Die im Juni in rumänischer Sprache erschienene Publikation „Monitoring der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2024/2025 in Rumänien. Eine intersektionale Perspektive: Geschlecht, sexuelle Orientierung und Minderheiten“ analysiert Äußerungen von ausgewählten Politikerinnen und Politikern im Kontext der Wahlen. Zur Stichgruppe gehörten alle zugelassenen Kandidaten für das Präsidentenamt, die Spitzenkandidaten der Parteien für das Parlament, sowie die Parteien an sich. Die Analyse basiert überwiegend auf Facebookposts.
Ein Kapitel von M²riuca Oana Constantin und Xhenis Shesu, beide gehören der politikwissenschaftlichen Fakultät der SNSPA in Bukarest an, widmet sich den Minderheiten, hier beschränkt auf Roma und Ungarn, sowie den Themen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Daran schließt sich ein Essay von Carmen Gheorghe (Mitgründerin der NGO zu Roma-Rechten und Feminismus, E-Romnja, sowie Wissenschaftlerin an der Universität Hermannstadt/Sibiu) und Eduard Bercuș (SNSPA-Absolvent und Referent in der Kanzlei des Premierministers) an, der sich mit dem Umgang mit den Interessen der Roma-Minderheit im Wahlkampf auseinander setzt.
Die statistische Auswertung der öffentlichen Äußerungen zum Thema Roma ist relativ schnell abgehandelt, denn es nahm in keiner der drei Wahlkampagnen größeren Raum ein. Zwar gab es von vielen Seiten einzelne Wortmeldungen, doch fielen diese laut den Autorinnen in die Kategorien „Standardfloskeln zur ethnischen Inklusion“, „emotionale Appelle“ oder „kultureller Symbolismus“. Bekenntnisse zu echtem Engagement für Angelegenheiten der Roma-Minderheit oder konkrete Lösungsvorschläge für deren Probleme fehlten. „Erwähnt, aber nicht vertreten“, bringen es Constantin und Sheshu auf den Punkt.
Einige Posts bezogen sich auf die Wichtigkeit von Bildung für Roma-Kinder, das bemerkenswerteste Statement kam jedoch ausgerechnet von George Simion (AUR), als dieser auf Äußerungen des Publizisten Mircea Dinescus zu seiner angeblichen Abstammung, bei welcher Dinescu die leider weiterhin geläufige, mit Z beginnende Formulierung verwendete, reagierte. Sollte sein Vater tatsächlich ein Rom gewesen sein, dann gäbe es daran nichts, wofür man sich schämen müsse. Auch Roma, Ungarn und Lipowaner seien schließlich Bürger Rumäniens.
Gegen die eigenen Interessen? Roma als Wähler rechter Parteien
Das Verhältnis von Simion bzw. seiner – und inhaltlich ähnlich gelagerten - Partei(en) zu Roma ist im Kontext der vergangenen Wahlperiode jedoch komplex und sollte nicht auf diese persönlich motivierte Äußerung reduziert werden. Gheorghe und Bercu{ haben dazu einige interessante Punkte herausgearbeitet.
Zum Einen wären da das Propagieren eines ethnisch geprägten Nationalismus und die Verherrlichung der sogenannten Legionäre bzw. die Umdeutung, Glorifizierung der Vergangenheit als Tendenzen, die für Roma und andere Minderheiten grundsätzlich eine klare Gefahr darstellen würden. Grundlage für das Verfangen dieser Botschaften sei fehlendes historisches Wissen in der Gesamtgesellschaft und auch in der Roma-Gemeinschaft, die dadurch, scheinbar paradox, ebenfalls anfällig wird für entsprechende Positionen.
Indem C²lin Georgescu und Simion eine Rhetorik der Identität und nationalen Einheit verwendeten, schreiben Gheorghe und Bercuș, hätten sie alle, die nicht in dieses Konzept passen, per se zurückgewiesen. „Durch die Diskurse dieser beiden Kandidaten wurden direkt oder indirekt Vorurteile und Stigmatisierungen in Bezug auf die Roma-Community befördert, die Annahme, dass die Schuld für Schulabbrüche und implizit funktionalen Analphabetismus, Armut, soziale Ausgrenzung und Kriminalität bei den Roma selber liege und all diese Probleme eine direkte Konsequenz davon sind, wie sie sich in der Gesellschaft verhalten“.
Gleichzeitig hätten Georgescu und Simion durchaus Werte angesprochen, die auch für viele Roma-Wähler wichtig seien, darunter der Schutz der „traditionellen Familie“ bzw. die Ablehnung von LGBTQ-Rechten und die Bedeutung des christlichen Glaubens.
Auf der anderen Seite bedienen sich die populistischen Parteien einer Anti-System-Rhetorik, die gerade arme, marginalisierte Menschen, darunter überproportional vertreten Roma, ansprechen soll und ihnen vermittelt, dass die „aktuelle politische Elite, die Rumäniens Ressourcen im persönlichen Interesse aufbraucht“, an ihrer Armut Schuld sei. Die angekündigten Lösungen, etwa geringere Preise für Lebensmittel, Schaffen von Arbeitsplätzen, hätten in dieser Gruppe durchaus Anklang gefunden, egal ob sie realistisch waren oder nicht.
Die Folgen des Ignorierens
Währenddessen hätten die moderaten Parteien versucht, „ das Minderheiten-Thema so gut es geht zu vermeiden im Wahldiskurs, um nicht zu riskieren, rassistisch eingestellte Wähler zu verlieren“. Das fehlende Thematisieren von Strategien gegen Ausgrenzung und Armut, eingebettet in die jahrzehntelang gewachsenen und politisch beförderten sozioökonomischen und kulturellen Spaltungen, habe – so die Autoren – dazu beigetragen, dass sich viele Roma den extremistischen Alternativen zuwendeten.
Eine Volte, die in der FES-Studie nicht thematisiert wird, ist der etwa von der NGO „Roma for Democracy“ behauptete „entscheidende“ Einfluss von Roma-Wählern im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl. „Roma for Democracy“ argumentiert, dass vor dem zweiten Wahlgang eine erhebliche Mobilisierung für den Kandidaten Nicu{or Dan stattgefunden habe, die zu einem enormen Stimmzuwachs in Gemeinden mit hohem Roma-Anteil geführt habe. Als Ursache dafür nennt die NGO die Tatsache, dass Dan als einziger Kandidat öffentlich ein Manifest der Organisation unterzeichnet hätte, in dem die strukturelle Ausgrenzung der Roma – und die Notwendigkeit der politischen Bekämpfung - anerkannt würde. Wozu Simion nicht bereit gewesen sei.