Im Rahmen der vorjährigen Ausgabe des Nationalen Theaterfestivals FNT haben das Österreichische Kulturforum und das Goethe-Institut Bukarest eine Reihe Veranstaltungen organisiert, die sowohl bei Fachleuten als auch bei Kulturfreunden gut angekommen sind. Eines der Heighlights dabei war eine Diskussion über das Theaterstück „Union Place – eine kurze Trilogie“ von Elise Wilk, welches das Ergebnis eines länderübergreifenden Projekts ist, das das Schauspielhaus Salzburg zusammen mit dem Österreichi-schen Kulturforum Bukarest initiiert hat.
In der Theateraufführung kommen drei Lebensgeschichten zum Vorschein, die sich an drei verschiedenen Orten in Europa - Rumänien, Luxemburg und Österreich - entfalten und scheinbar keine Verbindung zueinander haben. Der rote Faden führt zu einem gemeinsamen Punkt und lässt die Lebensgeschichten an einem imaginären Platz der Nationen zusammenkommen.
In „Union Place“ werden Themen wie Auswanderung und deren hinterlassene Narben aus dem Kommunismus, Arbeit im Ausland und die im Heimatland zurückgebliebenen Kinder, Eheschließung infolge von Kontaktanzeigen, Untreue in den Beziehungen, Verkuppeln durch Dating-Apps, Unfruchtbarkeit, Leihmütter, Krieg usw. behandelt.
Entstehung des Kooperationsprojekts
„Union Place“ ist eine dreisprachige Koproduktion des Schauspielhauses Salzburg (Österreich), des Escher Theaters (Luxemburg) und des Nationaltheaters „Mihai Eminescu“ in Temeswar/Timișoara und wurde von der bekannten Kronstädter Dramatikerin Elise Wilk erdacht und vom Regisseur Alexandru Weinberger-Bara inszeniert. Sieben Schauspieler der drei Partnertheater hauchen den Figuren Leben ein und vermitteln ihre Geschichten: Cristina König und Andrei Chifu vom Temeswarer Nationaltheater, Sophia Fischbacher, Wolfgang Kandler, Jens Ole Schmieder und Christiane Warnecke vom Salzburger Schauspielhaus und Philippe Thelen vom Escher Theater.
Über das Stück als Fallstudie zur Entwicklung neuer Wege der europäischen Theaterzusammenarbeit haben sich dessen Autorin Elise Wilk, der Regisseur Alexandru Weinberger-Bara mit Codruța Popov, Dramaturgin beim Temeswarer Nationaltheater und Koordinatorin des Projekts, teils vor Ort im gastgebenden Goethe-Institut, teils online unterhalten. Moderiert wurde die Diskussion von Andrei Popov, stellvertretender Leiter und Pressesprecher des Österreichischen Kulturforums Bukarest.
Andrei Popov erzählte einführend, wie dieses komplexe Projekt ins Leben gerufen wurde. 2022 schlug der Intendant des Schauspielhauses Salzburg, Gérôme Junod, dem Österreichischen Kulturforum in Rumänien eine Zusammenarbeit vor und erkundigte sich nach Namen rumänischer Dramatiker, die einen Text für das Schauspielhaus Salzburg schreiben könnten. Die Vorschläge des österreichischen Kulturforums waren Alexandra Badea, Mihaela Mihailov und Elise Wilk, von denen letztere ausgewählt wurde. Popov betonte „Für uns ist es äußerst wichtig, rumänische Dramatiker und Künstler zu fördern. Es ist kein Zufall, dass wir das ´Calliope. Join the Dots´-Projekt unterstützen, das vom österreichischen Außenministerium in Zusammenarbeit mit dem Frauenmuseum in Hittisau, Österreich, durchgeführt wird. Ziel dieses Projekts ist die Förderung von Frauen in Kunst, Kultur und Wissenschaft“.
Weiter wollte der Moderator von Elise Wilk erfahren, wie der Text des Stückes entstanden sei und welche Anweisungen sie dazu erhalten hatte. Der Text war ein Auftrag seitens des Schauspielhauses Salzburg gewesen, der sich mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten und dem, was uns alle in Europa verbindet, auseinandersetzen sollte. Die Dramatikerin erfuhr von Anfang an, welche Schauspielerinnen und Schauspieler Teil der Besetzung sein würden. Jene aus Temeswar kannte sie bereits, nach den anderen erkundigte sie sich auf den Websites der jeweiligen Theater und schrieb eine für sie personalisierte Geschichte, die sich in drei Räumen abspielen sollte. Dass nie zwei Schauspieler aus demselben Theater in den Pärchen-Szenen zusammenspielen, war ihr ein Anliegen, denn sie dachte, es wäre für sie attraktiver und interessanter, wenn sie mit einer Kollegin oder einem Kollegen aus einem anderen Land spielen.
