Trotz schlechten Wetters fanden viele an Siebenbürgen Interessierte – Siebenbürger und Nichtsiebenbürger – am Nachmittag des 10. März den Weg ins Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf, um Wissenswertes über Natur, Landschaft und Nachhaltigkeit in Siebenbürgen zu erfahren. Der Vorsitzende der Kreisgruppe Düsseldorf, Horst Karl Dengel, begrüßte die Anwesenden, entschuldigte Prof. Schumacher, der krankheitsbedingt seine Teilnahme absagen musste, und leitete die Veranstaltung musikalisch mit dem Lied „Siebenbürgen, Land des Segens“ ein.
Seinen Lichtbildervortrag, den er in Vertretung für Prof. Schumacher hielt, startete der Vorsitzende mit allgemeinen Daten zu Lage, Klima und Topographie Siebenbürgens, um danach der Frage nachzugehen, ob Rumänien, und damit auch Siebenbürgen, überraschend anders sei als vielfach in Mittel- und Westeuropa wahrgenommen. Viele „Westler“ verbinden Rumänien immer noch mit Dracula, dem kommunistischen Diktator Ceau{escu, den Gräueltaten der Securitate, mit Korruption und zuweilen mit der Redewendung „mitten in der Walachei“. Das reale Bild Rumäniens, und ganz besonders das Siebenbürgens ist jedoch geprägt durch eine extrem vielfältige und beeindruckende Natur und Landschaft, gut erhaltene mittelalterliche Städte, einzigartige Kirchenburgen und besondere Menschen mit viel Humor und Improvisationstalent. Vielerorts traditionelle extensive Landwirtschaft, viele intakte Dörfer und Städte und eine wechselhafte Topographie machen die siebenbürgische Landschaft einzigartig in Europa.
Die Natur in Siebenbürgen ist gekennzeichnet durch Artenreichtum und Einmaligkeit. Rund 2600 Arten, darunter 68 endemische, bilden das Florainventar Siebenbürgens. Auf mehreren 100.000 Hek-tar sind in den rumänischen Karpaten Ur- und Naturwälder als exklusive Hotspots für biologische Biodiversität im europäischen Raum anzutreffen. Die Karpaten sind Lebensraum für das größte Braunbärenvorkommen in Europa. Zum Braunbären gesellen sich unter anderen Tierarten Wolf und Luchs. 80 Prozent der Urwälder aus der gemäßigten Zone Europas befinden sich in den rumänischen Karpaten. Grund genug für besondere Aufmerksamkeit.
Und dennoch dürfte für die karpatischen Ur- und Naturwälder auch heute noch die Feststellung gelten: Wir wissen, dass wir wenig wissen. Tatsächlich sind die vorliegenden Daten wenig verlässlich und zum Teil widersprüchlich. Die Flächenangaben für Ur- und Naturwälder variieren zwischen 200.000 Hektar und 525.000 Hektar, je nachdem welche Organisation, zu welchem Zeitpunkt und unter Verwendung welcher Methode die Erhebung gemacht hat. Allerdings sollen als Unesco-Kulturerbe lediglich 24.000 Hektar und im Nationalen Urwaldkatalog 70.000 Hektar offiziell eingetragen sein. Obwohl ein Großteil der Ur- und Naturwälder Rumäniens in Natura-2000-Gebieten liegt, wo nach der geltenden EU Richtlinie ein Verbot von Maßnahmen gilt, die zur Degradierung der natürlichen Lebensräume führen; obwohl die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 den Schutz aller Ur- und Naturwälder in der EU vorschreibt und obwohl das rumänische Forstgesetz bereits 2012 die Einführung eines nationalen Urwaldkataloges vorschreibt, soll nach aktuellen Erkenntnissen nur noch etwa die Hälfte der Ur- und Naturwälder intakt sein.
Etliche der Flächen unterliegen einer normalen forstlichen Bewirtschaftung, bei der die Holznutzung Priorität genießt. Aktuelle Entwicklungen geben jedoch Anlass zur Hoffnung, dass durch das zunehmende Engagement von Naturschutzorganisationen aus dem In- und Ausland wie auch von Einzelpersonen das wachsende Bewusstsein in der Bevölkerung, durch den verstärkten Einsatz der zuständigen rumänischen Behörden und den Einfluss der EU in naher Zukunft der Schutz der Ur- und Naturwälder in den rumänischen Karpaten großflächig sichergestellt wird.
Im Anschluss an den eigenen Vortrag kündigte Horst Dengel einen Vortrag zu Nachhaltigkeit von Alfred Theil an. Dabei wies er darauf hin, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ zum ersten Mal vom deutschen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz 1713 verwendet und definiert wurde. Nach von Carlowitz, der die Grenzen der Holzverfügbarkeit bei einer ungeregelten Nutzung erkannt hatte, darf im Wald immer nur so viel Holz geschlagen werden, „wie durch planmäßiges Wirtschaften nachwachsen kann“, um auch die Versorgung künftiger Generationen sicherzustellen. Nach den Ausführungen von Alfred Theil ist der Begriff Nachhaltigkeit mittlerweile in aller Munde.
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist unter Nachhaltigkeit ein Handlungsprinzip zur Ressourcennutzung zu verstehen, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme – vor allem Lebewesen sowie ökologische und ökonomische Systeme – gewährleistet werden soll. Nach den Recherchen von Alfred Theil, selbst Gründer des Vereins „Nachhaltig Handeln e.V.“, erzwingt die aktuelle globale Entwicklung – insbesondere die immense Bevölkerungszunahme, verbunden mit einer extremen Konsumsteigerung, der explodierende Energiebedarf und die immer größer werdenden CO2 Emissionen – geradezu ein nahezu generelles nachhaltiges Handeln. Geht man davon aus, dass in Deutschland bereits Bewusstsein bezüglich der Notwendigkeit eines nachhaltigen Verhaltens besteht und Siebenbürgen hinterherhinkt, stellt sich die naheliegende Frage nach Impulsmöglichkeiten in Siebenbürgen. Als Aktionsbereiche könnten dabei neben Gemeindeleben vor allem Brauchtum, Denkmalschutz und Kunst eine Rolle spielen. Neben deutschen Initiatoren sollten motivierte Entscheidungsträger aus Siebenbürgen unbedingt eingebunden werden. Zur Erkundung von gemeinsamen geeigneten Projekten und Wegen zu deren Umsetzung bietet sich ein Forum als Initialzündung an.
Die beiden Vorträge waren Grundlage für eine intensive anschließende Diskussion, die während des Abschlussimbisses fortgesetzt wurde. Alles in allem konnten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein wirklichkeitsnahes und weitgehend positives Bild von der siebenbürgischen Natur, der Landschaft sowie potenzielle Entwicklungen im Nachhaltigkeitsbereich mitnehmen. Die nächste Forstexkursion ist bereits geplant und ausgebucht; die Wiederholung des Vortrages auch.