Junge Menschen bauen und bewegen Gemeinschaften in Temeswar

Drei Beispiele zeigen, wie Engagement, Kreativität und Mut das Stadtleben verändern x

Architektin Alexandrina Ciortuz möchte über ihre neue App mehr Leute überzeugen, in den Sattel zu steigen.

„unudintm“ - der junge Motovlogger aus Westrumänien setzt auf Verkehrserziehung (im Bild mit Vertreteren der Polizei und des Katastrophenschutzes ISU)

Artur Martin bei einer Aufräumaktion in Temeswar. Müllsäcke als sichtbares Ergebnis – Zeichen bürgerschaftlichen Engagements. Fotos: privat

In Temeswar entstehen derzeit bemerkenswerte Bürgerinitiativen und Projekte, die von jungen Menschen getragen werden. Ein Motovlogger macht Verkehrserziehung unterhaltsam, ein frischer Lyzeumsabsolvent kämpft gegen Vermüllung und eine Architektin entwickelt eine App für Radfahrer. Drei Geschichten, die Mut machen und zeigen, wie stark die Stimme der Jugend sein kann.

„unudintm“ – Verkehrserziehung mit Humor

„unudintm“ – Der Motovlogger aus Temeswar, der seine Leidenschaft für Motorräder in ein Projekt mit sozialer Wirkung verwandelt hat, ist seit Anfang des Jahres im Trending auf den sozialen Medien. Der junge Temeswarer Motorradfahrer ist durch seine authentischen, humorvollen und zugleich lehrreichen Beiträge zu einer bekannten Stimme im Internet geworden. Unter dem Pseudonym „Unu Dintm“ dokumentiert er täglich das Leben auf zwei Rädern und zeigt die He-rausforderungen des Verkehrs in Westrumänien – verpackt in Geschichten mit Witz und Botschaft.

Das Projekt begann vor rund sieben Jahren, als es in Rumänien nur wenige Motovlogger gab – und keiner von ihnen war im Westen des Landes aktiv. So entstand der Name „unudintm“ eine Abkürzung für „einer aus TM“ (kurz für Temeswar/Temesch). Der Künstlername sollte zudem eine klare Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben schaffen. Der Motorradhelm und sein Pseudonym schützen ihn in seiner Anonymität. 

„Am Anfang ging es nur darum, vom Motorrad aus zu filmen und Erlebnisse aus dem Straßenverkehr zu erzählen. Inzwischen ist daraus aber viel mehr geworden“, erzählt der junge Temeswarer. Ein wichtiger Teil seiner Arbeit ist die Verkehrserziehung. „Unudintm“ kooperierte bereits mit der Verkehrspolizei, mit anderen Motorradfahrern und Experten, um informativen und verantwortungsvollen Content zu schaffen. Auf seinem YouTube-Kanal, auf dem er 10–12-minütige Videos veröffentlicht, spricht er nicht nur über Verkehrsthemen, sondern auch über Therapie, geistige Gesundheit oder Finanzbildung. Eines seiner erfolgreichsten Projekte ist ein Interview mit dem Bürgermeister von Temeswar, Dominic Fritz, im Sommer dieses Jahres. Zusammen filmten sie auf der Baustelle des Liviu-Rebreanu-Boulevards, eines der am meisten befahrenen Boulevards in der Bega-Stadt, der in den letzten Monaten general-überholt wurde. 
Sein Erfolg basiert jedoch nicht nur auf spektakulären Aufnahmen oder Humor, sondern vor allem auf Ehrlichkeit. „unudintm“ zeigt auch seine schwächeren Momente, fehlende Energie oder emotionale Herausforderungen, um seiner Community ein realistisches Bild zu vermitteln. „Genau das fehlt im Internet: Authentizität. Auch wenn ich mal nicht in bester Stimmung bin, teile ich das mit, weil es echt ist“, sagt er. So ist „unudintm“ mittlerweile mehr als ein Motovlogger geworden: Er ist ein Content Creator mit einer treuen Community, der Unterhaltung und Bildung kombiniert und dabei eine klare soziale Botschaft vermittelt – Respekt im Straßenverkehr und Echtheit im Internet.

