, in einem Hotel mit Menschen im Bereich Küche zu arbeiten. Sie hätte es nie geschafft, alle gesetzlichen Anforderungen und Prüfungen zu erfüllen, die mit einer vollwertigen Beschäftigung als Köchin verbunden gewesen wären.

Es geht also darum, diese Nischen zu finden und jemanden dafür zu qualifizieren. Auf der anderen Seite muss ein Arbeitgeber gefunden werden, der offen dafür ist, das auch als Job zu definieren und nicht, wenn wir zum zweiten Beispiel zurückkommen, einem anderen Koch diese Arbeit zuzuteilen.

Sie haben 147 Personen mit Behinderung in das Modellprojekt einbezogen. Wie kann das landesweit ausgeweitet werden?

Unser Ziel war, ein Modell zu propagieren, einen Denkansatz zu geben, sowohl bei den zuständigen Behörden als auch für die Arbeitgeber. Wir haben aus diesem Grund in allen acht Entwicklungsregionen in den drei Jahren Informations- und Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten. Dabei sind wir auf sehr viel Interesse gestoßen. Die Weiterführung wird dann gut funktionieren,wenn Initiativen auch aus diesen Bereichen kommen. Was uns zuversichtlich macht, ist, dass es in dieser Zeitspanne möglich war, eine respektable Gruppe von rumänischen Kollegen und Kolleginnen zu finden, mit ihnen zusammenzuarbeiten und einen Qualifizierungsprozess vorzunehmen. Ich bin absolut überzeugt, dass hier jetzt genügend fachliche Kompetenz vorhanden ist, um das Projekt im rein rumänischen Kontext weiterzuführen.

Wie erreicht man mö-glichst effizient Menschen mit Behinderungen?

Am ehesten ist es erfolgversprechend, wenn man diese Menschen am Ende ihrer Schulpflicht erreicht. Wir haben mit unserem Evaluierungszentrum Kontakte zu Ausbildungseinrichtungen und  Schulen hergestellt, wo auch Menschen mit Behinderungen sind, um ihnen dieses Angebot bekannt zu machen. Allerdings ist das während des Projektes vorläufig nur in Bukarest geschehen. Bis sich das Projekt stärker und breiter als Möglichkeit etabliert und einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht, ist es wichtig, die Ausbildungsebene nicht zu vernachlässigen und sie auch als eine Zugangsebene zu betrachten.