„Ich glaub, dass das hier noch lange nicht zuende ist...“, sagt er nachdenklich, doch ziemlich überzeugend. „Dass man mit den Menschen, die noch hier sind, noch sehr viel bewegen kann!“ Das deutsche Forum, die evangelische Kirche, „sie tragen das, was vom Sachsentum noch übrig ist, durch die Zeit...“ Das Land sieht er voller Chancen: „Ganz im Gegensatz zu Deutschland, das wirtschaftlich immer uninteressanter und von der Sicherheitslage immer prekärer wird.“ Bald will er sich hier einen langgehegten Traum erfüllen. Nächstes Jahr, sagt Thomas Petri, will er den endgültigen Schritt nach Siebenbürgen wagen. Den Job kündigen, die Wohnung aufgeben, weg aus dem Ruhrgebiet. Nach Galt, wo er das ehemalige Pfarrhaus der evangelischen Kirche gekauft hat.
In Galt/Ungra hat er die ersten eineinhalb Jahre seines Lebens verbracht, sein Vaterhaus steht nur ein paar Hausnummern weiter. Seine Mutter stammt aus Reichesdorf/Richiș. Als er vier war, sind seine Eltern ausgewandert – „erst Freiburg, dann Augsburg, dann Ruhrgebiet“. Das war in den 80er Jahren. Verstanden hat er es bis heute nicht. „Meinen Eltern ging es gut, der Vater war Tierarzt, die Mutter Lehrerin, uns hat’s an nichts gefehlt. Und in Deutschland hat niemand auf uns gewartet.“ Die Auswanderung hat den Sachsen ein kollektives Trauma zugefügt, musste er bald erkennen.
1991 haben sich dann auch seine Großeltern dem Druck ergeben. Später hat er im Haus seines Großvaters Briefe gefunden, „die liegen wahrscheinlich immer noch da“. Da stand: „Schaff dir die Tiere ab, schließ alles zu, wir kommen, um dich abzuholen.“
„Was macht das mit einem?“, sinniert Thomas Petri leise. „Die Familie soll zusammenbleiben, hieß es, die Großeltern passen auf die Kinder auf. Und dann parkst du sie vor dem Fernseher.“ Für ihn waren diese Lebensmodelle nie einleuchtend.
„Das Ei schlüpft nicht mehr!“
Als Kind habe er immer Kirchenburgen gezeichnet, erzählt er weiter. Die Großeltern sprachen mit ihm nur sächisch und die in den 90er Jahren noch häufigen Familienaufenthalte in Siebenbürgen hatte er sehr genossen – „jedes Mal machte das was mit mir“. Dann folgte eine etwa zehnjährige Pause, bis er nach dem Abitur zu den Eltern sagte: Jetzt fahren wir aber wieder mal! „Das war 2003 – und danach bin ich immer wieder allein hergekommen.“
Von Hermannstadt/Sibiu aus erkundete er ganz Siebenbürgen mit dem Mietwagen. In Reichesdorf blieb er hängen. Dort hatten sich gerade holländische Aussteiger niedergelassen, und ein Sachse, bei dem er fortan jedes Jahr einkehren sollte, „wollte mir auch gleich ein Haus aufschwatzen“, lacht Thomas Petri. Verlockend sei das schon gewesen. „Und so günstig: nur 12-15.000 Euro.“ Zehn Jahre lang geisterte die Idee in seinem Kopf herum. „Dann sagte der Gastgeber zu mir: Du sitzt jetzt schon zu lange auf diesem Ei, das schlüpft nicht mehr!“
Klick gemacht hat es dann doch noch: Zur Zeit der Pandemie, als in Deutschland die Büros geschlossen waren, hatte sich Thomas Petri von März bis Juni in Reichesdorf eingemietet. „Es war phantastisch!“ In Mediasch sang er bei Edith Toth im Chor und auf einer Pizzaparty hatte er auf einmal das Gefühl: „Hier ist die große Freiheit, während in Deutschland der Wahnsinn tobt!“
Inzwischen kennt der 41-Jährige in Siebenbürgen mehr Leute als zu Hause. Ein regelrechtes Netzwerk hat er sich aufgebaut. „Es ist so leicht, wenn man ein bisschen offen und kontaktfreudig ist.“
In Deutschland längst aus der Kirche ausgetreten, spürte er hier auf einmal das Bedürfnis, wieder dazuzugehören. „Hier war alles anders, irgendwie würdiger“, motiviert er seinen Beitritt zur Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.
Kurz darauf erfuhr er von dem leerstehenden Pfarrhaus in Galt. „Es war in desolatem Zustand“, erinnert er sich. „Aber dieser Blick nach draußen, und dieser riesige Nussbaum, ich dachte, was kann man hier nicht alles machen!“
„Was willst du denn bei den Zigeunern?“
Thomas Petri führt uns herum: Ein Zimmer ist schon renoviert, bereit zum Vermieten. Das ehemalige Backhaus baut er gerade als Touristenunterkunft aus. Galt ist noch eher unerschlossen – doch liegt es fast direkt an der Nationalstraße, mitten im Kirchenburgenland, die Umgebung ist herrlich und „ich kann zu Fuß zum Bahnhof laufen und nach Bukarest fahren“. Im riesigen Garten lagern Baumaterialien. „Ich hab so ziemlich alles, was ich hatte, hier reininvestiert“, lacht er und schwärmt: „Ich seh hier überall Optionen, mir was zu schaffen. Tourismus, Deutschunterricht, Nachhilfe, Jugendarbeit… und ohne diese deutsche Regelungswut, diese Sucht nach Sicherheit, das lähmt doch, das erstickt.“
Auch über die geradezu aggressive Haltung vieler seiner Landsleute in Deutschland kann er sich nur wundern. Wenn er von Rückkehr schwärmt, heißt es: „Was willst du denn bei den Zigeunern? Da ist doch nix. Da gibt’s doch keine Zukunft.“ Dabei hatte sich bei jedem seiner bisher im Jahrestakt erfolgten Besuche irgend etwas verbessert: „Mal war es eine neue Straße, mal ein Glasfaserkabel...“
In Siebenbürgen fühlt er sich inzwischen sicherer als im Ruhrgebiet.
