Eine Geschichte von Menschlichkeit, Solidarität und Hoffnung

Stipendienprogramm für ukrainische Flüchtlinge in Rumänien

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Büste der in Gura Humorului geborenen Schriftstellerin Olga Kobîleanska | Fotos: Roger Pârvu

Nichts schafft Gemeinschaft so leicht wie Musik. Die Stipendiaten und Stipendiatinnen sangen für die Gäste ein bekanntes ukrainisches Lied.

Seit 2014, durch die illegale Annexion der Krim und den Ausbruch des Krieges im Donbass, befindet sich die Ukraine im militärischem Konflikt mit Russland. Die am 24. Februar 2022 begonnene Großinvasion unseres Nachbarlandes verwandelte das gesamte Land in ein Kriegsgebiet. Seit nun mehr als drei Jahren wütet der Kriegsgott in der Ukraine und verlangt seine täglichen Opfer. Mit einer inzwischen sich breitmachenden Nachrichtenverdrossenheit nimmt der Durchschnittseuropäer Meldungen aus dem Kriegsgebiet teilweise gar nicht mehr wahr. Doch für diejenigen die ihr Land verlassen mussten, bestimmt der Krieg noch immer ihren Alltag. Auch wenn das Leben in einem fremden Land in gewissen geordneten Bahnen abläuft, ist man in Gedanken meistens dort, wo das „Zuhause“ ist, welches man im Herzen trägt.

Die 2022 durch den Krieg losgetretene Flüchtlingskrise verlangte auch in Rumänien nach Einrichtungen, die bereit waren, Hand anzulegen und zu helfen. Eine der Einrichtungen die sich dieser Aufgabe stellte war die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR). Nachdem nach Kräften die ersten Hilfestellungen – Erstversorgung, Unterkunft, Verpflegung, psychosoziale Betreuung – ihr Ziel erreicht hatten, wurden unterschiedliche Unterstützungsprojekte für ukrainische Flüchtlinge gestartet. „Seit dem Frühjahr 2022 bis heute haben diese Initiativen über 600 Personen erreicht – mit einem Gesamtwert von über 1,3 Millionen Euro“, erklärt Dr. Ramona Besoiu, die Zuständige für Projektmanagement innerhalb der Kanzlei des Landeskonsistoriums der EKR. 

Von der Nothilfe zum Integrationsprojekt 

Eine der wichtigsten Initiativen wurde mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Brot für die Welt) 2023 gestartet. Dabei handelt es sich um ein Stipendienprogramm für Geflüchtete aus der Ukraine, die durch den Krieg gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen und nun ihr Studium in Rumänien fortsetzen oder es erst beginnen. Über einen Zeitraum von drei Jahren umgesetzt, ermöglichte das Programm seit 2023 die Vergabe von 80 Studienstipendien, darunter 14 für Mütter mit einem oder mehreren Kindern. Die Höhe des monatlichen Basisstipendiums ermöglicht den Studierenden ein finanziell unabhängiges Leben in Rumänien. Das Programm umfasst Einzelstipendien und Familienstipendien. Das Einzelstipendium beträgt 400 Euro pro Monat, das Familienstipendium 600 Euro pro Monat. „Schon in den ersten beiden Projektjahren wurde deutlich, wie groß der Unterstützungsbedarf ist: monatliche Stipendien, damit die Geflüchteten ihren Lebensunterhalt bestreiten können, Studien- und Betreuungsangebote, die sie begleiten und stärken, sowie die Finanzierung der jährlichen Heimreisen, um die Verbindung zur Familie und Heimat aufrechtzuerhalten. All diese Maßnahmen sind fest im Projektkonzept verankert und entsprechen dem übergeordneten Ziel: Geflüchteten aus der Ukraine Zugang zu Bildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten an Universitäten in Rumänien zu ermöglichen, ihnen Wege auf den Arbeitsmarkt zu öffnen und sie bei ihrer Integration in die Gesellschaft zu unterstützen“, beschreibt Ramona Besoiu das Projekt. Die Stipendien werden für alle Studienzyklen an akkreditierten Universitäten in Rumänien vergeben – Bachelor-, Masterstudiengänge – einschließlich des vorbereitenden Jahres für den Rumänischunterricht. Die Stipendiaten sind an Universitäten wie der Ion-Mincu-Universität Bukarest, der Technischen Universität Bukarest, der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, der Technischen Universität Klausenburg, der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, der Universität 1. Dezember Alba Karlsburg, der Alexandru-Ioan-Cuza-Universität Jassy und der West-Universität Temeswar eingeschrieben. Sie studieren in einer Vielzahl von Fachrichtungen: Architektur, Ingenieurwesen, Pharmakologie, Wirtschaft, Management, Soziologie, Psychologie, Sport, Landwirtschaft, Veterinärmedizin, Politikwissenschaft, Theologie, angewandte moderne Sprachen und Amerikanistik u. a. Im Rahmen des Projekts wird auch der Austausch zwischen den Stipendiaten, aber auch der Dialog mit den Förderern beachtet. Dieses geschieht durch regelmäßige Treffen und Seminare. In der Zeitspanne 3. bis 5. Oktober 2025 fand das dritte dieser Seminare in Gura Humorului statt. 

