Eine Synthese für die Ewigkeit

Das Siebenbürgenlied – ein Volkslied als Bestandteil der siebenbürgisch-sächsischen Erinnerungskultur / Von Malwina Gebhardt

Kronstadt: Blick auf die Schwarze Kiche, den Weißen Turm und den Raupenberg, auf dem Leopold Maximilian Moltke das Siebenbürgenlied gedichtet haben soll.
Foto: Harald Roth

Heilbronn, 2009. Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Baden-Württemberg feiert sein 60-jähriges Bestehen. Die Festhalle ist voll von Männern und Frauen in traditionellen Trachten, es wird geredet, getanzt, musiziert. Schließlich: Ein kleiner Höhepunkt. Für Joachim Friedl, Redakteur für die „Heilbronner Stimme“, wird er zum Aufhänger seines Artikels: Das Siebenbürgenlied wird angestimmt. Friedl schreibt von einem „bewegenden Augenblick“. Ähnliche Szenen wiederholen sich Jahr für Jahr in Dinkelsbühl, wenn der Heimattag der Siebenbürger Sachsen ausgetragen wird. Ein Mitschnitt des Siebenbürgenlieds, gesungen auf dem Heimattag 2007 und hochgestellt auf der Online-Videoplattform Youtube, wurde über 42.000 Mal angesehen – das entspricht etwa 30 Aufrufen pro Tag.

Die bis heute andauernde Popularität des Siebenbürgenliedes im Vergleich zu anderen siebenbürgisch-sächsischen Volksliedern ist leicht erklärt: Es handelt sich um eine ernannte „Volkshymne“. Dass sich das Lied jedoch zu einer ethnischen Hymne entwickeln würde, war 1846, zur Entstehungszeit des Liedes, noch nicht absehbar. Auch von einer „Entstehung des Liedes“ kann als solche eigentlich nicht gesprochen werden, denn Text und Melodie entstanden nicht gemeinsam und waren auch nicht von Anfang an füreinander vorgesehen.

Unum e pluribus - Einheit aus Vielfalt

Der Text „Siebenbürgen, Land des Segens“ wurde 1846 von dem Deutschen Leopold Maximilian Moltke verfasst. Es ist ein siebenstrophiges Gedicht, das in erster Linie zwei Dinge beschreibt: Die Schönheit der Natur und die Völkervielfalt Siebenbürgens. Diese Völkervielfalt nennt der Historiker Paul Philippi in Anlehnung an den amerikanischen Wappenspruch „unum e pluribus“, Einheit aus Vielfalt. Eine Einheit als Einheitlichkeit wird somit ausgeschlossen, vielmehr steht das kontinuierliche Zusammenleben der Völker rumänischer, ungarischer und deutscher Herkunft im Mittelpunkt. Gerade das muss für Moltke die Faszination Siebenbürgens ausgemacht haben, wenn er von einer „bunten Völkerschaar“ schreibt, die „in so vielen Zungen“ betet, und wenn er Siebenbürgen als „jedes Glaubens sichrer Hort“ und „Hort der Freiheit“ lobt. In den beiden letzten Verse des Gedichts heißt es: „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band“. Der Wunsch nach Harmonie zwischen den Völkern unterstreicht den grundsätzlichen Charakter des Gedichts und betont auch den „unum-e-  pluribus“-Gedanken.

Besonders innerhalb des zeitgeschichtlichen Kontextes, in den die Entstehung des Gedichts einzuordnen ist, ist dieser Wunsch kennzeichnend, weil er einen scharfen Kontrast darstellt: Moltke muss 1846 die nationalistischen Bewegungen des Vormärzes, die von allen ethnischen Gruppen Siebenbürgens ausgingen, zweifelsoh-ne gespürt haben. Die zunehmenden separatistischen Gedanken und Forderungen auf allen Seiten rückten jedoch eine ‚Eintracht‘ in weite Ferne. Egon Hajek schreibt 1927 über den Inhalt des Textes, er nähme „eine Verbrüderung der siebenbürgischen Stämme vorweg, die erst der Zukunft vorbehalten scheint“.  Jede Ethnie Siebenbürgens hätte sich mit dem Text des Liedes identifizieren können. Natürlich hätte dies einer Übersetzung des Textes ins Ungarische und Rumänische bedurft. Eine offizielle ungarische Übersetzung gibt es jedoch bis heute nicht, und die rumänische Übersetzung wurde erst 2002 angefertigt – anlässlich des zweihundertsten Geburtstages des Komponisten der Melodie des Siebenbürgenliedes, Johann Lukas Hedwig.

Melodie ursprünglich für Kaufhaus-Jubiläum

Die Melodie zu „Siebenbürgen, Land des Segens“ entstand bereits schon, bevor das Gedicht geschrieben wurde, nämlich 1845. Anlass war das 300-jährige Bestehen des von Apollonia Hirscher erbauten Kaufhauses, zu dem Hedwig ein Gedicht intonierte. Doch auch nachdem Moltke das Gedicht verfasst hatte, wurde es nicht sofort mit Hedwigs Melodie verbunden. Zunächst wurde es auf die Melodie des deutschen Volksliedes „An der Saale hellem Strande“ gesungen. Durch die Zuordnung zu der Melodie eines Kronstädter Komponisten wurde nun das siebenbürgische Heimatland auch musikalisch betont. Hajek schreibt, sichtlich beeindruckt: „Mit den weihevollen Rhythmen dieser Volkshymne fingen wir an, die ideelle Verbindung zwischen der musikalischen Urheimat und Siebenbürgen wieder fester zu knüpfen.“ Hedwigs Melodie sei „in schönstem Sinne übervölkisch“.