Artur Martin will Temeswar von Müll befreien

Ein junger Temeswarer zeigt, wie Eigeninitiative Veränderung anstoßen kann. Trotz Spott und bürokratischer Hürden startete Artur Martin Aufräumaktionen in mehreren Stadtteilen. Unterstützt von Familie und einigen Mitstreitern beweist er, dass Sauberkeit und Respekt vor dem Lebensumfeld bei jedem Einzelnen beginnen.

Der 18-jährige Artur Martin engagiert sich seit wenigen Monaten mit einer selbst initiierten Bürgeraktion, um die Straßen und Stadtviertel seiner Heimatstadt Temeswar von Müll zu befreien. Ohne politische Unterstützung oder externe Finanzierung zeigt er, dass Veränderung mit persönlichem Einsatz, Mut und Beharrlichkeit beginnen kann.

Das Leben in einer unsauberen, respektlosen Umgebung sei für ihn nicht länger hinnehmbar – so beschreibt Artur den Auslöser seiner Initiative. Aussagen wie „die Jugend macht nichts“ hätten ihn zusätzlich motiviert, das Gegenteil zu beweisen. Trotz Spott in den sozialen Medien – er wurde etwa als „Müllmann“ bezeichnet – erhielt er auch viel Zuspruch, der ihn bestärkte.

Seine erste große Aktion führte er allein in der Josefstadt/Cartierul Iosefin im Juli durch. „Auch wenn die Arbeit körperlich anstrengend und psychisch ernüchternd war, empfand ich Stolz und Freude über das Ergebnis“, erzählt der junge Mann. Die größten Schwierigkeiten lagen weniger in der Arbeit selbst, sondern in fehlender Unterstützung und bürokratischen Hürden: Die lokale Müllabfuhr verlangte Gebühren für die Abholung von Abfällen; lokale Medien ignorierten seine Initiative; Passanten reagierten mit Skepsis oder Gleichgültigkeit, auch unter Freunden blieb die tatsächliche Beteiligung gering – nur eine Kollegin unterstützte ihn aktiv, während die Familie, besonders seine Mutter, hinter ihm stand. Artur spricht auch von mentalen Hürden: der Angst, kritisiert oder sogar bestraft zu werden. „In Rumänien wird oft abgeraten, aktiv zu werden, aus Angst vor Problemen“, erklärt er. 

Der 18-jährige Temeswarer Aktivist hat bislang vier Bürgeraktionen zur Müllbeseitigung organisiert: zweimal in der Josefstadt, einmal im Lipovei-Viertel und zuletzt im Traian-Viertel. Während er anfangs fast allein startete, ist die Initiative inzwischen auf rund 20 engagierte Mitstreiter angewachsen.
Wichtige Fortschritte konnten durch die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und der Reinigungsfirma RETIM erzielt werden – etwa die Aufstellung neuer Mülleimer im Lipovei-Stadtteil oder geplante Hinweisschilder gegen illegale Müllablagerungen. Auch das Straßenreinigungsunternehmen Salubrizare Timi{oara (SaluT) unterstützt die Initative mit Müllsäcken, Gummihandschuhen und Müllabfuhr im Anschluss der Aktionen. Künftig möchte der junge Mann auch eine konstante Kooperation mit der Lokalpolizei aufbauen. Besonderen Wert legt er auf die Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen, damit diese früh lernen, Verantwortung für ihre Umwelt zu übernehmen. Die nächste Säuberungsaktion ist bereits geplant – sie wird an einem stark frequentierten und beliebten Ort in Temeswar – entlang des Bega-Ufers - stattfinden. Über Instagram (@cine_e_arturv3) und Facebook ruft er alle Altersgruppen auf, sich zu beteiligen.
Für ihn steht fest: „Wirkliche Veränderung beginnt bei jedem von uns. In einer sauberen Umgebung ist es schwerer, Müll hinzuwerfen. Wir zerstören unsere Stadt selbst – warum sollten wir warten, bis jemand anderes das Problem löst?“