Die Geschichte aus Rumänien wird zweisprachig gespielt, auf Rumänisch und Deutsch, jene aus Österreich auf Deutsch und jene aus Luxemburg auf Englisch, denn es geht um ein deutsch-rumänisches Paar, dessen Kommunikationssprache Englisch ist, von keinem die Muttersprache.
Multilinguismus und -kulturalität
Die nächste Frage bezog sich auf die Verflechtung der Sprachen und Kulturen, auf den Übergang von einer Sprache zur anderen im Stück. Elise Wilk erklärte, dass sie alle drei Sprachen, Rumänisch, Deutsch und Englisch, auch dienstlich bedingt als Dramatikerin und ADZ-Redakteurin, in ihrem Alltag spreche und das Schreiben eines dreisprachigen Stücks ihr natürlich vorkam, zumal sie sich das Theater der Zukunft ohne Mehrsprachigkeit nicht vorstellen könne.
Regisseur Alexandru Weinberger-Bara meinte dazu, nicht das Projekt habe die Kulturen zusammengebracht, sie leben bereits in einer Reihe von Kontexten zusammen und alle drei Geschichten seien im kollektiven Bewusstsein der Menschen präsent. Mehr Zeit habe er jedoch in das Kennenlernen der Schauspieler investiert, um zu sehen, welche kulturellen Unterschiede auch im Konflikt zwischen ihnen eine wichtige Rolle spielen, so dass jeder auch den sozialen Hintergrund des anderen versteht. Als interessantes Beispiel nannte er Ole Schmieder, der aus Ostberlin stammt und sich seinen Kollegen vom Temeswarer Nationaltheater kulturell viel näher fühlte als jenen, die in einem anderen Umfeld aufgewachsen sind.
Codruța Popov, Dramaturgin beim Temeswarer Staatstheater und Koordinatorin des Projekts, bezeichnete den Übergang von einer Sprache zur anderen als einen natürlichen Zustand, nicht nur für Temeswar oder die gegenwärtigen Generationen, sondern auch für andere Regionen Rumäniens und frühere Generationen.
Weiter wurde der Regisseur gefragt, wie er den Text des Stückes gedeutet habe.
Weinberger-Bara erkannte darin eine Gesellschaft, die denkt, sie sei eher getrennt als eng miteinander verbunden, doch tatsächlich vielfältiger sei, als ihr bewusst ist. Deshalb erscheint im Stück die Metapher vom Tisch, der zerstört wird. Das Ziel war, die Zuschauer herauszufordern, sich im Sinne einer solidarischeren Gesellschaft genauer umzuschauen. Auch auf einer persönlichen Ebene, da er zwischen zwei Kulturen lebt, bedeutete es für Alexandru sehr viel, dass in Salzburg, einer sehr traditionsgebundenen österreichischen Stadt, ein Stück aufgeführt wurde, in dem auch die rumänische Sprache vorkommt. Dadurch durfte er in seiner Wahlheimat Österreich mit einem Teil seiner Wurzeln beitragen.
Die größte Herausforderung in der Inszenierung des Stückes? Wie bei jedem Projekt, an die Schauspieler heranzukommen, sie kennenzulernen und zu versuchen, ihre Qualitäten und das, was sie brillant macht, hervorzuheben, lautete die Antwort des jungen Regisseurs. Als zweite Herausforderung erwähnte er die Koordination der internationalen Koproduktion, die er Codruța Popov verdankte.
Das eigene Schicksal auf der Bühne sehen
Zum Thema Rezeption des Stückes waren sich alle einig, dass es in allen drei Ländern gut beim Publikum angekommen war, insbesondere in Temeswar, wo ein Zuschauer genau dasselbe Schicksal wie die Gestalt Rudi hatte. Auch er war als 17-Jähriger im selben Jahr 1986 aus dem kommunistischen Rumänien geflohen und im selben Flüchtlingslager in Jugoslawien gelandet. Für ihn war es besonders berührend, seine eigene Geschichte auf der Bühne zu sehen und er kehrte auch zur zweiten Aufführung zurück.