Und Siebenbürgen ist „der einzige Ort, wo ich mich nicht erklären muss: Siebenbürger Sachsen, wer sind die? - Nein, das sind keine Rumänen.“
„Es ist hier außerdem so natürlich, sächsisch zu sprechen“, freut er sich und erklärt, das Sächsische sei „ein Gefühl, eine Art zu denken, eine Mentalität“. Viele Dinge könne er nur auf Sächsisch ausdrücken. Was er nicht verstehen kann: Viele Sachsen sprechen seit der Auswanderung zu Hause nur noch Hochdeutsch und brachten auch ihren Kindern kein Sächsisch bei. „Das brauchen wir hier ja nicht“, hieß es. „Doch wenn man das unterbindet, geht auch diese Verbindung weg.“
„Warum versperrt man sich den Weg zurück?“
Die meisten Sachsen wollten hinter sich abschließen, sich den Rückweg verbauen, diagnostiziert Petri. Spart dabei nicht an Kritik. Übt sich in Analysen, will verstehen, schafft es nicht. Spricht von einer Art kollektivem Massenwahn. Von mitgebrachten Strumpfhosen, Kaffee und Schokolade, mit denen sich viele haben blenden lassen. Von der Aussage Hans-Dietrich Genschers auf seiner ersten Rumänienreise: ,,Das Tor zur Bundesrepublik Deutschland bleibt offen", – nur dass die Leute danach erst recht durchdrehten, weil dies implizierte, sie könne wieder zufallen. Von den leeren Häusern in den Dörfern. Und der Angst, wer die letzten Hiergebliebenen begraben solle. Eine Welt war weggebrochen! Nicht nur für die Sachsen: „Viele Sachsen in Galt hatten ihren Hauszigeuner – und auf einmal waren die mit den Rumänen allein.“
Für viele Sachsen, vor allem aus dem Dorf, sei Deutschland nicht die erhoffte Erfüllung gewesen. „Ich hab mit vielen gesprochen, die sagten, hätte ich gewusst, wie es ist, wäre ich nicht gekommen.“ Es wäre da noch nicht zu spät gewesen, zurückzugehen, meint er, aber aus Angst, als Versager dazustehen, musste man aushalten. Der typisch sächsische Gruppendruck. „Warum hat kaum jemand seinen alten Landbesitz zurückverlangt? Damit hätte man hier etwas wirtschaften können?
Warum wurden in Deutschland sofort Häuser gebaut – Immobilien, man machte sich immobil, verbaute sich den Schritt zurück – um nicht an der eigenen Entscheidung zweifeln zu müssen? Sie haben alles getan, damit dieser Schritt unwiderruflich ist. Warum versperrt man sich den Weg zurück? Weil sie Angst hatten, die falsche Entscheidung getroffen zu haben?“
Natürlich wurden auch die Kinder beeinflusst: Manche Leute hätten sofort ihr Haus in Siebenbürgen verkauft, wenn sie merkten, dass sich ein Kind dafür interessierte, weiß Thomas Petri zu berichten. „Sie haben alles geopfert, damit ihre Kinder in dieses deutsche System hineingefüttert werden.“
Parallel dazu tanzt man in Dinkelsbühl. Trägt Tracht. Organisiert sich politisch. Kümmert sich in Heimatsortsgemeinschaften aus Deutschland um die Vergangenheit: Gräberpflege, Ahnenforschung, Heimatblatt. Thomas Petri hat das nie ganz verstanden. „Das ist was Ortsgebundenes, das kannst du nicht verpflanzen – und die Kirchenburgen sind doch hier.“
Offenheit
Ob es viele gibt, die ähnlich denken? Die den Sprung zurück auch gerne wagen würden, obwohl noch nicht im Rentenalter? „Ich kenne einige Sachsen, die gerne herkommen würden“, sagt Thomas Petri. „Aber dieser Sprung aus einem System ins andere macht vielen auch Angst.“ Er selbst erlebt hier eine große Offenheit für Neuankömmlinge wie ihn. Zwischen den „Zurückgebliebenen“, den „Heruntergekommenen“, den Aussteigern und den „von rumänischer Seite Dazugekommenen“, den Ehepartnern und Nutznießern des deutschen Bildungssystems, „und dem, was sonst noch da ist – NGOs, Forum, Jugendforum, Kirche - lässt sich hier etwas Neues bauen“. Etwas, womit auch die Sachsen sich „am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen und diesen Schock der Auswanderung, der bei vielen noch tief sitzt, endlich überwinden können.“