Begegnungen, weit über Zahlen und Berichte hinaus

Geplant waren, neben dem Besuch einiger der bekannten orthodoxen Klöster der Bukowina, Moldo-vi]a, Sucevi]a und Vorone], der Ausbau der bestehenden Beziehungen und die Vertiefung der Verbindung zwischen Stipendiaten und den fördernden Institutionen. Dabei sollte auch die für die Bukowina typische Multikulturalität einen zentralen Punkt bilden, denn sie stand stellvertretend für die Begegnung, die man sich wünschte und tatsächlich auch erlebte. „Wenn es stimmt, dass `alles wirkliche Leben Begegnung ist` wie Martin Buber sagt und der größte Gewinn und das größte Geschenk im Leben das Kennenlernen von Menschen ist, dann gilt dieses uneingeschränkt auch für diese ‘Begegnungsstudienreise in die Bukowina’. Denn erstens haben die Projektmitarbeiterinnen und die Förderer die geflüchteten Studentinnen und Studenten aus der Ukraine als Schwestern und Brüder im Glauben, dazu als offene, verständnisvolle, zuversichtliche und äußerst dankbare Menschen kennengelernt. Diese überschwängliche Dankbarkeit war zutiefst berührend: nicht nur für eine großzügige finanzielle Unterstützung, die das Lernen, die Freiräume für Familie und Freizeit, für Träume und Liebe ermöglicht hat, sondern auch für das Vertrauen und die Geborgenheit, für das verständnisvolle Ohr und Herz der Projektbegleiter,“ fasste Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der EKR, das Treffen zusammen. 

Am Eröffnungsabend wurden die Seminarteilnehmer von Ilie Sauciuc, Erster Vizepräsident der Union der Ukrainer in Rumänien, begrüßt. Seine Teilnahme war besonders für die Stipendiatinnen und Stipendiaten sehr wertvoll, da sie mehr über die Aktivitäten der Union, die Union der ukrainischen Frauen in Rumänien (UFUR), die Union der ukrainischen Jugend in Rumänien (UTUR) sowie über die Möglichkeiten der Beteiligung und Unterstützung erfuhren, die diese Organisationen bieten.  

Jenseits jeder sprachlichen Barriere kamen die Stipendiaten und die Vertreter der Förderinstitutionen leicht in einen barrierefreien Dialog. Dazu verhalfen auch die Impulsreferate von Dr. Stefan Cosoroabă von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, von Andrea Schirmer-Müller und Beate Schreiber von Brot für die Welt und von Projektleiterin Ramona Besoiu seitens der EKR. Einen Schnittpunkt bot der Vortrag von Corina Derla, Kuratorin der Evangelischen Gemeinde in Suceava, der die Anwesenden in die Welt der in Gura Humorului geborenen ukrainischen Schriftstellerin Olga Kobîleanska mitnahm. Die 1863 geborene Literatin ist durch ihre Werke, welche sich mit Frauenemanzipation, Natur, bäuerlichem Leben und sozialer Psychologie beschäftigen, bekannt. An ihrer Büste in Gura Humorului legten die Seminarteilnehmer während der an die Vorträge anschließenden Stadtführung einen Kranz nieder und gedachten der Opfer, die der Ukraine-Krieg gefordert hat und noch immer fordert. 