Erfahrungen und Überraschungen
Der Moderator wollte weiter wissen, was die Beteiligung an dieser Koproduktion für das Temeswarer Nationaltheater bedeute. Codruța Popov erwiderte, das Projekt sei eine Fortsetzung eines Ansatzes, den das Temeswarer Nationaltheater vor langer Zeit begonnen habe. „Dieser Kontext der Kulturhauptstadt Europas ermöglichte es uns, einige Richtungen, die das Nationaltheater in den letzten 19 Jahren im Sinne einer Kontinuität der Managementvision des Theaters entwickelt hat, viel stärker als bisher ins Licht zu rücken, und zwar die Entwicklung der Mehrsprachigkeit. Das Nationaltheater übernimmt den Status, einen Dialog zwischen Sprachen und Kulturen zu ermöglichen, was wir durch das FDR-Fest tun, wodurch wir rumänische und europäische Dramaturgie in Dialog bringen, und durch andere Projekte. Unser Theater verfügt über viel Erfahrung im Bereich internationaler Koproduktionen“.
Überraschungen und Neuerfahrungen, die diese Koproduktion für das Theaterteam brachte? „Der Kontext der Koproduktion war vielleicht die einzige Überraschung“, hieß es. 2023 war kein gewöhnliches Jahr für Temeswar, sondern Kulturhauptstadtjahr, wobei das Nationaltheater „Mihai Eminescu“ sehr engagiert war, Rumänien vor Europa zu vertreten. Außerdem erlebten Theaterbesucher qualitative und professionelle Unterhaltung während des Sommerurlaubs, da „Union Place“ Ende August 2023 in Temeswar aufgeführt wurde. „Die Show wurde vier Abende hintereinander vor vollem Haus gespielt und war für uns die Krönung dieses Projekts, in das wir viel investiert haben“.
Etwas Neues hat das Projekt auch für die Schauspieler Cristina König und Andrei Chifu mit sich gebracht. Für sie sei es ein außergewöhnliches Erlebnis gewesen, von dem sie auch der Projektkoordinatorin erzählten. „Sie sagten einmal, sie lebten in einer Art Spirale, in der aber nichts mehr sei wie zuvor. Sie hatten das Gefühl, dass ihr Leben auf den Raum dieses Theaterstücks beschränkt war, und je weiter man im Text voranschritt, desto größer wurde der Raum“. Außerdem gestanden sie, die Hintergrundunterschiede zwischen ihnen und ihren Kollegen von den anderen beteiligten Theatern seien am schwersten zu überwinden, was sie letztendlich auch enger zusammenband.
Auf die letzte Frage, wie sie den Text beim Schreiben und nach der Inszenierung empfand, antwortete die Autorin, dass sie darüber nachgedacht habe, inwieweit der Text nur in zwei Sprachen oder in einer anderen Sprache als Deutsch abgespielt werden könne, damit er für weitere Aufführungen auch an anderen Orten angepasst werde und nicht ein Wegwerftext bleibe, der nur für ein Projekt geschrieben worden sei.
Projektkoordinatorin Codruța Popov fügte hinzu „Elise Wilk hat diesen Text vermutlich für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort geschrieben, aber ich denke, dass das Stück für mehrere Gebiete in Rumänien angepasst werden kann, denn die Geschichte der Zwangsflucht aus der Heimat ist keine isolierte Geschichte. Ganz im Gegenteil, sie wird heutzutage immer präsenter“, betonte sie.
Elise Wilk schloss mit ihrer Zufriedenheit, über ihr Stück gesprochen zu haben, zumal es aufgrund des Repertoiresystems des Schauspielhauses Salzburg, wo ein Stück zwei Monate lang fast jeden Abend gespielt werde, dann darauf verzichtet werde und die Premiere des nächstes Stückes komme, sich nur einer – im Vergleich zu den unternommenen Anstrengungen – sehr kurzen Laufzeit erfreute. Dafür, dass die Aufnahme von „Union Place“ für die Dauer des Nationalen Theaterfestivals mit freundlicher Genehmigung der beteiligten Theater und Schauspieler online, auf der Website des Österreichischen Kulturforums verfügbar war und dadurch ihre Laufzeit verlängert werden konnte, war die Dramatikerin dankbar.