Das Siebenbürgenlied im kollektiven Gedächtnis

Warum konnte sich das Siebenbürgenlied über-haupt als ethnische Hymne etablieren? Hier lohnt ein Blick in die Theorie zur Konstruktion von Ethnizität und eines kollektiven Gedächtnisses. Generell lässt sich Ethnizität als individuell empfundene Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe bezeichnen, deren gemeinsame Merkmale z. B. Sprache, Religion bzw. gemeinsame Traditionen sein können. Eine gemeinsame Abstammung, beziehungsweise der Glaube daran, als weiteren zentralen Punkt in der Definition einer „ethnischen Gruppe“ betonte auch schon Max Weber. In zahlreichen siebenbürgisch-sächsischen Volksliedern und Gedichten wird neben dem Heimatland Siebenbürgen auch diese Abstammung betont. Ein Beispiel ist das Lied: „Ich bin ein Sachs“, wo es heißt: „Ich bin ein Sachs, ich sags mit Stolz. Vom alten edlen Adelsstamm!“. Auch im ebenfalls von Moltke verfassten „Schütze, Gott, dein Volk der Sachsen“ wird die Abstammung der Siebenbürger Sachsen unterstrichen: „Eine große mächt’ge Innung sei des Volkes ganze Schar“.

Moltkes Siebenbürgenlied betont aber in keinster Weise die Herrlichkeit der Sachsen, im Gegenteil: Sie werden noch nicht einmal explizit genannt. Als in besonderer Form identitätsstiftend für die Siebenbürger Sachsen kann das Siebenbürgenlied also nicht gelten. Dies gilt eher für die Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses. In ihrem Aufsatz „Gedächtnis – Konstruktion kollektiver Vergangenheit im sozialen Raum“ nennt Heidemarie Uhl als Bezugspunkte zweierlei: eine positive Sinnstiftung einerseits (heritage), andererseits ein sogenanntes „negatives Gedächtnis“. Letzteres, das insbesondere das kollektive Leiden oder den Aufruf zum Krieg betont, spiegelt sich in zahlreichen Nationalhymnen wider, beispielsweise in der ungarischen, polnischen oder französischen Hymne. Auch in der rumänischen Hymne „Deşteaptă-te, române!“ (deutsch: „Erwache, Rumäne!“), die 1848 verfasst wurde, sind diese Tendenzen klar erkennbar: Ganz offensichtlich werden die Rumänen als leidendes, unterjochtes Volk in den Vordergrund gestellt, das sich nun gegen die „barbarischen Tyrannen“ verteidigen soll.

Im Kontrast dazu drückt das Siebenbürgenlied jedoch vor allem die heritage-Dimension aus: Es beschreibt Siebenbürgens Herrlichkeit und stellt es in eine geschichtliche Kontinuität.

Keine „typische” ethnische Hymne

Das Siebenbürgenlied – eine typische ethnische Hymne? Fakt ist, dass das Siebenbürgenlied nie als Regionalhymne verstanden wurde. Im zeitgeschichtlichen Kontext gesehen konnte sie es auch nicht sein: Eine Einheit der Völker, zur Zeit des aufkeimenden Nationalismus? Ein Widerspruch. Eine „typische“ ethnische Hymne als Ausdruck der ethnischen Identität stellt das Siebenbürgenlied jedoch auch nicht dar, denn hierzu fehlt im Text der direkte Bezug auf die Siebenbürger Sachsen.

Doch gerade durch die Idealisierung des Heimatlandes erhält das Siebenbürgenlied die positive Sinnstiftung für die Siebenbürger Sachsen. Heutzutage ist dieser Effekt für die ausgewanderten und vertriebenen Siebenbürger Sachsen noch stärker: Das Heimatland ist in weite Ferne gerückt, bleibt aber – zwangsläufig – Hauptbestandteil der gemeinsamen Erinnerungskultur. Dass auch in Zukunft auf dem Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl das Siebenbürgenlied ein fester Bestandteil bleibt, scheint unbestritten. Für Egon Hajek war die Sache schon 1927 zweifellos: Es war nur eine Frage der Zeit, bis Text und Melodie „die Synthese eingingen, die ihnen die Ewigkeit sicherte“.

 

 

Das Siebenbürgenlied

Siebenbürgen, Land des Segens
Land der Fülle und der Kraft,
mit dem Gürtel der Karpaten
um das grüne Kleid der Saaten
Land voll Gold und Rebensaft.

Siebenbürgen, Meeresboden
einer längst verflossnen Flut;
nun ein Meer von Ährenwogen,
dessen Ufer waldumzogen,
an der Brust des Himmels ruht!

Siebenbürgen, Land der Trümmer
einer Vorzeit, stark und groß,
deren tausendjährige Spuren
ruhen noch in deinen Fluren
ungeschwächtem Ackerschoß!

Siebenbürgen, grüne Wiege
einer bunten Völkerschar!
Mit dem Klima aller Zonen,
mit dem Kranz von Nationen
um des Vaterlands Altar!

Siebenbürgen, grüner Tempel
mit der Berge hohem Chor,
wo der Andacht Huldigungen
steigen in so vielen Zungen
zu dem einen Gott empor!

Siebenbürgen, Land der Duldung
jedes Glaubens sichrer Hort,
mögst du bis zu fernen Tagen
als ein Hort der Freiheit ragen
und als Wehr dem freien Wort!

Siebenbürgen, süße Heimat
unser teures Vaterland!
Sei gegrüßt in deiner Schöne
und um alle deine Söhne
schlinge sich der Eintracht Band!

Text: Leopold Maximilian Moltke
Melodie: Johann Lukas Hedwig