Alexandrina Ciortuz für Stadtplanung und Community

Ein neues Projekt für umweltfreundliche urbane Mobilität nimmt in Temeswar sowie in Westrumänien Gestalt an: „Pedale“, eine mobile App, die Radfahrern im Alltag Orientierung bieten und gleichzeitig den Behörden wertvolle Daten für den Ausbau einer sicheren und vernetzten Radinfrastruktur liefern soll. Hinter der Initiative steht Alexandrina Ciortuz, eine junge Architektin aus Temeswar, die seit Jahren an der Schnittstelle von öffentlichem Raum, Kulturerbe und Mobilität arbeitet. Zu ihren bisherigen Projekten zählen die Umgestaltung von Fußgänger- und Radzonen, die Planung von Brücken und Passerellen, die Rekonstruktion des Funiculars in ihrer Heimatstadt Reschitza sowie die Koordination des transnationalen Projekts „Ecluze pe Bega“ (Deutsch: „Schleusen an der Bega“), das sich für eine Wiederbelebung der Schifffahrt und einen behutsamen Umgang mit dem natürlichen Lebensraum einsetzt.

Mit der App „Pedale“ möchte nun die Architektin Alexandrina Ciortuz Radfahren sicherer und attraktiver machen. Die Smartphone-Anwendung soll Routenplanung, Feedback zu Radwegen, Community-Beteiligung und Belohnungssysteme kombinieren. Das Projekt ist Teil eines europäischen Förderprogramms und könnte Modellcharakter für weitere Städte haben. „Die Idee entstand aus dem Wunsch, die berufliche Blase zu verlassen und direkt mit der Community zusammenzuarbeiten. Wir wollen echte Daten und die Stimme der Radfahrer nutzen, um die Stadt lebenswerter zu machen“, erzählt Alexandrina Ciortuz.

Derzeit wird die App entwickelt. Im November soll bereits eine Demoversion vorgestellt werden. Die App wird dann mehrere praktische Funktionen vereinen: Personalisierte Karten mit sicheren Routen von A nach B; Bewertungssystem für die Qualität der bestehenden Radwege; einen Community-Bereich, in dem Probleme gemeldet und Vorschläge eingebracht werden können; Kooperationen mit lokalen Unternehmen, die radfreundliche Services anbieten; ein Belohnungssystem, um das Radfahren attraktiver zu machen sowie künftig auch ein Fahrradregister, das Diebstähle dokumentieren und die Rückgabe erleichtern soll.

Das Projekt wurde als Finalist im inVest-Accelerator ausgewählt, einem von der EIT Urban Mobility (Teil des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie) geförderten Programm. Unterstützt wird es von ADR Vest und umgesetzt in Zusammenarbeit mit Iceberg Plus und Cowork Timi{oara. Die Entwickler sehen Pedale nicht nur als lokale Lösung, sondern auch als Modell für andere Städte in Westrumänien und in Europa, die vor ähnlichen Herausforderungen im Radverkehr stehen.

Um die App möglichst nah an den tatsächlichen Bedürfnissen der Radfahrer zu entwickeln, hat Alexandrina Ciortuz einen öffentlichen Fragebogen gestartet. Alle, die regelmäßig oder gelegentlich Rad fahren, sind eingeladen, ihre Erfahrungen zu teilen. Der Fragebogen ist auf den sozialen Medien oder unter folgendem Link forms.gle/1CVQLFs4y5XRN4zeA zu finden. „Jede Rückmeldung zählt. Gemeinsam können wir eine Anwendung entwickeln, die nicht nur Orientierung bietet, sondern auch die Grundlage für eine fahrradfreundlichere Stadt legt“, sagt die junge Architektin.