Obwohl hinter jeder Ansprache seitens der Stipendiatinnen und Stipendiaten ein schweres Schicksal zu erahnen war, überraschten diese durch den zukunfts- und lebensbejahenden Ton. „Danke. Nicht nur für das Stipendium, sondern für etwas viel Selteneres: Ihr habt uns in Rumänien ein Zuhause geschaffen. Ein Zuhause ist nicht nur ein Ort, sondern auch die Menschen, die dort auf einen warten. Dank euch fühlt sich jeder von uns – aus verschiedenen Städten, mit unterschiedlichen Geschichten und in verschiedenen Lebensphasen – der Ukraine nahe, auch wenn sie weit weg ist. Wir spüren das durch ein Netzwerk, das uns zusammenhält. Wir spüren es in den stillen Momenten, in denen wir erkennen: Wir sind hier nicht allein. Für mich war Ihre Unterstützung nie nur finanzielle Hilfe. Sie ist ein Gerüst – stark, geduldig und großzügig –, damit wir höher als unsere Ängste klettern können.“ erklärte Anastasiia  Fidkevych, Studentin im 6. Jahr an der Universität für Architektur und Stadtplanung Ion Mincu Bukarest. 

Das Feedback seitens der Stipendiatinnen und Stipendiaten überzeugte auch die beiden anwesenden Vertreterinnen des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung (Brot für die Welt) Andrea Schirmer-Müller und Beate Schreiber, sowohl von der Notwendigkeit, wie auch vom Erfolg des Stipendienprogramms. „Wir freuen uns sehr, hier vor Ort erleben zu können, welche Wirkung das Stipendienprogramm für ukrainische Geflüchtete bis jetzt erzielen konnte. Im Gespräch mit verschiedenen Stipendiatinnen und Stipendiaten wurde deutlich, dass das Programm nicht nur eine finanzielle Hilfe darstellt. Die Unterstützung und Beratung bei verschiedenen Problemen und Herausforderungen während des Studiums wie auch die persönlichen Begegnungen und der Austausch über Themen wie Demokratie, interkulturelle Kommunikation oder Menschenrechte bei den Seminaren sind ein wichtiger Mehrwert des Programms, auf den wir von Brot für die Welt besonders Wert legen. Wir konnten uns davon überzeugen, wie gut die ukrainischen Studierenden inzwischen in Rumänien integriert sind. Als junge Menschen wird es ihnen ermöglicht, ihre Ausbildung trotz der schwierigen Situation in ihrem Heimatland weiter zu verfolgen – ein wichtiger und wesentlicher Grundstein für ihren weiteren Lebensweg. Wir sind sehr froh, mit dem Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien einen Partner gefunden zu haben, der das Stipendienprogramm mit großer Gewissenhaftigkeit und viel Engagement erfolgreich umsetzt“, erklärte Schreiber. 


„Dass wir 80 Stipendien vergeben konnten, ist eine Zahl, auf die wir stolz sein dürfen. Doch Zahlen allein erzählen nicht die ganze Geschichte. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, eine Geschichte, ein Schicksal.“ 
Dr. Ramona Besoiu – Zuständige  für Projektmanagement innerhalb der Kanzlei des Landeskonsistoriums der EKR 


„Es geht längst nicht mehr nur um die Verteilung von Geldmitteln. Es geht um viel, viel mehr. Die Stipendiaten sind zu einer großen Familie zusammengewachsen. Krieg und Flucht haben sie aus den Herkunftsfamilien brutal herausgerissen. Aber sie haben durch dieses Programm eine neue Familie gefunden, in deren Kreis man lachen und weinen, trauern und hoffen kann. Einen Kreis, in dem Hilfe nicht nur ein höfliches Wort ist.“ 
Dr. Stefan Cosoroabă – Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa